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Der Dichter zwiscken Himmel und Erde

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Ein Dichter war gestorben, und er hatte das, wenn man so sagen darf, in aller Stille und Bescheidenheit besorgt. Der Absdiied vom Leben war ihm nicht leicht gefallen, obgleich er von ihm mit irdischen Gütern keineswegs verwöhnt worden war. Er hatte es aber längst gelernt gehabt, dergleichen nicht zum Maßstab seiner Lebensfreude und Lebensschätzung zu machen. Und überdies war er ja auch von jenem sanften seligen Wahn befallen, der das Kennzeichen aller echten Poeten zu sein scheint, daß nämlich die ganze Welt, sobald sie von ihnen erkannt wird, ohnehin ihr eigen sei und daß es daher auf den kleinen Unterschied zwischen Betrachtung und Besitz schon gar nicht mehr ankommt.

Kaum daß der Dichter also seine hellen Augen für immer geschlossen, nahm er schnurstracks den Weg in den Himmel, was ja gleichfalls ein Zeichen seiner Harmlosigkeit und romantischen Lebensauffassung war. Weil er nämlich zeitlebens bemüht gewesen, stets nur das Schöne und Erhabene auf Erden zu suchen und er die Dunkelheiten des Lebens nur hingenommen, weil Licht ohne Schatten nicht sichtbar ist, glaubte er, sich den Himmel redlich verdient zu Jiaben.

Die Reise vollzog sich übrigens mit solcher Geschwindigkeit, daß ihm zur näheren Betrachtung nicht viel Zeit blieb. Im Reiche jenseits des Menschlichen sind ja auch sämtliche menschlichen Maße aufgehoben, mit denen wir die Kleinheit unseres Daseins prüfen, das wir für so groß und wichtig halten Ähnliches hatte der Dichter übrigens vorausgeahnt, und so kam es, daß sein kosmischer Flug durchs Universum, der an Eile ebenso unmeßbar war wie das Weltall selbst, ihn ob seiner Befreiung von jeglichem irdischen Zweifel und Zwiespalt mit unaussprechlichem Glücksgefühl erfüllte.

Wie lange die himmlische Reise des Dichters dauerte, das war, wir deuteten es schon an, mit irdischen Maßen nicht zu messen. Es mochten Sekunden, es machten Jahrmillionen sein, vor der Ewigkeit ist es immer das gleiche.

Für uns entscheidend ist nur dieses, daß er endlich oder sogleich, was hier dasselbe ist, vor der Schwelle des Himmels ankam. Sein Auge wurde von Strömen einer Helligkeit betroffen, die er auf Erden weder erfaßt noch ertragen hätte. Sein Ohr vernahm ein Brausen erlöster Harmonien, das ihn bei höchster Seligkeit zugleich auch völlig wunschlos werden ließ.

Doch da er nun im Begriffe war, die lichtgesättigte Schwelle zu überschreiten, fühlte er sich plötzlich von einer Schar von Schatten in Menschengestalt umringt und zurückgehalten, die ihn wunderlich bekannt anmuteten, obgleich er sich ihre Anwesenheit nicht zu deuten wußte. Auch verspürte er, wie alles alte Leid und alle irdische Beklemmung ihn aufs neue zu bedrücken begannen, wobei allerdings auch viel an süßer Wehmut und Erregtheit des Herzens dabei war.

„Was wollt ihr?“ sagte er zu den Schatten. „Ist es des Menschlichen nicht schon genug?"

„Wir haben dich hier erwartet“, sagten die Schatten. „Wir können ohne dich nicht sein und du nicht ohne uns. Du hast uns in die Welt gesetzt, du hast uns das Leben gegeben und hast uns auch sterben lassen. Wir sind Kinder deines Geistes, du hast uns wohl die Last des Ix?bcns aufgebürdet, hast aber nicht zugleich für unsere Erlösung gesorgt.“

Jetzt wußte der Dichter, wen er vor sich hatte. Es waren die Gestalten aus seinen eigenen Werken, die er einst kraft seiner Phantasie erschaffen, mit seinem Geiste erfüllt, mit seinem Herzblut ernährt hatte, Menschen, leibhaftige Menschen, die er wie seinesgleichen auf Erden hatte wandeln lassen, an

Hoffnungen sich klammernd, an Liebe sich entzündend, mit Lebensfreude und Leid er füllt wie er selbst.

Und nun, im Augenblick, da er wieder an das Irdische gemahnt war, erfüllte auch jähe Schöpferfreude wieder sein Herz. So stark und wahrhaftig hatte er also zu schaffen vermocht, daß dte Gestalten seines Geistes nicht sterben konnten und als Schatten weiterwandeln mußten bis an die Grenzen des Ewigen?

Nicht ohne Stolz betrachtete er sie jetzt. Da war das junge Mädchen, das seine Sehnsucht einst mit allen Wundern holder Weiblichkeit erfüllt hatte Sie mußte allerdings sterben, weil seine Dichtung es so verlangte, obgleich ihm das Herz nicht wenig dabei geblutet hatte Und er hatte es eigentlich gar nicht gewollt. Er war jedoch dazu getrieben worden durch das barte und unerbittliche Gesetz seiner Kunst.

Da war der junge Offizier, der im Zweikampf gefallen. Auch um ihn war es wahrhaft schade. Mußte es zu diesem Zweikampf kommen, der zugleich auch das Lebensglück eines edlen jungen Weibes zerstörte? Es mußte.

