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Der Freudenbringer

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An einer der belebtesten Straßenecken Wiens erschien dieser Tage plötzlich ein ärmlich gekleideter jüngerer Mensch, der mit aufgeregten Gesten ein Bündel Zeitungen schwenkte und unaufhörlich schrie; „Der Freudenbringer! Der Freudenbringer!“

Es stellte sich als erste Wirkung ein, daß ein Schutzmann auf ihn zuschritt und ihm bedeutete, es sei den Zeitungsverkäufern, der jüngsten Verordnung nach, ein solch lautes Geschrei nicht mehr erlaubt, sie hätten ihre Stimme entsprechend zu mäßigen. Das tat der junge Mann nun auch, indem er nunmehr den Titel seines Blattes fast nur noch flüsternd vorbrachte, wobei er aber andererseits in der Leidenschaftlichkeit seines Angebotes nicht nachließ.

Ich hatte mich seitwärts von ihm aufgestellt, da der Fall mir zu denken gab, und es war auch bereits der Entschluß in mir gereift, mir die Zeitung zu kaufen. Sie .kostete nur zehn Groschen, das für solche Ausrufsblätter Übliche.

Vorher aber fragte ich mich: Wie wird das liebe Publikum sich dazu einstellen? Es will da einer offenbar* etwas Neues, in solcher Form noch nicht Dagewesenes, er will Freude bringen, um den Preis von zehn Groschen will er Freude bringen. Auf der Titelseite seines Blattes, wo ansonsten in Riesenlettern die üblichen „Sensationen“ angebracht sind, konnte man in ähnlich großer Schrift die ungewöhnliche Feststellung lesen; „Im Stadtpark sind jetzt ganze Büsche Burgunderrosen aufgeblüht.“ Die Leute die vorübergingen, schüttelten dazu mißbilligend den Kopf, insoweit sie die Aufschrift überhaupt bemerkten. Andere hatten nur ein flüchtiges Lächeln dafür übrig. Man traute der Sache offenbar nicht. Entweder war das ein neuer Reklametrick oder es steckte sonst irgendein Schwindel dahinter. Nein, so leicht ging das nidit mit einer in solcher Form angebotenen Freude. Es war zudem an jener Ecke auch nicht der richtige Ort' dazu. Es standen nämlich nebenan noch sechs andere Ausrufer, wahrhaft ausgepichte Kapitäne der Kolportage, die ihr Handwerk alle meisterlich verstanden, und jeder präsentierte auf seiner Zeitung in Riesenlettern eine Bombennachricht, wie sie nicht sensationeller hätte sein können'. Da hatte sich ein alter Schneidermeister an einem minderjährigen Mädchen vergangen, eben lief sein aufregender Prozeß. Auf einem Bahngeleise, irgendwo in der Provinz, war eine Bombe gefunden worden, man war dem Täter bereits auf der Spur. Eine Frauenleiche hatte man zerstückelt aus der Donau gezogen, es handelte sich offenbar um einen Massenschlächter. Ein Auto war im Hochgebirge irgendwo abgestürzt, steckte wohl ein Versicherungsschwindel dahinter. Ein Bankdirektor hatte sich erhängt, es waren hohe Funktionäre dabei kompromittiert. Und so ging es fort, Großgeschehnis folgte auf Großgeschehnis, die Ernte des Tages war diesmal besonders reich. Ei, da war es den Vorübergehenden wahrlich nicht zu verdenken, daß sie wie geblendet ihre Börse zogen, um sich sogleich in die näheren Umstände zu vertiefen. Es war kein übles Geschäft für die Kolporteure.

Indessen ließ aber auch unser junger Mensch nicht locker. Unaufhörlich verkündete er, wenn auch mit unterdrückter Stimme: „Im Stadtpark sind jetzt ganze Büsche Burgunderrosen aufgeblüht!“ Das gab ihm aber, obwohl es um ganz natürliche, schöne und begreifliche Dinge ging, fast etwas Groteskes, Gespenstisches im wilden Chorus der anderen. Es gewann fast den Anschein, als wäre es etwas nicht ganz Passendes, durchaus Unangebrachtes, was er da verkündete, indes das andere, was die Kolportagekapitäne brachten, das Eigentliche, Willkommene, dem Augenblick logisch Angepaßte war. So schienen auch vor allem die Ausrufer selbst zu empfinden, denn sie begannen allmählich eine drohende Haltung gegen den Mann mit den Rosen einzunehmen, als käme da einer, der bespötteln wollte, was ihnen äußerst ernst und lebensnotwendig war, und am Ende trat Wirklich einer von ihnen auf unseren Sonderling zu und sagte, indem er ihm die Faust unter die Nase hielt: „Ziag a mit dein Rosen-blattl, du trämhaperter Wüstling, jo?“

