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Der Erneuerer des Chassidismus

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Was im Europa des letzten Jahrhunderts gemeinhin als Judentum aufschien, kann nicht mehr als kräftige und ursprüngliche Glaubensgemeinschaft noch auch als richtiges Volkstum betrachtet werden. Der Zersetzungs- und Assimilationsprozeß hatte die im Ghetto noch bestehende Einheit aufgelöst. So wurde das 18. Jahrhundert zum Wendepunkt, indem die mittelalterliche orientalische Form zerbrach und unterging. Zwei Strömungen erfaßten das eine neue Gestaltung suchende Judentum, die Aufklärung und der Chassidismus, die zwar in ihrer Art entgegengesetzt waren, aber beide eine neue Lebensa-nschauung bedeuteten.

Die Aufklärung ließ in die bisher abgeschlossenen Bezirke das europäische Kulturgut einströmen und erfüllte den modern gewordenen Juden. Er assimilierte sich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwachte eine Generation, welche an der geistigen Welt, der die Assimilation der Juden als Selbstverständlichkeit erschien, zu zweifeln begann und sich dem Zionismus zuwandte, der in erster Linie' ein geistiges Erlebnis bedeutete und noch lange keine Auswan-deYungsfrage war.

Martin Buber, am 8. Februar 1878 in Wien geboren, verkörpert das geistige Erwachen dieser Generation. Nach Kinderjahren in Lemberg, im Hause seines Großvaters, studiert er seit 1896 an der Wiener philosophischen Fakultät. Den seelischen Hab'tus jener Zeit verkörpert Schnitzler, der in seihem „Paracelsus“ einmal sagt: „Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug.“ Und Buber, der die Spannweite der alten Monarchie an sich erlebte, bewahrte sie in seiner seelischen Entwicklung ebenso, wie in der gefühlsmäßigen Betonung, die er der logischen Schärfe stets vorzog. Die Philosophen Jodl, Müllner wie die Kunsthistoriker Wickhoff und Riegel vermittelten ihm die ersten Eindrücke, indessen er später in Berlin durch Dilthey und Simmel auf das mystisch-pietistische Denken hingewiesen wurde. liier wird Buber mit dem Zionis-

mus bekannt, der ihn wieder an den Lemberger Lebenskreis erinnert. Damit wird er zum Rufer nach einer Erneuerung des Judentums, zum Träger eines überzeitlichen geistigen Programms, das begreiflich machen will, was Religion ist und bedeutet. In diesen Gedanken wandte er sich der zionistischen Bewegung zu. Theodor Herzl, ein Wiener Journalist, hatte mit seinem Buche „Der Judenstaat“ ein Programm aufgestellt, das in Palästina den neuen jüdischen Staat . mit jüdischer Kultur und Art sah und erstrebte.

Allein die rein politische Aufmachung und Zielsetzung erschien Buber nidit genügend, er glaubte an ein bedeutungsvolleres Faktum, an eine geistige Renaissance.

Die Grundlage hiezu fand er in dem verborgenen und teilweise verschütteten Leben der alten jüdischen Überlieferung, im Kennenlernen des Volkstums und seiner Literatur und in seinen schöpferischen Urkunden, die noch im Osten gehütet wurden. Buber bahnte sich den Weg dazu durch das Studium der hebräischen Sprache und fand 1904 zurück Zum Chassidismus. Dieser war eine mystische Religiosität, eine der Welt zugekehrte freudige Mystik. Er entstand um die Mitte des 18. Jahrhunderts im polnischen Judentum; nicht als neue Religion, nicht als eine Reform des Judentums, sondern innerhalb desselben unter voller Anerkennung der jüdischen Überlieferung und Lehre. Aus diesem bis dahin gewordenen Zustand suchte er eine neue Unmittelbarkeit zu Gott und eine seelenvolle Innigkeit zu finden und bewußt wieder in die Allgerneinheit hineinzutragen. Es trat gegenüber dem Rationalen das Irrationale in den Vordergrund, die Zwiesprache mit Gott, das mystische Erlebnis der Religion.