Da war das andere junge Mädchen, fast ein Kind noch, das auf Erden nichts, aber auch wirklich nichts verschuldet hatte, eine rührend feine Menschenblüte, die vom Leben plötzlich Abschied nehmen mußte. Warum? Weil der Verlauf, weil das Gesetz seiner Dichtung es so verlangte Es mußte damals eine große Wehmut geschaffen werden als Ausklang eines ewig Unabänderlichen. da konnte keine Nachsicht, kein Erbarmen geübt werden Nicht ist grausamer als die Kunst. Das Mädchen mußte sterben.

Und so war es auch mit all den anderen, von denen er sich jetzt umringt sah

ihn immer dringender für sich in Anspruch nahmen, sie alle hatte er einst ins Leben gesetzt, eine Weile auf Erden wandeln lassen und dann — zum Tode verurteilt.

Aber — war das nicht sein gutes Recht gewesen? Konnte er nicht beseitigen, was er selbst geschaffen? Wo gab es da einen Richter und wo ein Urteil?

„Ihr seid die Kinder meines Geistes gewesen“, sagte er zu den Schatten, „Ergebnisse wäret ihr einer inneren Notwe

. Doch wäret ihr nicht mehr vorhanden, nachdem ihr eure Rolle ausgespielt. Ihr seid nur Ausgeburten meiner Phantasie!" „Du irrst!" riefen nun fast drohend die Schatten. „Du bist auch im Geiste nicht Herr über Leben und Tod. Immer wieder bekennt ihr Menschen euch zu der Herrschaft des Geistes und setzt ihn en Macht über alle Irdische. Dann aber wieder, wenn es euch nicht paßt, verleugnet ihr ihn. Welcher Geist war es, der dich schaffen ließ? War er dir nicht von außen gegeben und warst du nicht selbst sein Geschöpf gleich uns? Und also hast du deine Brüder gemordet nur um dessentwillen, was du Dichtung nennst.“

„Ihr seid doch irdisch nicht vorhanden gewesen", versuchte der Dichter sich zu rechtfertigen, „und ihr starbet also auch keinen irdischen Tod.“

„Alles Leben ist gleich lebendig, ob geistig, ob körperlich“, riefen die Schatten. „Weißt du denn nicht aus der Geschichte deiner Menschheit, daß oft ein einziges Wort im Geiste sich stärker bewährt hatte als die irdischen Taten von Millionen?“

Der Dichter wußte hierauf nichts zu entgegnen. „Was soll nun sein und was tut ihr hier?“ fragte er endlich beklommen.

„Wir wandern ruhelos zwischen Himmel und Erde“, klagten die Schatten. „Wir sind zu wesenlos, um in den Himmel einzugehen, und zu sehr mit Blut erfüllt, um ganz zu sterben, Wir warteten hier auf dich. Wir sind untrennbar mit dir verbunden"

Im Augenblick überkam den Dichter die furchtbare Wahrheit dieser Worte, Es konnte darüber kein Zweifel sein — was ihn hier heischend umringte, schattenhaft zwar und doch lebendig genug, um vorhanden zu sein, es war ein Teil seines Selbst, unlösbar mit ihm vereint, unfähig, verleugnet zu werden. Wollte er diese hier verneinen, verneinte er sich selbst! Unfaßlich erschien es

tzlich, allein durch die himmlische Pforte zu schreiten und die Geschöpfe seines Geistes zurückzulassen, deren Ruhelosigkeit er selbst verschuldet.

„Ich bekenne mich zu euch“, rief er kurz entschlossen, „Was immer auch werde, euer Schicksal ist das meine. Wie kann ich selig werden, wenn ich euch unselig weiß?“

Und schon wandte er der Himmelstür den Rücken und trat die große Reise in das Weltall wieder an, indes die Schar der Schatten sich an seine Fersen heftete und getreulich und wie blind vertrauend hinter ihm herzog.

Und es schien wohl so, als .wäre nun im unbegrenzten Raume, inmitten von Myriaden Sterngestalten und kosmisch beflügelter Wanderer, ein neuer kleiner Komet lebendig geworden, der, geheim und seltsam leuchtend, seine unaufhaltsame Bahn zog, auch er den ewigen Gesetzen folgend, nach denen die Uhr des Weltalls gerichtet ist.

Kreiste er nun Jahrmillionen so im Unfaßbaren oder waren es nur Augenblicke, kurz, er sah sich plötzlich wieder einmal vor die Himmelstür gestellt, und es blendete ijin noch stärkeres und überirdischeres Leuchten als vorher. Im Tor aber stand ein strahlender Engel, wie sein kühnster Traum ihn herrlicher nie geschaut und dieser rief mit einer Stimme, die alle Musik der Erde vergessen ließ: „Du hast die Prüfung bestanden. Selig wird, wer Treue geübt!“

Da wurde dem Dichter unsäglich leicht ums Herz, und als r Umschau hielt nach seinen Gefährten, die ihm so lange schattenhaft gefolgt, da sah er, daß sie nun verschwunden waren.

Ihm aber war, als vergangen ihm vor Seligkeit die Sinne, und das letzte, was er noch fassen konnte, war dieses: Göttlich ist das Denken, göttlicher noch, vom Zwiespalt des Denkens erlöst zu sein!

Und also zog er ein in das Schweigen der ewigen Wahrheit.

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