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Der Dichter des Absoluten

19451960198020002020

Dl Armut und die Gier.“ Eine zeitgenössische Studie von Leon Bloy. In Deutsche übertragen und mit einem Nachwort versehen von Clemens ten Holder. Ernst-Klett-Verlag, Stuttgart. 387 Seiten

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Dl Armut und die Gier.“ Eine zeitgenössische Studie von Leon Bloy. In Deutsche übertragen und mit einem Nachwort versehen von Clemens ten Holder. Ernst-Klett-Verlag, Stuttgart. 387 Seiten

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Es i*t eine seltsame Tatsache, daß das scheinbar völlig laisierte und säkularisierte Frankreich des 19. und 20. Jahrhunderts Unvergängliches für den Katholizismus geleistet hat: die moderne liturgische Bewegung nahm ihren Ursprug ebenso in diesem Land wie die moderne Mystik, die moderne Theologie, die modernen Methoden der inneren Mission. In der kleinen Theresia von Lisieux schenkte Frankreich der Welt eine Heilige, die in ihrer Bedeutung nur noch durch Franz von Assisi übertroffen wird. Die moderne katholische Literatur Frankreichs wiederum hat einen noch kaum zu übersehenden Beitrag zur Redvristianisierung Europas beigetragen. Hier muß vor allem der Name Leon Bloy genannt werden: seine Bedeutung liegt darin, daß mit ihm die Rekatholisierung des literarischen Frankreich beginnt. Die moderne Literatur dieses Landes ist weitgehend von ihm abhängig und beeinflußt: Jacque Maritain findet durch ihn den Weg zur Kirche, Bernanos, der mit ihm die iberische Abstammung gemeinsam hat, wirkt oft nur wie ein Schüler, der — gereift — über seinen Meister hinausgewachsen ist. Henri Gheon, Daniel-Rops, Ernest Hello, sie alle stehen in seinem Bannkreis. Und selbst Paul Claudel, der als einziger von Bloy unbeeinflußt scheint — seine Werke, die immer irgendwie im Bannkreis der „Akademie“ stehen und vom Intellekt durchstrahlt sind und sich dadurch himmelweit von den Büchern Bloys, die ganz aus dem Gefühl und dem Gebet geschrieben sind, unterscheiden —, hätte lange in Frankreich nicht einen solchen Widerhall gefunden, wenn ihm Bloy nicht das Terrain geebnet hätte.

Der Katholizismus Bloys ist — lange vor der Katholischen Aktion — von einer unheimlichen Aktivität und Dynamik. Er nimmt das Wort des hl. Paulus: Tritt auf, sei es gelegen oder ungelegen, wortwörtlich ernst und wird ein — sehr ungelegener — Herold der Armen„ der Verzweifelten, der Gekränkten, der in der Gosse Liegenden, der Wehrlosen, der Ausgebeuteten, der Verhungernden, derjenigen, die Durst nach der Gerechtigkeit besitzen, der Verlassenen. Er schreit es hinaus, daß Christus für alle diese gestorben ist und nicht nur für die Saturierten, die Reichen, die Bourgeois. Er schreit es hinaus, in einer oft groben Sprache, in einer Maßlosigkeit, die treffen mußte. Er führt einen unerbittlichen Kampf für die Wahrheit, oft stöhnend und murrend gegen seinen Gott, der ihn selbst den Weg durch die Verzweiflung gehen ließ, damit er die anderen Verzweifelten zum Absoluten führen könne. .Mein Gott“, klagt er einmal, .du liebst die, die dich kreuzigen, und kreuzigst die, die dich lieben.“

Begreiflich, daß er Anstoß erregt. Als 1897 .La Femme pauvre“ erscheint, schildeit .Echo de Paris“ ihn als einen .schleimigen und widerlichen Frosch“, als ein .übles Subjekt, einen gemeinen Kerl, einen Lumpensack, einen wüsten Schimpfer, einen Schreiber unanständiger Geschichten“. Begieiflich, daß die Welt“ an diesem unangenehmen Mahner vorübergehen will und ihn boykottiert: trotzdem er fast vierzig Werke verfaßt hat, ist der Ertrag seiner Arbeit so gering, daß er ständig am Verhungern ist. Zwei seiner Kinder gehen an Unterernährung zugrunde, einmal muß er die Möbel verheizen, weil kein Geld da ist, um Holz zu kaufen. Müd' klagt er eines Tages einem Freund, daß zweihundert Jahre vergehen würden, ehe seine Werke jene Wirkung ausüben werden, die ei gewünscht habe. Allerdings, setzt er in weiser Selbsterkenntnis hinzu, habe er ja nichts unterlassen, um den Mißerfolg seiner Werke sicherzustellen. Bloy irrte sich: nicht zweihundert Jahre mußten vergehen, sondern nur zwanzig Jahre, ehe sein Werk weltberühmt wurde. Berühmt werden mußte: denn an diesem .rocher de bronce“ konnte weder Frankreich noch die Welt vorübergehen. An die sem Geist schieden sich wirklich die Geister.

