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DER DICHTER BEI DEN BERGBAUERN
„Ich sah es als eine Fügung an, als mir kürzlich eine alte Porträtzeichnung und ein Originalbrief vom 1. Juli 1934 von Hans Leifhelm in die Hände kamen. Beide waren verschollen gewesen. Ich durfte Leifhelm meinen väterlichen Freund nennen. In den schwierigen Jahren 1935 bis 1938 konnte ich ihm — ich war damals Leiter des Styria-Verlages — die Herausgeberschaft einer von mir gegründeten Buchreihe .Die Deutsche Bergbücherei' (31 Bändchen) anvertrauen. — Wir haben damals viel miteinander über das auf Österreich zukommende“,Ungeheuer' gesprochen. Hans Leifhelm fürchtete sich sehr davor, obwohl er, wider Willen, als“,Blut- und Bodendichter' im .Dritten Reich' entdeckt und gefeiert worden war. Als die Nationalsozialisten in Österreich waren, t/ing er zu seinem Freund Felix Braun nach Palermo. Hans Leifhelm liebte und erkannte Österreich mehr als viele .geborene' Österreicher — damals. — Es wäre schön, tuenn die .Furche' das Gedächtnis an diesen Mann auffrischen könnte — er verdiente es.“
Aus einem Brief des Autors an die Redaktion der „Furche“
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Vor nunmehr dreißig Jahren — das ganze Jahr 1935 über •-• hat sich Hans Leifhelm, der vielleicht bedeutendste Lyriker der Naturwelt nach der Droste, auf den Halmerhof, einem Berggehöft unweit von St. Veit bei Neumarkt in der Steiermark, zurückgezogen. Er hat diesen Hof auf einer seiner Wanderschaften schon Jahre zuvor entdeckt und liebgewonnen. Hier fand er die Einsamkeit und Ruhe, die er für sein Schaffen brauchte. Hier sind einige seiner besten Gedichte und Teile seines Prosabuches „Steirische Bauern“ entstanden.
Der Zufall — Leifhelm würde gesagt haben: die Fügung — wollte es, daß ein bislang unbekannter, unveröffentlichter Brief, den er nach seinem ersten längeren Aufenthalt auf den St. Veiter Berghof am 1. Juli 1934 seinem Freund Martin Sturm nach Wernigerode im Harz geschrieben und dem er drei der neu entstandenen Gedichte und eine treffliche Porträtzeichnung von Professor Fritz Silberbauer beigefügt hatte, als Nachlaß nach Sturms Tod unlängst bei Leifhelms Tochter Elfriede in Graz einlangte, von wo der Brief ausgegangen ist. In diesem Brief spiegelt sich das Erlebnis auf dem Halmerhof wider. Es heißt unter anderem darin:
„... Ich war bei einem Bauern, den ich lange schon kenne — die ganze Fülle des Sommers war ausgegossen, es war im Bergbauernland, wo der Frühling noch nicht zu Ende ist, mitten in der Heuernte, und dazu reicher Segen allenthalben, die Sau warf vierzehn Junge, das Pferd hatte ein Fohlen, die Kühe brachten Kälber, die Katze vier Kätzchen, die Bienen schwärmten, ich habe wieder einmal mitgeholfen beim bäuerlichen Tagtuerk, abends saß man, nachdem auf der Wiese noch bis zur völligen Dunkelheit Ball gespielt worden war, auf der langen Bank vor dem Hause, der fünfzehnjährige Severin spielte die Ziehharmonika, der immerfließende Brunnen rauschte, es wären sehr schöne Tage in St. Veit, auf der Hochfläche, einem, Dörfchen, das mit einem halben Dutzend Häusern um die aus dem 12. Jahrhundert stammende Kirche geschart liegt. Mein Bauer wohnt entfernt schon höher am Berge, und wenn man durch die Wälder eine Stunde steil aufwärts steigt, findet man noch weitere burggroße Berggehöfte einsam liegen. Vielleicht gehen wir einmal zusammen hinauf. Ich habe auch die Sonnwendnacht oben in wunderbarer Weise erlebt. Dazu habe ich viel gearbeitet, einige Gedichte sind entstanden, das Manuskript zu einem geplanten Büchlein“,Das Bergdorf, einem Prosabuch, ist ziemlich weit gediehen...“
Ich selber i— zuerst durch meinen Beruf mit ihm bekannt und bald darüber hinaus zum Freunde geworden — besuchte ihn damals bei „seinem“ Bergbauern und zwei Jahre später, 1937, ein zweites Mal, als er mit seiner Frau wiederum —
während einiger Monate — in diesem steirischen Hochland lebte. Ich kam spät abends auf den Hof. Wir saßen zusammen in der Küche unter dem Kruzifix am grobschlächtigen Tisch. Die Bäuerin hatte uns auf Holztellern Bauerngeselchtes serviert, dazu gab es duftendes, selbstgebackenes Bauernbrot und Much mit Slibowitz. Leifhelm war damals schon von seiner Krankheit, der er zehn Jahre später erliegen sollte, gezeichnet, und sein bedächtiges Wesen und seine gerade, etwas steife Haltung war vielleicht noch um Grade schwerer, schweigsamer und steifer geworden. Er sprach — wie immer — wenig. Durch seine Brille musterte er eindringlich und lange seinen Partner, und öfters löste sich dieses lautlose Sprechen in ein mildes, liebe- und verständnisvolles Lächeln auf, das um seinen Mund spielte und von weit her zu kommen schien. Wenn er dann wirklich sprach, waren es nicht selten Worte epigrammatischen Charakters. Es konnte aber auch geschehen, daß er längere Zeit hindurch sprach, bedächtig und genau von allem erzählte, was ihn bewegte, nur nicht von sich selber.