Buber begann die alte Form des Chassidismus neu zu beleben und dem Bedürfnis der Gegenwart entgegenzukommen. Die drei entscheidenden Elemente sind die Weltfreudigkeit und Weltfrömmigkeit, eine tätige Bereitschaft und Bereitung und seine Gegenwärtigkeit, sowie seine individuelle

objektiv-intentionale Ethik. Er selbst sagte

in einer Rundfunkansprache: „Der Chsesi-dismus erneuert die Einsicht in die mit dem rückhaltlosen Lebenseinsatz zu wagende Gegenseitigkeit, in die dialogische Beziehung des ungeteilten Menschen, zum ungeteilten Gott, in der Fülle der irdischen Gegenwart und ihrer unvorhersehbaren uns Augenblick um Augenblick antretenden Situationen; die Einsicht in jene Scheidung von „Geheimnis“ und „Offenbarung“ und jene Vereinigung beider in dem nicht wißbaren, nur immer wieder erfahrbaren Ich werde da sein die Einsicht in die Wirklichkeit der Begegnung.“ (Kampf um Israel, Berlin, 1933, S. 45.)

In einer Jugendversammlung in München 1930 erklärte er: „Der Chassidismus lehrt, es komme darauf an, wie ein Mensch das tut, was er eben tut. Heiligung, Weg zu Gott, das bedeutet, daß der Mensch das, was er jetzt und hier zu tun hat, in Reinheit und Heiligung tut. Das Wesentlichste vom Menschen aus für die Verbundenheit zwischen Mensch und Gott, ist immer das, womit der Mensch sich in dieser Stunde abgibt, die Augenblicksverantwortung des Menschen, die Antwort, die der Mensch jederzeit geben kann auf das, womit Gott ihn gerade anspricht. Durch das, was uns Stunde um Stunde unseres Alltags in der Tretmühle widerfährt, spricht Gott uns, eben uns, an, und wir können ihm antworten durch das, wie wir da, in der Tretmühle, leben in den Möglichkeiten dieses Raums, dieser Zeit und dieser Situation. Da können wir die Heiligung üben, da können wir zu Gott hin. Wenn da nicht, dann nirgends“ (a. a. O., S. 279/80).

In ihm wird die Unerlöstheit des Judentums wieder deutlich und er spürt- den Brennpunkt der jüdischen Seele mit dem Grundgefühl, „daß die erlösende Kraft Gottes überall und immer wirkt und daß doch nirgends und niemals ein Erlöstsein besteht. Der Jude erfährt als Person, was jeder aufgeschlossene Mensch als Person erfährt: in der Stunde der tiefsten Verlassenheit das Angewehtwerden von drüben her, die Nähe, die Berührung, die Heimlichkeit des Lichtes aus der Finsternis; und der Jude erfährt als Teil der Welt, -so heftig wie vielleicht .kein Teil der Welt sonst, ihre Unerlöstheit. Er spürt diese Unerlöstheit an seiner Haut, er schmeckt sie mit seiner Zunge, die Last der unerlösten Welt liegt auf ihm. Von diesem seinem leiblichen Wissen as kann er nicht zugeben, daß die Erlösung geschehen sei: er weiß, daß sie nicht geschehen ist“ (a. a. O., S. 59/60).

Weil der Chassidismus eine geistige Bewegung ist, deshalb stand Buber von .allem Anfang an den rein politischen Bestrebungen des Zionismus seit den Tagen Th. Herzls abhold gegenüber. Als am Ende des ersten Weltkrieges das Problem des Judenstaates zur Sprache kam, wendete er sich gegen die Vertreter eines jüdischen Staates nach der Art der anderen Völker.

