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Der Fall Tramin

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DIE HERREN SÖHNE. Roman. Von Peter von Tramin. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München. 428 Seiten. Preis 19.80 DM.

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DIE HERREN SÖHNE. Roman. Von Peter von Tramin. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München. 428 Seiten. Preis 19.80 DM.

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Fällt das Datum der Auslieferung eines Roman-Erstlings mit der Zuerkennung des Österreichischen Staatspreises an den jungen, unbekannten Autor zusammen, so ist dies nicht allein ein literarisches, vielmehr auch ein soziologisches, gesellschaftliches Ereignis; ist dies nicht allein mit künstlerischen Maßstäben zu messen, sondern wird zu einem Fall. Unsere Kunstjuroren, ihr Urteil in der Regel nicht gerade am PulsSchlag der Zeit ablesend, haben sich im Fall Tramin altgewohnter Verfahrensweisen entschlagen und die höchste literarische Auszeichnung, die Österreich zu vergeben hat, einem Mann verliehen, von dem bisher weder das Leserpublikum noch die Kritik etwas wissen konnte. Die Juroren hielten sich an ungedruckte Erzählungen.

Nun also können sich Leserpublikum und Kritik an „Die Herren Söhne“ halten. Die Auslieferung des Romans wurde von vornherein zu einem gesellschaftlichen Ereignis hochlizitiert. Das Gazettenecho hallte und hallt bis in die Klatschspalten nicht vom literarischen Wert oder Unwert wider; nicht künstlerische Kriterien waren maßgebend für erste Ankündigungen und Würdigungen, sondern sensationsbedingte. Man fragte sich: Wo in Wien gibt es so etwas? Wer ist gemeint? Wer verbirgt sich hinter dieser, wer hinter jener Gestalt des Buches? Der Autor, der in einem Interview jede Schlüsselmöglichkeit zwar bestritt, gibt den Vermutungen jedoch in seinem Vorspruch durch die Betonung selbst Nahrung: „Alle Geschehnisse dieses Romans sind wie die Personen der Handlung völlig frei erfunden; jede Übereinstimmung mit der Wirklichkeit wäre zufällig und keineswegs beabsichtigt.“

Peter von Tramin schildert das Schicksal von vier jungen Männern — drei adeligen, einem bürgerlichen —, ‘die alle auf den Namen Peter hören und die in Freundschaft, Gleichgültigkeit und Haß miteinander verbunden sind, von der Matura über Studium, Doktorat zur Ehe. Ein intellektueller Schwächling und größenwahnsinniger Menschenexperimentator vermag sich im Laufe der Handlung über einen nüchternen, phantasielosen Tatmenschen und Vorzugsschüler zu erheben; das Kräftemessen endet mit dem Selbstmord des Erniedrigten. Der Kampf wird vor allem erotisch geführt; die Impotenz gibt den Ausschlag. Der Roman spielt in Wien, ist mit vielen genauen geographischen Angaben gespickt. Aber erst auf den letzten Seiten findet sich ein definitives Datum — das der Matura: „18. Juni 1952“. Man registriert es mit Verwunderung. Denn die Leute scheinen in einer völlig geschichtslosen Welt zu leben; nichts, was außerhalb ihrer Leiber und ihrer monomanisch beschränkten Geistigkeit sich tut, dringt ah sie heran. Immerhin fiel, um nur ein Ereignis zu nennen, in die Zeitspanne des Handlungsablaufes der Abschluß des Staatsvertrages. An „Modernismen" fallen lediglich zwei Schriftstellernamen auf: Sartre und Malaparte. Ansonsten aber leben diese Herren Söhne in einer scheinbar, nein, für sie wirklich völlig intakten Welt, in der das „von“ noch seinen selbstverständlichen Anwert hat, wie das Geld und der Frack und das Bridge, in einer Welt des psychologischen fin de siede, in der alles nobel ist, bis auf die Labilität der Seele, der schlechte Magennerven entsprechen. Aber sie speien sozusagen parfümiert, pseudoliterarisch. Parfümiert und pseudoliterarisch sind auch alle anderen Ordinärheiten.

Tramin versucht, das dolce vita der Wiener jeunesse dorėe in seinem Literaturund Filmwert dem anderer Großstädte anzugleichen. Aber der gemeinsame Ahnherr dieser Herren Söhne ist das Klischee, darüber täuscht auch die mit erstaunlicher Routine geübte Erzählweise nicht hinweg. Nehmen wir. jedoch_ „Stil als Ausdruck einer Welt und eines Weltbildes,' finden wir in „diesem Rothan keinen Stil, sondern nur routinierte Schfeibmeclianismen. Glätte und Sprachequilibristik halten einer genauen Analyse nicht immer stand. Die betont, ja überbetont wienerisch gefärbte Sprechweise wirkt nicht selbstverständlich, sondern in ihrer Nonchalance eher wie eine Parodie — dazu aber sucht man, leider vergebens, den Humor; unwillkürlich denkt man an Brenners „Da neulich, da sitz ich in der Eden…" Die Hebung einer Spracheigenart in die Literatur ist hier nicht gelungen; sie bleibt Jargon: „Hörst, Peter, sagt der Chensky, den ich erst draußen entdeck. Auch eingedenk dessen, daß du selber ein Euangele bist — aber ich glaub, mir steht noch immer das Hirn! So was von negativer Delikatesse wie das Referat von dieser unbeschreiblichen Tabemakelwanzen da drinnen hat mein erstauntes Ohr wirklich no net einmal von einem katholisch Geweichten vernommen.“

Die Komposition scheint anfangs kompliziert und kunstvoll verschachtelt, entpuppt sich aber zunehmend als Schneidarbeit, wie sie ähnlich von Edgar Wallace bis Uwe Johnson angewandt wurde; die nachträgliche Mischung soll die Spannung ergeben und wie moderne Romantechnik ausschauen. Dasselbe gilt auch für den seelischen Mechanismus der Personen. Entkleidet man sie der Details, die sie zwar anreichem, aber nicht wirklich plastisch machen, stehen sie recht dürftig da, ohne body-building sozusagen, um mit Tramin zu sprechen. Ihre ganze laut vorgetragene loquacitas puerilis vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß das, was ihre Seelchen bewegt, ohne die aufgeputschte Darstellung kaum berühren würde und somit auch letztlich unverständlich bleibt. Der Selbstmord des einen Peter wäre 1910 verständlich, 1930 hysterisch gewesen; ihn in unsere Zeit zu verlegen, heißt willkürlich datieren. „Die Herren Söhne“ sind der Wurmfortsatz einer Literaturgattung, deren Zeit eigentlich schon mit Stefan Zweig abgelaufen war.

Aber man wird diesen Roman nicht mit literarischen Maßstäben messen, man wird ihn gesellschaftlich goutieren, man wird an ihm vorbeireden, wie der Roman vorbeiredet an der Wirklichkeit unserer Zeit. Man wird sich an ihm delektieren. „Die Herren Söhne" werden ein gesellschaftliches Ereignis sein. Ein literarisches sind sie nicht.

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