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Der edle Ritter und sein Feind

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DER PASCHA-GRAF: ALEXANDER VON BONNEVAL. 1675 bis 1747. Von Heinrich Benedikt. Hermann Böhlaus Nachfolger, Graz 1959. 216 Seiten, 5 Abbildungen

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DER PASCHA-GRAF: ALEXANDER VON BONNEVAL. 1675 bis 1747. Von Heinrich Benedikt. Hermann Böhlaus Nachfolger, Graz 1959. 216 Seiten, 5 Abbildungen

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Es ist dem Autor dieses Buches eigen, unbekannte, aber wichtige Gestalten und Abschnitte der österreichischen Geschichte der Vergessenheit zu entreißen. Auch diesmal hat er das getan. Denn wohl hatte mancher den Namen des Renegaten Bonneval gehört; aber was konnte man sich dabei denken? Nun ja, ein Offizier, der als geborener Franzose zuerst in Österreich diente, dann mit dem großen Prinzen Eugen Krach hatte, dann gar Türke wurde: also der typische Abenteurer, meinetwegen pittoresk, also sagen wir ein Casanova oder Cagliostro mit dem Säbel an der Seite. Kein Name, ernsthafter Geschichtsschreibung wert.

Diesen Eindruck wird das vorliegende Buch umstürzen. Es ist ein ernsthaftes Geschichtswerk (jedes Kapitel bat eigene Quellen und Literatur), und es handelt von wichtigen Teilen der österreichischen Geschichte. Ja, fast möchte man sagen, es ist der allerwichtigste Moment der österreichischen Geschichte, in den der Renegat Bonneval eingegriffen hat! Wir wollen diese Behauptung erklären: die wichtigste Wende in der Geschichte des Erzhauses war doch wohl jener Regensburger Tag, an dem es sich entschieden, hat, daß die Habsburger nicht Erbkaiser eines einigen Deutschland, nicht Oberhäupter einer einigen katholischen Christenheit werden sollten. Damals begann der Mißerfolg der westlichen, der deutschen Aufgabe Österreichs. Es blieb die Befreiung der Südslawen, der Marsch nach der Konstantinsstadt. Dieser Triumphalweg schien den kaiserlichen Fahnen offen, als der Friede von Passarowitz weite serbische Gebiete an das Erzhaus brachte. Gesichert schien eine Zukunft, die aus Österreich das Ostreich machen würde. Und was ist geschehen? Österreich verlor den nächsten Türkenkrieg; es verlor, unter Kaiser Karls Enkel, auch seinen letzten Türkenkrieg; es verzichtete endlich! Und so kam es, daß ein russischer Kaiser der „Car-Befreier“ wurde; so kam es, daß Österreich als Verbündeter des Großtürken, als Gegner der Serben in seinen Todeskampf ging ...

Und warum ist es so gekommen? Wer hat die Besiegten von Zenta zu neuen Siegen geführt? Das sagt uns eben dieses Buch: der Graf von Bonneval. Aber warum hat er das getan? Da wird wieder ein unbekannter Winkel österreichischer Geschichte durchleuchtet.

Es ist ganz in Ordnung, wenn man Prinz Eugen als österreichischen Helden feiert. Der gegenwärtige Rezensent ist ganz gewiß der letzte, der das anders haben möchte (schon aus Regimentsanhänglichkeit). Wer von uns spürt im Rhythmus des Prinz-Eugen-Liedes nicht das Tänzeln der Pferde, die ungeduldig die Gebisse schütteln und mit den Beinen ausgreifen auf dem Weg, der donauabwärts führt, weiter und weiter ... Der einmalige Moment österreichischer Hoffnung klingt in diesem Lied nach, der Moment, da man schon Karl VI. in der Sophienkirche gekrönt zu sehen hoffte. Man soll ihn also feiern, Prinz Eugen, den edlen Ritter. Nur mit einem Vorbehalt. Zwischen patriotischer Romanlektüre für die reifere Jugend und geschichtlicher Forschung für Erwachsene' muß ein Abstand gewahrt werden. Sieht man sich aber den Savoyer aus der Nähe an, dann sieht man auch die Schatten in diesem strahlenden Bild. Und kein österreichischer Patriotismus könnte es rechtfertigen, daß man sie hinwegretuschierte. Da hilft nun die Geschichte Bonnevals sehr wesentlich, den Charakter des Prinzen Eugen klarer zu sehen.

Wir wollen die spannende Erzählung des Buches nicht vorwegnehmen. Wir wollen ja, daß viele dieses unterhaltende und dennoch wichtige Buch in die Hand nehmen. Also wollen wir hier nicht verraten, wie es zugegangen ist. Nur soviel: Bonneval hatte an Eugen ein Unrecht zu rächen. Das war der Grund, den er hatte, um den östlichen Teil von Eugens Lebensarbeit zunichte zu machen. Und dadurch sehen wir auch, wie die bisherige österreichische Geschichtsschreibung dem Kaiser Karl VI. nicht gerecht worden ist. Man ist da oft nach dem Schema vorgegangen, welches — ich sagte es schon — den Romanen für die reifere Jugend entspricht. Der Held hat recht: wer ihm in den Weg tritt, ist ein Schurke oder zumindest ein Trottel. Also — Karl VI., der dem Savoyer nicht immer den Willen tat, mußte doch wohl ein Trottel gewesen sein; und die spanische Partei an seinem Hof waren die Schurken. So einfach ist es eben nicht gewesen — was uns schon die früheren Arbeiten des Autors gezeigt haben. Karl VI. war gerade darum ein großer Herr, weil er seinen spanischen Getreuen die Treue hielt. Und — nun ja: der Sohn der Giftmischerin war auch ein großer Herr und ein großer Soldat dazu, und ein großer Kunstfreund; nur ein kleiner Heiliger war er halt nicht!

Das sind nur so die wichtigsten Gedanken, die einem beim Lesen dieses Buches kommen. Es kommt darin alles mögliche vor, was spannend zu lesen ist; zum Beispiel — wissen Sie, woher die Harzer ,-Kanaris, kpmmgn? Hier.^eht es 0z -iese >ni-Doch lassen wir die Einzelheiten,1 <so pittoresk“und* fesselnd sie auch sind! Am meisten Interesse bieten doch die Ausblicke auf weitere Zusammenhänge. Welches Licht wirft doch auf manches mitteleuropäische Problem Bonnevals Erläuterung an den Großwesir,

„daß es unstreitbar im Interesse der Hohen Pforte gelegen ist, daß Ungarn seine Freiheit und alten Privilegien wieder erhält und niemals mehr an einen König gelangt, der in Deutschland oder anderswo Länder besitzt. Wenn Ungarn der Erzherzogin Maria Theresia als einziger Besitz verbliebe, wäre dies für die Hohe Pforte von Nutzen ...“

Zwar ist das eine handgreifliche Weisheit, welche von den freien Königswählern Ungarns seit Zäpolyas Zeiten immer wieder zur Geltung gebracht worden ist. Auch der korsische Eroberer hat ja die Ungarn aufgerufen, sich nach der Väter Sitte zu versammeln und einen nationalen König zu wählen . . .

Man wird nicht oft auf ein Buch treffen, m dem einzelne Beobachtungen aus den Verhältnissen vergangener Zeiten und Ausblicke auf säkulare Entscheidungen in so bunter und anziehender Mischung verbunden sind.

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