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Der Gärtner einer Welt

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Von den Höhen des Böhmerwaldes war er talwärts gestiegen, dorthin, wo das Silberband der Donau in der Mittagssonne um das Grün der Fluren sich spielerisch windet und wo in der Ferne wie eine Verheißung des Urewigen-Schönen im Blau des Himmels die weiße Wolke des Priel langsam aufleuchtet und verblaßt, wie die Strahlen wandern. Von den stillen Wäldern mit dem Goldbraun ihrer Bäche und Ströme, von den in der Einsamkeit verlorenen Häusern, davor die Ebereschen im böhmischen Wind die kargen Farben des Sommers in den langen Winter tragen mit dem Rot der Beeren, von der sprachkargen Welt, von da überall hat Stifter in die Welt die Stimme des Herzens, der Bescheidenheit, das Gefühl für das Maß und die Richtweiser seines Lebens und Dichtens genommen. So fern, so einsam war jene Welt, daß es Jahrzehnte bedurfte, ehe man Adalbert Stifter seinen Platz in der Literaturgeschichte zuwies, ehe man vom Abklatsch des Nachgeredeten wegkam, das bis in die Zeit des ersten Weltkrieges noch immer von dem „Meister der Kleinmalerei“ zu reden beliebte — sofern man Stifter, den Österreicher, überhaupt für wert erachtete, einen Platz im Pantheon der deutschen Dichtung einzunehmen. *

Im Pantheon? „Auf Schriftstellertum macht das Vorliegende keinen Anspruch“, schrieb Stifter im Mai 1843 in der Vorrede zum ersten Band der „Studien“. Und: „... sein Wunsch ist nur, einzelnen Menschen, die ungefähr so denken und fühlen wie ich, eine heitere Stunde zu machen, die dann vielleicht weiterwirkt, und irgendein sittlich Schönes fördern hilft.“ Der Dichter hat an dieser Stelle von dem Körnchen gesprochen, das nicht verlorengehe, so klein es auch sei; es ist jenes Körnchen, „das in der Gegenwart ein wahrhaft Gutes setzt; denn der ganze Bau der Ewigkeit ruht mit auf diesem Körnchen. Und möchten die vorliegenden Schriften nur die kleinsten aus solchen kleinen Körnchen enthalten, dann bereut der Verfasser nicht die Zeit, die er auf ihre Abfassung verwendet, und nicht die Gefühle, womit ihn Gott während der Arbeit belohnt hat“.

Diese „Studien“ sind es, die den Ruhm des österreichischen Dichters begründet haben, von dem Hofmiller sagte, dieser Stifter sei ein Bestandteil unseres inneren Werdens, ein Zustand der Seele. Hier wird die Güte eines Menschentums in die Welt gesät -und niemand vermag Rechenschaft darüber zu geben, wo diese dem Wind und der Sonne, dem Regen und dem Schnee anvertrauten Samen aufgingen und welche Blüten sie aus der Erde des Herzens sprießen ließen.

Indes: Stifter ohne den „Nachsommer“ und ohne den „Witiko“ wäre gleich t'.er Morgensonne ohne Mittagsleuchten und Abendröte. Im „Nachsommer“ zieht der Dichter die Summe seines Lebens; alles, was sein Auge geschaut, seine Hand berührt, sein Sinn erfaßt hat, fließt zusammen in dem behutsam Bewahrten Sooft ich eine alte Ausgabe, jene in drei Bänden von Heckenast in Pest, in die Hand nahm und den Stich des ersten Bandes ansah, worauf ein älterer Mann einen Rosenstock gießt, Spaten und Rechen an den Tisch angelehnt sind: ebensooft kam der Gedanke — wie ihn wohl auch J. N. Geiger gehabt hat — von dem Gärtner, nicht allein von dem eines umschränkten Heimes, sondern von dem Gärtner einer Welt, die noch Blumen sieht, ihren Duft aufnimmt. So steht gegen das Ende des Lebens der Mensch da und pflanzt für die, welche nach ihm kommen, für jene, deren Bildungsideal und Bildungsgang vielleicht einmal unter besseren Steinen verläuft. Es war nicht Stifters wirklicher Bildungsgang, den uns dieser Roman darstellt, sondern einer, den er gewünscht hat zu nehmen. Daher auch der Unterschied zwischen dem „Wilhelm Meister“ und dem „Nachsommer“: dieses im goethischen Geiste geschriebene Werk zeigt die Kunst als Gewinn und Besitz eines Lebens, der „Meister.“ als Bildungsmittel, das Leben zu meistern.

Zehn Jahre liegen zwischen dem Erscheinen des „Nachsommers“ und des „Witiko“. Die Grundrisse der Begebenheiten sind, wie bekannt, bei Palacky zu finden. War im „Nachsommer“ die Bildungsgeschichte des Individuums zusammengefaßt, so finden wir im „Witiko“ die Entwicklungsgeschichte einer Gemeinschaft. Dieses Prosaepos, das einzige von antiker Größe in der neueren Literatur, hat der Österreicher Stifter mit prophetischer Schau „seinen Landsleuten, insbesondere der alten, ehrwürdigen Stadt Prag“ gewidmet. Als man 1943 zu Leipzig den „Witiko“ in drei Bänden nachdruckte, hat man die Widmung an Landsleute und Prag getilgt ... „Stets hat Böses Böses geboren, und doch greifen Menschen, denen, obwohl ihr Verstand sehr beschränkt ist, doch wie ein lächerlicher Hohn Staaten folgen müssen, wieder zu bösen Mitteln und auch zu törichten. Wann werden Völker Völker sein?“ schreibt Stifter am 14. Mai 1866 aus Karlsbad.

Die Herausgabe dieser Bände hat der bekannte Stifter-Forscher Max Stefl in vorbildlicher Weise betreut, der früher nächst Karlsbad ansässige Verlag Kraft gab den Bänden eine würdige Form. Bemerkenswert ist noch, daß dem „Witiko“-Band auf 3 3 Seiten ein Abdruck der handschriftlichen Fragmente aus der Fülle der Vorarbeiten zu diesem Roman angefügt wurde. Diese Bruchstücke sind erstmals von Franz Hüller in seinem textkritischen Bericht (Adalbert Stifter: Sämtliche Werke, Band XI, Reichenberg 1932) veröffentlicht worden, verdienen es aber, erneut vorgestellt zu werden.

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