Das machte aber keinerlei Eindruck auf unseren jungen Mann, er schien das alles nicht zu bemerken, er bot seine Zeitung nur um so entschiedener an. Es war in seinem Antlitz und im Leuchten seiner Augen etwas vom Glaubenseifer der großen Überzeugten, die Hab und Gut und sich selbst für ihre Sache einzusetzen bereit sind. Auch schien mir seine Gestalt, sein Wesen und seine Kleidung, so dürftig letztere auch war, von irgendeinem Glanz des Ungewöhnlichen, Hoheitsvollen umflossen, es ging ein Schimmer von ihm aus, der vielleicht von dieser Welt, aber nicht von dieser Zeit war.

Inzwischen ereignete sich doch hin und wieder, daß einer oder der andere sich den „Freudenbringer“ kaufte, doch wurde der Preis dafür fast immer mit jener überlegenen und nachsichtigen Miene erlegt, mit der man sich in ein scherzhaftes Abenteuer einläßt„ weil man kein Spaßverderber sein will. Auch blieben jene, die das Blatt erwarben, nicht etwa stehen, um es sofort zu lesen. Sie steckten es vielmehr ein wenig schamhaft und verstohlen ein und drückten sich um die Ecke, damit man nicht bemerke, sie seien etwa einem Witzbold aufgesessen.

Nun schien es auch mir an der Zeit, das Blatt zu erwerben. Am liebsten hätte ich den jungen Mann um allerlei gefragt, was mir am Herzen lag, doch hätte ihn dies jetzt nur in der Ausübung seines Geschäftes gestört, und es ergab sich ja vielleicht für später noch die Gelegenheit dazu.

Also kaufte ich mir den „Freudenbringer“ und stellte mich wieder abseits und begann zu lesen. Wahrhaftig, hier stand es schwarz auf weiß: „Im Stadtpark sind jetzt ganze Büsche Burgunderrosem aufgeblüht.“ Diese Nachricht hier an dieser Stelle, wo sonst nichts als Schmach und Mord oder sonst irgendeine arme private oder öffentliche • Not oder Qual bedrängten Menschentufns verkündigt wurde, sie entbehrte, wer wollte es leugnen, nicht eines eigenartigen Zaubers. Es-üging -etwas Klares, Beruhigendes, ungemein Wohltuendes von ihr aus. War es nicht, als streife eine milde Hand von der gequälten Stirn alles ab, was sie kleinlich und häßlich bedrängte? Die eine schlichte Nachricht hatte genügt: „Im Stadtpark sind jetzt ganze Büsche Burgunderrosen aufgeblüht.“ Bedachte man diej, so war es schon viel. Um wieviel schöner erst müßte es seih, die Rosen im Stadtpark auch wirklich zu sehen! •

Indes ich dies erwog, befiel es mich plötzlich sonderbar. Welch ein Zufall! Ich stand hier an der Ecke vor einem Blumenladen vornehmster Art, wie nur die Großstadt ihn aufzuzeigen vermag. Hier, hinter gigantischen Spiegelscheiben, wogte ein Meer phantastischer Schönheit, ein Bacchanal der abenteuerlichsten Formen und Farben, eine wahre Orgie an Märchengestaltung des Seins. Wozu da in den Stadtpark gehen? Ergab sich hier an köstlichen Wundern nicht tausendmal mehr?

Dann aber mußte ich bedenken, von all den Tausenden, die hier vorüberhasteten, wer blieb hier stehen, wer sah hinein? Fast niemand! Zwecklos schien dies Zauberland traumhafter Einmaligkeit in unsere arme, verhetzte und vernüchterte Welt gestellt. Es war vorhanden, gewiß, es lockte in all seiner Pracht und Wunderhaftigkeit, es legte glühendes Zeugnis ab von der Gnade des Schöpfers, von seiner Absicht, uns Freude zu bringen, und doch, es war ja alles so gut wie vergebens, die Menschheit wie sie da vorüberjagte, zu deren innere Beglückung doch dies alles gestaltet war, sie bemerkte es kaum, sie war ja gar nicht mehr befähigt, es seiner gottgesandten Bedeutung nach zu bemerken.