Und n einer Zeit, da es notwendig ist, eine Unterseheidnug der Geister zu treffen, wird auch die deutschsprechende Welt mit Bloy bekannt. Als 1921 die erste Übersetzung der .Femme pauvre“ in einem Schweizer Verlag erscheint, versickert sie, ohne merkbare Spuren zu hinterlassen. Erst nach 1933, nach dem Aufkommen Hitlers, beginnt sich ein reges Interesse für den Dichter zu regen: 1934 erscheint in Österreich (A. Pustet) In dem Buch „Geister, die um Christus ringen', das Karl Pfleger herausgibt, eine Skizze über Bloy. 1936 bringt der gleiche Verlag jenes Werk heraus, das ihn mit einem Schlag in der deutschen Welt berühmt macht: es sind die Briefe an seine Braut. Das nächste Jahr bringt, wieder im gleichen Verlag, das Buch „Das Blut der Armen“. Dann unterbricht der Krieg die Herausgabe weiterer Übersetzungen. Jener Krieg, der Ernst Jünger nach Paris verschlug, um ihn dort das Oeuvre Bloys in die Hände zu spielen und ihn mit einem Schlag zu einem der begeistertsten „Jünger“ des Dichters werden zu lassen. „Ich möchte nicht verfehlen“, schreibt er in den „Strahlungen“, „die Deutschen auf Bloy hinzuweisen, obwohl ich stärksten Widerspruch voraussehe. Ich hatte den gleichen Widerwillen zu überwinden, man muß indessen die Wahrheit nehmen, wo man sie trifft. Es steckt ein echtes Arkanum gegen die Zeit und ihre Schwächungen in seinem Werk.“ Es bedurfte nicht erst des Hinweises Jüngers, das Werk setzte sich von selbst durch kurz nach Ende des Krieges erscheinen die „Brautbriefe“ in neuer Auflage, dann bei Herder, Wien, die „Briefe an Veronika“ mit dem Vorwort Maritains sowie die „Exegese der Gemeinplätze“, schließlich bei Eugen Klett in Stuttgart im Jahre 1950 neuerlich „Fa Femme pauvre“, diesmal unter dem Titel „Die Armut und die Gier“, während gleichzeitig Glock und Stutz in Nürnberg seine Tagebücher herausgeben. (In Parenthese sei hier nur bemerkt: der Freund Bloys wird es bedauern, daß sein Werk so zersplittert erscheint; wäre nicht einmal eine Ausgabe seiner wichtigsten Werke in gemeinschaftlicher Arbeit der beteiligten Verlage möglich?)

„Die Armut und die Gier“, die 1897 unter dem Titel „La Femme pauvre“ erschien, der zweite Roman des Dichters — vorausgegangen war der „Verzweifelte“ — ist ein seltsames Gebilde: es ist eine Summe dessen, was Bloy denkt und ist. Weite Strecken des Buches sind reine Autobiographie, wie übrigens fast alle seine Werke. Der Faden der Handlung scheint oft abzureißen, wird zumindest unterbrochen, durch großartige Abhandlungen, Reden, Einschübe die wie erratische Blöcke aus dem Buch herausragen. Der Roman selbst behandelt die Geschichte eines Mädchens, das aus der Gosse kam und den Weg zur Heiligkeit findet, um dadurch gleichzeitig wiederum die Würde der Frau zu erlangen. Ein moderner Magdalenenroman, über den als Motto der seither berühmte Satz aus dem Inhalt dieses Buches angebradit werden könnte: „Je heiliger eine Frau wird, desto mehr wird sie Frau, oder wie es unübertrefflich im Französischen heißt: Plus eile est sainte, plus eile est femme.“ Am Ende des Buches befindet sich der — seither ebenfalls berühmt gewordene — Satz, der die Quintessenz vom Leben und Werk des Dichters Leon Bloy enthält: „Er gibt nur eine Traurigkeit: kein Heiliger zu sein.“

Daß Frankreich, daß Deutschland, ja daß Europa sich immer mehr dieses „Dichters des Absoluten“ zu erinnern beginnt, ist ein gutes Zeichen: denn es ist das Zeichen, daß Europa bereit ist, ebenfalls die Pilger-chatt des Absoluten anzutreten.

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