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Der Christ und die Ideologien

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Die Salzburger Hochschulwochen, die in diesem Sommer auf 30 Jahre ihres Bestehens zurückblicken konnten, hätten dem festlichen Anlaß nicht besser entsprechen können, als durch die Wahl des hochaktuellen Themas: „Ideologien und Wissenschaft”. Aktualität, und zwar im besten Sinn des Wortes, ließ bereits den ersten Hochschulwochen im Jahre 1931 ein weltweites Echo zuteil werden. Gerade in diesen schicksalsschweren dreißiger Jahren bestand ja ein sehr starkes Bedürfnis nach einer umfassenden, katholischen Orientierung inmitten der reißenden Strömungen des Zeitgeistes. Daran hat sich auch heute, nach drei Jahrzehnten beispielloser Umwälzungen auf politischem, sozialem und geistigem Gebiet, im Grunde nichts geändert. Heute wie damals ist es eine weitgehend entchristlichte, ja zum Teil geradezu anti christliche Wplt- wirklichkeit, die zur Auseinandersetzung, ja mehr noch: zur Bewälti- gung herausfordert. Und doch scheint sich die Situation gegenüber damals grundlegend geändert zu haben.

Positivismus unter „Ideologieverdacht”

Gerade diese Änderung des geistigen Klimas legt die Frage nahe: Stehen wir am Ende gar an der Schwelle eines „metaideologischen” Zeitalters, das die verschiedenen, ideologischen Rechtfertigungen der Macht ebenso zum alten Eisen werfen wird, wie jene politischen Schlagworte, an denen sich noch unsere Väter berauschten? Gewiß spricht so manches für eine solche „Entideologisierung”, zumal des politischen Lebens; gerade die politischer Parteien, die fast durchweg im alter Stil als „Weltanschauungsparteien” gegründet wurden, wissen davon eir Lied zu singen und suchen durch eine weitgehende Neutralisierung ihrer Programme diesem Tatbestand Rechnung zu tragen. Ohne Zweifel hat aber auch ein solches „nachideologisches Zeitalter” seine Probleme — Probleme, die der bekannte, aus Rumänien gebürtig Publizist Dr. Stefan Teodorescu Stuttgart, in ebenso origineller wi temperamentvoller Weise skizzierte Dr. Teodorescu wies dabei ganz besonders auf eine nicht zu überschätzende Gefahrenquelle hin: daß nämlich die verdrängten Ideologien in dei europäischen Menschheit ein geistigei Vakuum hinterlassen könnten, dai nicht minder gefährlich wäre, wie al das Unheil, das die politischen Pseudoreligionen der Aufklärung, des Natio nalsozialismus und des Marxismus ver ursacht haben. Mit Recht forder darum Dr. Teodorescu eine produktive Überwindung der Ideologien, die ai die Stelle der bloß negativen Verdrän gung ideologischen Denkens trete: müsse. In der Tat hat der Horror vo der allgemeinen Ideologisierung daz: geführt, auch alle echten Bindungei und Werte unter „Ideologieverdacht zu stellen und nur noch das Faktisch und empirisch Konstatierbare al Wahrheit gelten zu lassen. Gewiß is der Positivismus in erster Linie al eine Reaktion auf die ideologisch Überwucherung des Denkens zu ver stehen; auch wird man ihm schwerlic — zumindest in seinen besten Reprä sentanten — ein gewisses Maß a

Redlichkeit, ja echter Wahrheitsliebe absprechen können. Aber kann nicht auch die Wahrheitsliebe zu weit gehen? In dieser nicht sehr glücklich formulierten Frage gipfelten die überaus geistvollen Ausführungen von Univ.-Prof. Dr. Golo Mann, Stuttgart, über die „Mythologisierung der Geschichte”. Das kritische Denken neige dazu, nicht nur die schlechten, aus Aberglauben und bewußter Mißachtung der historischen Wahrheit entbundenen Geschichtsmythen zu zerstören, sondern auch die guten Traditionen und Bejahungen, ohne die nun einmal keine Gesellschaft auskommen kann. Im übrigen macht dieser Atomisierungsprozeß, wie Prof. Mann weiter ausführte, auch vor dem Individuum nicht halt, das seinerseits wieder in ein Bündel von Trieben und Begierden ohne verantwortungsbewußtes Zentrum auf gelost’’

zesses steht der -nackte Positivismus, von dem es wieder nur ein kleiner Schritt zum totalen Nihilismus ist. Aber wie können wir Traditionen und Werte anerkennen, von denen wir wissen, daß sie dem Licht der Kritik doch nicht standhalten können? Und wo liegt die Grenze zwischen Pragmatismus und Wahrheitsliebe? Solche Fragen führen zweifellos in das Zentrum des Problems „Ideologien und Wissenschaft”. Wenn wissenschaftliche Redlichkeit und Wahrheitsliebe dazu führen, den Adel des Seins zu leugnen und das Höhere auf das Niedere zu reduzieren, so zeigt dies sehr deutlich, daß das, was solche Wissenschaft unter

„Wahrheit” versteht, nicht stimmen kann; daß die Alternative „Ideologien und Wissenschaft” keineswegs gleichbedeutend ist mit jener zwischen „Ideologie und Wahrheit”, gleichsam als ob die Wissenschaft in ihrer heutigen Form der sichere Ort der Wahrheit wäre, auf den wir uns nur zu stellten brauchten, um die schimärischen Scheinbildungen der Ideologien zu durchschauen und aufzulösen. Das gerade Gegenteil ist der Fall.