Er weist darauf hin, daß kein Volk der Erde wirklich souverän sei, sondern, „daß souverän einzig der Geist ist. Der Geist aber, der den Lehmkloß der Völker zu Gestalten bildet, ist einer und unteilbar. Solange die Völker sich seinem Gebote entziehen und im Rücken des Unbedingten leben, werden sie einander aufzehren; je mehr eins seine Liebe verwerfen und den Erfolg wählen wird, um so nichtiger wird es vor der Ewigkeit werden. Welches aber als erstes' sich dem Taumel entwindet und zu seinen Füßen hinstürzt, das wird er an seine Hand nehmen.“ v

So findet Buber für das Siedlungswerk in Palästina ein Losungswort: revolutionäre Kolonisation. In Zusammenarbeit mit den Arabern soll dieses Werk gelingen. „In einem gerechten Bund mit dem arabischen Volke wollen wir die gemeinsame Wohnstätte zu einem wirtschaftlich und kulturell blühenden- Gemeinwesen machen, dessen Ausbau jedem seiner nationalen Glieder eine ungestörte autonome Entwicklung sichert. Unsere Kolonisation, die der Rettung und Erneuerung unseres Volkstums allein gewidmet ist, hat ja nicht die kapitalistische Ausbeutung eines Gebietes zum Ziel, und dient nicht irgendwelchen imperialistischen Zwecken, ihr Sinn ist die schaffende Arbeit freier Menschen auf gemeinschaftlicher Erde“ (a. a. O., S. 340).

Auf dem Zionistenkongreß in Karlsbad (1921) redet er gegen den politischen, souveränen und autonomen Nationalismus, der seine Wandlung zu vollziehen hat in einen dienenden, religiösen und volkhaften Lebens- und Kulturzusammenhang. Palästina soll kein Judenstaat werden, wie der politische Zionismus geglaubt und auch kein kulturelles ausstrahlendes Zentrum, wie es der Kulturzionismus erhofft hatj sondern eine Lebenswirklichkeit des Judet

twtns, das in seiner Ganze aa Palästina teilnimmt. Jeder soll durch sein individuelles Werk, durch sein persönliches Leben mit Palästina verbunden sein — der, der dort lebt und der, der von der Diaspora aus mitwirkt. Dies soll nicht in einer zentralisti-schen schematischen Weise vor sich gehen, sondern durch persönliche innige Anteilnahme an bestimmten Arbeiten, Dörfern, Gruppen, Menschen, zwischen denen und ihm eine stete innige Verbindung, ein lebendiger Austausch stattfinden wird.

Denj Mittelpunkt stellt der geisterfüllte Gerechte, ■ der Zaddik dar. Seine Macht über die Gemeinschaft beruht nicht auf Zwang und Gewohnheit, nicht auf Abhängigkeit und Zweckmäßigkeit; er übt die legitime Macht aus, die einzig legitime Macht, die Macht des Geistes und der Hilfsbereitschaft, die auf freiwilliger Anerkennung beruht. Hier erfiält die Rede Bubers einen prophetischen Ton, wenn er von der neuen Gemeinschaft fordert: „Die Beziehungen zwischen den Menschen müssen sich verwandeln, damit aus ihnen wahre Wandlung der Gesellschaft, wahre Wiedergeburt geschehe“ (a. a. O., S. 196).

Das persönliche Leben des einzelnen muß sich in die Gemeinschaft einbauen und nur in ihr: kann er wirklich leben. Hier in der religiö$en Gemeinschaft vollzieht sich der wahre Sozialismus, weil er* auf der Religion beruht. Der „moderne Sozialismus“ ist nach Buber „eine Verkleinerung, Verengung, Verendlichung des messianischen Ideals, wenn auch von der gleichen Kraft, der Zukunftsidee getragen und genährt. Die Zukunftsidee wird sich über ihn hinaus wieder in das Unendliche, in das Absolute heben. Wir können ihre künftige Gestalt nur ahnen, aber unsere Ahnung ist selber ein Zeichen, daß auch diese idee des Judentums fortlebt, ein stummes unterirdisches Leben, und auf ihren Tag wartet, auf den Tag der Erneuerung“ (a. a. 0,r S. 61). Denn gerade in den „Ideologien jüdischer Sozialisten leben uralte messianische Träume fort“ (a. a. O., S. 2^12).

