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„Der Engel mit der Posaune“

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Nach der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen und der Aufführung in der Schweiz wird der Wiener Film „Der Engel mit der Posaune“ nach dem Roman von Ernst Lothar nunmehr auch in Wien gezeigt.

Es ist vielleicht eines der wesentlichsten Dinge, die den Film von den anderen Künsten unterscheiden, daß er uns nicht als die Schöpfung des einen und einzigen, sondern als die Summe einer Zusammenarbeit von ganz verschieden veranlagten und interessierten, künstlerisch angehauchten und völlig amusischen Menschen entgegentritt. Wenn also ein Werk wie Ernst Lothars „Der Engel mit der Posaune“ erscheint, so ist wohl das Buch des Verfassers in seiner Absicht und seinem Ergebnis, seinen Schwächen und Vorzügen deutlich zu fassen. Es hat denn auch; in letzter Zeit im In- und Ausland nicht daran gemangelt? und auch n dieser Stelle ist klar und entschieden gesagt worden, was dazu zu sagen war. Schwieriger liegt der Fall beim Film „hach dem Roman von . .." Es ist kennzeichnend für den fatalen Verlust des Einheitlichen und Persönlichen, wenn der Film gleich in seinem wichtigsten Belang, dem Buch Drehbuch, zwei Verfasser nennen muß, Karl Hartl und Franz Tassi4- Beide, der verbindliche Regietonfall des einen und die journalistische Pointiertheit des anderen, sind allerdings im Film auch von ungeübten Ohren unschwer zu trennen. Wer zudem Bescheid darüber weiß, wie viele Köche gerade bei so politisch engagierten Filmen mitrühren, der wird nicht weiter über das katastrophale Ausmaß erstaunt sein, in dem dieser Brei verdorben wurde. Dieser Film sichert, ständig auf der Hut und wie in Angst vor sich selber, nach allen Seiten. Er möchte — Verneigung zur Mitte hin — den Freunden der alten Monarchie nicht so ganz wehtun, was Lothar, ohne viel Federlesens und mit einer Art lustvollen Grausamkeit getan hat; er verwischt ferner — Kopfwendung nach links und rechts — die Ermordung Dollfuß’ fast völlig, wogegen bekanntlich Lothar an diesen Stellen des Buches, fast den Vorwurf eines Mitgefühls für den ermordeten Kanzler riskiert hat… Ein Brosamen fällt auch für den parteiprogrammatischen Pazifismus ab, denn dieselbe künstlerische Energie Regie, die vor .17 Jahren mit einem zünftigen Kaiserjägerfilm ein patriotisches Publikum begeistert und ganze „Berge in Flammen“ versetzt hat, bläst heute aus vollen Backen in die Posaune des gründlich gewandelten Friedensengels und höhnt auf „Gott, Kaiser und Vaterland“. Diese Worte im Munde des späteren Naziagitators Hermann Alt sind eine besonders hämische Randglosse des Films. „Laß Gott dabei aus dem Spiel!", heißt es im Film darauf. Man fühlt sich gedrängt, dieses Wort — in anderem Zusammenhang — den Schöpfern dieses Films nachdrücklichst zurückzugeben! Und schließlich operiert der Film dem Ende des Romans — und Lothar meinte tatsächlich ein besonderes Ende, nämlich Österreichs — einen nicht unbeträchtlichen Appendix an, in dem ein fast alle befriedigendes und befriedendes unbestimmtes neues Lebensgefühl vorgetragen wird. Hier ei loyalerweise zugegeben, daß eine Verneigung auch zur dritten österreichischen Partei im Film nicht eigentlich sichtbar ist. Damit bricht der Film wohl dem unheilvollen Konzept des Romanverfassers die schärfsten Zähne aus, versinkt aber zugleich in eine Sphäre privatester, rühtsamer Familienchronik, die nichts, aber auch schon gar nichts Wesentliches darüber sagt, worüber sie hätte aussagen müssen: über Österreich.

Die Handlung des Films, die Geschichte eines Wiener Patriziengeschlechts, in dessen typischem Schicksal sich die Tragik einer Epoche hätte spiegeln sollen, darf nach der vorausgegangenen Diskussion in der Öffentlichkeit in ihren wesentlichen Zügen als bekannt vorausgesetzt werden. Regie Karl Hartl und Kamera des Films verkörpern sauberes Handwerk und überdurchschnittliches Können, ohne besondere Note Der künstlerische Abstand zu heimischen Erzeugnissen, wie „Der Leberfleck“ und „Wer küßt wen?“, ist jedoch eindeutig gegeben. Schlechthin großartige Maskenkunst unterstützt das vollendete Spiel der Darsteller, unter denen besonders Attila Hörbiger höchste Wiener Spieltradiition verkörpert. Die Rolle Paula Wesselys leidet daran, daß ausgerechnet dieser einzigartigen Wiener Frau und Künstlerin die bösartigsten Sätze über den alten Kaiser, den „Rindfleischesser“, aus dem Buche Lothars und aus dem Fleißaufgabenheft der beiden Drehbuchautoren in den Mund gelegt werden — sie nehmen sich, darin, wienerisch weich ver- schliffen, wunderlich genug aus. Die Illustrationsmusik zieht heran, was heran geht, Eigenes und anderes, Horst-Wessel-Lied und „O du mein Österreich“. Die wesentlichste Melodienaussage der geschilderten Zeit, die Haydn-Hymne, wird zwar nicht durch Mo~. zart ersetzt, aber doch schamhaft versdtwic- gen. Aber gerade dadurch, daß die Posaune hier schweigt, ist sie einen Augenblick lang unfreiwillig ehrlicher als überall dort, wo sie laut dröhnt. ..