Mir fiel bei solcher Betrachtung mit Wehmut ein, was der Engländer Lafcadio Hearn in einem seiner schönen Japan-Bücher '--erichtet. In einer der belebtesten Straßen Tokios gab es eines Abends ein großes Gedränge. Die Masse staute sich vor einem offenen Fenter und wuchs zu immer bedrohlicherer Fülle an. Was war geschehen? Konnte man hier Zeuge eines Streites, eines Unglücks, eines Verbrechens sein? Nichts von alledem. Man sah nur in. ein verlassenes Zimmer, worin auf einem Tisch eine von einer milden Lampe beleuchtete Blumenvase stand, und dieses zarte, sinnige Bild genügte, daß draußen das Volk in Massen stehen blieb und sich in schweigender Ehrfurcht daran erbaute.

„Im Stadtpark sind jetzt ganze Büsche Burgunderrosen aufgeblüht“, hörte ich den jungen Schwärmer noch immer rufen. Ich begann nun, mich mit seinem Blatt näher zu befassen. Was gab es denn sonst noch darin zu lesen? Da stand vor allem ein Leitartikel mit der Uberschrift: „Wovon ernährst du dich, o Seele?“ Ein zweiter, kürzerer Aufsatz hieß: „Sind wir wirklich schon von allen guten Geistern verlassen?“ Ein dritter: „Vom Zauber der bescheidenen Dinge“, und in der Spalte „Tagesbericht“, wo man sonst all die kleinen flüchtigen Neuigkeiten unseres öffentlichen Lebens versammelt sieht, gab es durchaus ungewöhnliche, in dieser Form ganz neue Mitteilungen: „Man versäume nicht, die Karlskirche bei Abendbeleuchtung längere Zeit hindurch zu betrachten“, oder: „Im Gartenhofe, Ambrosiusgasse Nr. 62, singt jetzt jeden Abend eine Amsel“, oder: „Wer kennt den Zauber des Augenblicks vom oberen Belve-dere auf die Hänge des Kahlen- und Leopoldsberges?“ wobei dies alles und manches andere noch in einer ruhigen unaufdringlichen, durchaus selbstverständlichen Darstellung niedergelegt war, nicht sosehr, um Aufsehen zu erregen, als um den Dingen Gehalt zu geben.

War das alles nicht recht sonderbar? Was für ein seltsamer Schwärmer wagte es hier, für sein gutes, schweres Geld so etwas völlig Aussichtsloses herauzugeben? Wo war die Redaktion? Wer zeichnete als Verantwortlicher?

Ich suchte an den üblichen Stellen, es war aber nichts zu finden. Da war es wohl am besten, ich fragte den Ausrufer selbst.

Aber da ich eben auf ihn zuschreiten wollte, gewahrte ich etwas, was mich bekümmerte. Ein Schutzmann hatte meinen Jüngling eben unter den Arm genommen und führte ihn — an Widerstand war nicht zu denken — als Verhafteten mit sich fort. Der Fall erregte ziemliches Aufsehen. Ich sah mich fragend um. Was mochte sich ereignet haben? Die Antwort wurde mir aus einer Bemerkung, die eben einer der Kolportagekapitäne zu seinen Genossen machte: „No also! Höchste Zeit is! So a gselchter Windhund so a notiger! Will uns frozzeln mit seine Naturgspassettln! Und Konzession hat er a keine! Dös Blattl existiert ja gar net! A so a Schwindler!“

Dieser Ausspruch des Volksgemüts machte mich nur noch neugieriger. Ich hätte viel dafür gegeben, zu erfahren, welch nähere Bewandtnis es mit dem jungen Schwärmer habe und mit seinem „Freudenbringer“. Aber er war ja nun verhaftet, und ich scheute nichts so sehr als die Einmischung in eine Amtshandlung. Es schien zudem nicht so einfach, noch zu ihm zu gelangen, denn er war von einer, dichten Menschenmenge umringt, die sich sehr daran ergötzte, daß er ihr von Zeit zu Zeit immer wieder zurief: „Im Stadtpark sind jetzt ganze Büsche Burgunderrosen aufgeblüht!“

Da mußte ich betrübten Gemütes erkennen, daß wir es offenbar mit einem Wahnsinnigen zu tun hatten, wir andern alle, die wir noch bei so gutem Verstände sind.

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