Immer mehr gewa'nn Buber Abstand von den aktuellen Fragen der Zeit, um zu dem Wesen der Dinge und des Seins vorzudringen. In seiner Wohnung in Heppenheim an der Bergstraße widmete er sich dem Studium der alten Texte und dem Geheimnis der Sprache. In der Bibel begegnet er dem lebendigen Wort und damit der Geschichte selbst. In ihr findet er den Sinn der Weltgeschichte. „Dieses konkrete Handeln, von Gott auf die Menschen, von den Menschen auf Gott zu, beides in und an dieser unseren sinnenfälligen Welt, dieses handelnde Zwiegespräch ist, von der Schrift aus betrachtet, eben das, was wir Weltgeschichte nennen“ (Kampf um Israel, S. 181). Damit findet er Gott selbst. Gott in aller Konkretheit als Sprecher, die Schöpfung als Sprache.

Zum Christentum fand Buber kein Verhältnis. Sein Hoffen ist nur eingestellt auf den „Kommeaden“, dem er sein großes Werk „Königtum Gottes“, Berlin, 1936, widmete.

Die Arbeit Bubers nach 1933 war hauptsächlich der Situation gewidmet. „Die Stunde und die Erkenntnis“ sind die Reden und Aufsätze von 1933 bis 1935 betitelt. Er erkannte die Aufgabe vom ersten Sturmzeichen an und wird nicht müde, das Wesentliche zu sagen: „Die alte Rangordnung beruhte auf einem System von Sicherungen: Sicherung des Lebens, der Berufs-steliung, des Besitzes. Diese Sicherungen sind erschüttert oder zusammengebrochen. Wenn wir in der alten Wertordnung, für die sie bestimmend waren, verharren, sind wir verloren; dann, erst dann wäre das, was uns widerfährt, kein bloßes Unglück, sondern ein Untergang. Nicht aber sind wir verloren, was immer geschehe, wenn wir erkennen, daß über jenen Daseinswerten, und zwar nicht etwa in der Idee, sondern ganz faktisch andere stehen, über der Wahrung des Besitzes die Wahrung unseres eingeborenen Selbst, über der Treue zum Beruf die Treue zu unserer Berufung, über der Verbundenheit mit dem Leben, zuoberst die Verbundenheit mit dem Unnennbaren, die Gebundenheit an den Bindenden, die echte Freiheit, der echte Dienst. Wenn wir uriser Selbst wahren, kann nichts uns enteignen. Wenn wir unserer Berufung treu sind, kann nichts uns entrechten“ (S. 15)1

In diesen Tagen, die Jahre dauern, spricht er, so lange es eine Möglichkeit zur Diskussion gibt, nach allen Seiten hin. Er versucht auch noch eine Auseinandersetzung mit Schriften, in denen sich Gelehrte, wie Professor Gerhard Kittel (Tübingen), mißbrauchen ließen. Er antwortet ruhig und bestimmt: „Zu Ihren Urteilen und Forderungen brauche ich nichts zu sagen. Es

smd cSe Berrsefienden. Icfi erfuhr an Ihrer Schrift — was ich bis dahin nicht wußte oder ahnte —, daß es auch die Ihren sind . . das fromme Judentum, und ich mit ihm, wir glauben daran, daß es Gott gefällt, oen Menschen zum Helfer an seinem Werk zu berufen“ (S. 181).

1936 verließ Martin Buber Europa. Br

wurde mit 60 Jahren an die jüdische Universität nach Jerusalem berufen, deren Gedanken und Gründung er bereits in seiner Wiener Studienzeit propagiert hatte. Dort lebt er jene Tat, welche er- einmal als das Wesen des Chassidismus erklärt.

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