An einem anderen Problem zerbricht ein zweiter österreichischer Film, „Die Frau a m W e g". Der ehrgeizige, von ferne literarisch angehauchte Stoff, der im Rollenaufbau irgendwie an die dämonische Geometrie des „Weibsteufel“-Dreiedcs erinnert, berichtet von einem österreichischen Grenzgendarmen, der etwa ein Vierteljahr nach dem März 1938 durcH die schuldhafte Leidenschaft seiner Frau zu einem im Hause versteckten politischen Flüchtling in einen Konflikt zwischen Pflicht und Menschlichkeit gerät. Nu? so ist ohne Zweifel das Thema an der Wurzel aufzufassen. Doch spielt der Film verhängnisvoll Wolkenschieber und verrückt den Schwerpunkt des Problems auf die intim-„intercssantere“ unruhige Seelenlage der Frau, die aus bürgerlicher Scheinruhe erwacht, sich innerlich, und äußerlich von dem Gatten löst und schließlich nach seinem gewaltsamen Tode tief Atem holend mit „dem anderen“ über die Grenze geht. Dieser dramaturgisch und ethisch unbefriedigende Schluß versetzt der sauberen psychologischen Exposition förmlich einen Stoß, durch den der ganze Film ins Wanken gerät. „Die Frau am Weg?“ Diesem sonst sehr ernstzunehmenden, ernst gespielten Film und seinem männlich-harten Thema stand die Frau im Weg.

In der zweiten Hälfte der Sowjet- Filmfestwoche folgten die Filme „Der Dichter Alischer Nawoi“ und „Das Leben eines großen Forschers“ der Linie des hier schon beurteilten „Der Chirurg Pirogow“, „Die ferne Braut“ dem „Lied von Sibirien“. Eine Sonderstellung nahmen die beiden Dokumentarfilme „Ein Tag in der Sowjetunion“ und „Moskau — die Hauptstadt der UdSSR“ sowie der pädagogische Problemfilm „Erziehung der Gefühle“, eines der interessantesten Werke der Festwoche, ein. Jeder Abend war durch einen Kulturfilm einbegleitet. Auf diesem Gebiet er- wiesen sich die Russen als unerreichte Meister des anspruchsvollen Themas und hochkünstlerischer Farboptik. So vermittelte gerade dieser schöne, stilvolle Rahmen den reinsten, stärksten Eindruck: jedem Freund des österreichischen Film mag das Herz geblutet haben angesichts so überzeugender Erfolge staatlicher Filmförderung der Russen auf diesem Gebiet, denen die vorwiegend bis ausschließlich kommerziell bestimmte Geistigkeit unserer heimischen Privatproduktion im Kulturfilm nichts Ähnliches entgegenzusetzen hat.

Ein Blick auf das künstlerische Gesamtergebnis der Festwoche bestätigt die Tat- sache, daß Sowjetrußland mit ungeheurem Auftrieb bemüht ist, den Vorsprung der anglo-amerikanisch-europäischen Filmtradition aufzuholen. Die Einwände gegen die materialistische und parteipolitische Grundfarbe des Weltbildes des sowjetischen Films bleiben ohne Einschränkung aufrecht. Dagegen gebietet die Sachlichkeit, auch eine Reihe von Vorzügen anzuerkennen: die Würde und Sauberkeit der Filmfabel, die volkstümlichen Züge seines sehr realistischen Kunststiles und schließlich den Zug von grundsätzlicher Lebensbejahung und Lebensbehauptung, der sich deutlich von der morosen Atmosphäre gewisser Erzeugnisse anderer, überreifer Filmnationen abhebt. Hier steht tatsächlich, wie ein Sprecher der Festwoche einmal im Sinne der russischen Doktrin freilich etwas zu verallgemeinernd darzustellen versuchte, eine neue naive Dynamik gegen die „Krise des Fortschrittsglaubens“ in anderen Zonen der Erde auf. Die Entscheidung in so wesentlichen Anliegen der Gegenwart und Zukunft mag nicht auf dem Gebiete des Films fallen: ihre Alarmsignale aber blitzen unruhig ge- witternd über die Leinwand. Sie dürfen nicht übersehen werden.

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