Leifhelm fühlte sich, wie sein Biograph Dr. Norbert Langer feststellte, im steirischen Bergland, bei den Bergbauern, geborgen. Es reifte das Bewußtsein, hier im brauchtumsgebundenen, schlichten, ursprungsnahen Leben, das Gegengewicht gegen die rasende Entwicklung einer Zeit gefunden zu haben, die in Extremen der industriellen Riesenunternehmen im Rheinland und an der Ruhr ihm Schrecken eingejagt hatten. Wie zu den Massiven der Uralpen flieht Leifhelm in die Einschicht der Bergbauernhöfe, stundenweit von Eisenbahn und Autoverkehr: „In der Stadt wird dir das Herz verbrennen!“
Zeitlich früh am nächsten Morgen — ich höre noch den Brunnen im Hof rauschen und ein strahlend blauer südlicher Himmel stand über uns — brachen wir zu einer Wanderung auf die Höhen zu den anderen Berghöfen und ihren Huben auf. Der Weg führt steil hinan, zuerst durch einen Lärchenwald. Leifhelm bleibt immer wieder einmal stehen, zeigt auf eine Tigerschnecke, die über den weichen Boden kriecht, lauscht auf den Ruf des Pirol, verfolgt die kühnen Sprünge des Eichhorns von Baum zu Baum und stellt sich beglückt dem Föhnwind. Nach zwei Stunden rasten wir auf einem der höchsten Höfe und schauen hinunter ins Tal.
Was später in einem seiner Prosabücher Gestalt wird, hier, zu dieser Stunde wird es erlebt:
„Ich habe mich hingesetzt. Entfaltet ist unter mir die weite Erde, mit wolkenbeschatteten Höhen, lichtgefleckten Gründen, winddurchwehten Wäldern. Grüne Kornfelder wogen aufsilbernd. Wiesen schimmern in blauen, weißen und rötlichen Farben, die bewaldeten Hänge der Berge starren in rauhem Grün. Ein Sonnenstrahl fällt auf eine weite dämmerige Alm und der Grund glüht smaragden auf.“
Es leuchteten schon die Sterne, als wir auf den Halmerhof zurückkamen. Die Leute saßen vor dem Haus — es war sehr still: „Es ist ein Feierabend, wie er in aller Welt gehalten wird, wo der Mensch noch seine Hände rühren kann, sein Stück Erde unter sich hat und wo die Sterne nicht verscheucht sind.“
Es war die höchste Zeit, die Haltestelle des von Kärnten her über den Neumarkter Sattel ins Steirische führenden Personenzuges zu erreichen. Leifhelm begleitete mich noch hinunter zur Station, obwohl er sehr müde gewesen sein mußte. Der Zug hatte Verspätung. So blieb noch Zeit für ein gutes Wort. Erfüllt vom Staunen über das Erlebte, standen wir uns gegenüber: „Reichbeschenkt kehrt heim, wer mit liebenden Herzen wandert“, schrieb er in seinem Buch über „die grüne Steiermark“. Als wir uns die Hand gaben, war es ein Abschied fürs Leben.
Leifhelm hat den „langsam sterbenden Höfen“, den Bergbauern, ihrer Arbeits- und Lebenswelt, im Abendlicht ihrer Existenz in seinem Prosabuch „Steirische Bauern“ ein unvergängliches dichterisches Denkmal gesetzt. Den Baustoff dazu gaben ihm die „burggroßen Berggehöfte“ im St. Veiter Hochland am Fuße des ZIrbitzkogels.
Damals hatte ich teilnehmen dürfen am Vorgang seines Dichtens: Wie konnte er sich in die Natur versenken! Mit welcher Liebe und Inbrunst betrachtete er das Kleine und Kleinste, den Käfer, den Spatz und die Wolke! Er gebot der Zeit, stille zu stehen: „O halt ein, Flucht der Zeit, im Ge-flld', wirre Welt, steh' gebannt uns im Bild!“ Hinter dem sichtbaren Bild suchte er die Chiffren des Unsichtbaren. In seinem testamentarischen Gedicht „Lob der Vergänglichkeit“ eröffnete er den Sinn des gebannten Bildes:
„Untilgbar in der Sternenbahn Wirkt was getan, was nicht getan.“
Auf seinem langen Schmerzenslager im Spital zu Riva am Gardasee fand der Wahlösterreicher Hans Leifhelm seinen einsamen Tod am 1. März 1947. Er hatte heimgefunden ins ewige Bild.
i „Schlafen den Schlaf, in dem
Kein Traum lebendig ist, Kristallne Ruhe, die Des Wandeins ganz vergißt. Und auferstehn, Wie der nur aufersteht, Durch den der Atem der Erweckung geht.“
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