„Trugbilder des Marktes”

Nicht die Liebe zur Wahrheit, sondern der Wille zur Macht ist die geheime Triebfeder dieses Wissenwollens, das das Sein auf die nackte Posi- tivität des Feststellbaren reduziert und damit selber zur Ideologie entartet. Das Musterbeispiel einer solchen wissenschaftlichen Ideologie ist zweifellos der NdbeöWsMnß’ W.’W ‘ mus> nen Naturwissenschaften und der Rechtslehre weite Kreise des Westens erfaßt hat. Dieser Neopositivismus ist um so gefährlicher, als er seinen eminent ideologischen Charakter hinter dem Deckmantel wissenschaftlicher „Positivität” geschickt zu verbergen weiß und dadurch in sehr wirksamer Weise zur geistigen Unterminierung des Westens beitragen kann. Zwei namhafte Salzburger Gelehrte, beide dem Benediktinerorden angehörend, haben sich in diesen zwei Wochen sehr eingehend mit ihm auseinandergesetzt: Univ.-Prof. Doktor P. Beda Thum auf dem Gebiet der modernen

Naturwissenschaften und Universitätsprofessor Dr. P. Albert Auer auf dem Feld der Rechtslehre. Zweifellos war Prof. Auers Auseinandersetzung mit dem modernen Rechtspositivismus trotz der unerhört schwierigen Problematik einer der Höhepunkte dieser Salzburger Hochschulwochen.

Anknüpfend an die Ausführungen Dr. Teodorescus über die „Probleme des metaideologischen Zeitalters” sind wir von den Gefahren ausgegangen, die eine „Entideologisierung”, wie wir sie heute allenthalben bereits beobachten können, mit sich bringt: Gefahren, deren Hauptquelle in einer radikalen Kritik liegt, die in vielleicht gut gemeinter Absicht das Kind mit dem Bad ausschüttet, indem sie zusammen mit den wirklichen Idolen, jenen „Trugbildern des Marktes”, wie Bacon sie genannt hat, auch die echten transzendenten Bindungen des Menschen zu zerstören sucht und damit selber in den Teufelskreis ideologischen Denkens gerät. Eine solche „Ideologisierung der Ideologiekritik” läßt sich ja nicht nur an der historischen Wurzel der modernen Ideologienbildung im 18. und 19. Jahrhundert feststellen, wir begegnen ihr auch heute in Gestalt von Lehren, die ungeachtet ihrer „Wissenschaftlichkeit” rein ideologisch bedingt sind, wenn auch in verfeinerter, subtilerer Form, als dies bei den Kollektivmythen und Ersatzreligionen des 19. Jahrhunderts der Fall war. Aber welche Rolle spielt nun eigentlich die Wissenschaft in diesem Destruktionsprozeß? Ist vielleicht die Wissenschaft an sich, so fragte Prof. Doktor Beda Thum, potentielle Ideologiekritik, einfach darum, weil sie bislang unbekannte oder doch nur im Licht einer groben Alltagserfahrung gesehene Zusammenhänge entdeckt und darüber ein sicheres Wissen vermittelt? Oder sind es, wie der Soziologe Universitätsprofessor Dr. Alfred Müller-Ar- mack, Bonn, meinte, weniger die von den positiven Wissenschaften entdeckten Fakten, als vielmehr deren einseitige und totalitäre Interpretation, welche zur Ideologisierung des Denkens führt? Sicher ist jedenfalls das eine: echte Wahrheitsliebe kann niemals zu weit gehen, auch wenn sie von uns die Preisgabe so mancher liebgewortnenen Illusion ¿fordert. Basum konnteSich’ auch’i’än Salzburg nicht dätüm handeln, einer treuer Mythologisierung das Wort zu reden, oder auch nur den „schlechten Ideologien” eine „gute” entgegenzustellen. Gott sei Dank ist das Christentum, wie Prof. Lauth treffend bemerkte, nicht nur keine Ideologie, sondern ei kann auch seinem innersten Wesen nach niemals eine werden! Entscheidend blieb das Bekenntnis zur Vernunft und damit auch zur Wissenschaft freilich zu einer Wissenschaft, die uir ihre Grenzen weiß und in einer umfassenderen, absoluten Bindung — religio — gründet: an das Sein, an das Gute, an Gott.

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