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Der Gegenspieler Bismarcks in Wien

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Im Frühjahr 1850 übersiedelte ein junger Diplomat aus Frankfurt am Main nach Wien und legte in die Hände des österreichischen Außenministers, des Fürsten Felix Schwarzenberg, seinen Diensteid als Leiter des „Deutschen Departements“ in dem Palais am Ballhausplatz ab. Freiherr Ludwig v. Biegeleben war damit denselben schicksalhaften Weg gegangen, der vor ihm schon so viele begabte Politiker und Kandidaten der Staatskunst aus Süd- und Westdeutschland nach Österreich geführt hatte, an ihrer Spitze etwa 50 Jahre früher den nachmaligen Staatskanzler Fürsten Metternich.

So wie Metternich war auch Ludwig v. Biegeleben ein Rheinländer, als Sohn des Regierungspräsidenten von Hessen, Josef v. Biegeleben, 1812 in Darmstadt geboren. Seine Jugend stand politisch noch unter dem Eindruck des Napoleon-schen Erlebnisses, geistesgeschichtlich in der Schau der deutschen Romantik, die auch seine literarischen Neigungen bestimmte.

Als Student der Staatswissenschaften in München und Heidelberg begeisterte er sich für die Schriften und Vorträge Josef v. Görres' und für die Naturrechtslehre Savignys, der damals zum Bedauern der Hörerschaft eine Professur in den „Sandwüsten“ Berlins angenommen hatte. Die großdeutsche, österreichische und katholische Tradition seines Hauses wurde damals für den jungen Ludwig auch persönlichste Überzeugung, die er als Staatsmann und Politiker durch sein ganzes Leben verfocht. Ein schweres Erlebnis, der Tod seiner jungen, schönen Braut, Lilly v. Zimmermanns, vertiefte sein religiöses Empfinden vom kultischen Hang zum unentbehrlichen seelischen Besitzstand. Vor der Engelssäule im Straßburger Münster schrieb der tiefgebeugte Bräutigam Worte der Ergebung in sein Tagebuch. Katharina Lasseaux, die Gattin Görres', tröstete und wies ihn prophetisch auf ein neues Glück in einer neuen Heimat hin.

Die Schicksalsstunde des jungen Juristen schlug im Jahre 1843. Er wurde als hessischer Legationssekretär nach Wien delegiert. Wien war damals noch die einzige wirkliche Weltstadt deutscher Zunge, noch klang der Nachhall deutscher Reichsherrlichkeit am Wiener Hofe nach, noch erkannte der Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. willig den Vorrang des Erzhauses an. In Wien erst reifte die menschliche und politische Persönlichkeit des jungen Diplomaten, hier wuchs er über die kleinstaatliche Atmosphäre seiner Jugend empor und formten sich jene staatsmännischen Überzeugungen, deren Vorkämpfer er durch 40 Jahre, vom Haß der Feinde und oft auch vom Mißverstehen der Freunde gekränkt, blieb.

„Als der wünschenswerteste Gipfelpunkt“, schreibt ““er im Mai 1848, kurz vor seiner Abreise zum Frankfurter Bundesparlament, an den bayrischen Minister, Grafen Otto v. Bray, „erscheint mir die im Hause Habsburg erbliche deutsche Kaiserwürde, der Sitz der ständigen Reichsbehörde und der fremden Gesandten in Wien, der Sitz des Reichstages vorläufig wenigstens auf drei Jahre in Frankfurt, dann abwechselnd in Berlin und in Wien —“ „Deutschlands Schild und Hort“, nennt er Österreich an einer anderen Stelle, „ein politisches Rom“ die Kaiserstadt, und er beklagt die „österreichische Lethargie“, die ein kraftvolles Eingreifen in die deutschen Verhältnisse verhinderte. Die österreichische Donau ist ihm Deutschlands Strom genau so wie der Rhein, die Vorstellung der unter Österreichs Herrschaft vereinigten deutschen Stämme sind sein „erhabenster Traum“. Das Zerrinnen dieses Traumes bedeutete ihm später den Zerfall seines Lebenswerkes.

Ein Band zärtlicher Zuneigung fesselte den Zugereisten noch enger an die neue Heimat. Im Jahre 1846 vermählte sich Ludwig mit einer Österreicherin aus alter Südtiroler Familie, Marie v. Buol, deren Vater um diese Zeit als Staatsreferent in Wien tätig war. Marie war geistreich und gebildet, dabei voll natürlicher Frische und Anmut. Im Hause Buol verkehrte Ottilie v. Goethe, die mit ihren Kindern damals in Wien lebte; ihr Töchterchen Alma spielte mit Marie häufig Klavier. Das junge Ehepaar war aber anfangs viel getrennt. Ludwig v. Biegeleben, der mittlerweile aus dem hessischen Staatsdienst getreten war, wirkte 1848 und 1849 als Unterstaatssekretär im Reichsministerium der Pauluskirche in Frankfurt, die junge Frau lebte teils in Wien, teils in Darmstadt bei den Schwiegereltern. In dieser Zeit wie durch die ganzen 30 Jahre ihrer Ehe tauschte das Paar Briefe von rührender Innigkeit. Beweise tiefster Gattenliebe und zugleich Zeitdokumente von historischem Interesse.

„Meine Liebe zu Dir“, schreibt Ludwig an seine Frau, „ist der Eckstein, der den Bau meines Lebensglückes und meines Vertrauens auf Gott und die Menschen festhält. So lange er steht, werde ich alle anderen Baufälligkeiten immer leicht ausbessern können.“ — Und Marie schildert mit großer Anschaulichkeit die Ereignisse der Revolutionstage in Wien. Die sonst so wohlwollende Frau konnte es nicht verstehen, daß die Arbeiter auch für Regentage, an denen die Arbeit ausfiel, Löhnung verlangten. Der soziale Sinn ihres Mannes ging ihr ab. Doch verlangte sie für die Tiroler Bauern, deren gesunden Sinn sie stets rühmte, eine bessere politische Vertretung. Ihre vier Söhne erzog sie mit spartanischer Einfachkeit und Strenge.

Im Jahre 1850 -vollzog sich die dauernde Übersiedlung Biegelebens nach Wien. Die „Kölnische Zeitung“ widmete ihm einen unfreundlichen Nachruf, aber der österreichische Außenminister, Fürst Schwarzenberg, begrüßte ihn als eine „höchst willkommene Aushilfe zur Bearbeitung der deutschen Angelegenheiten“.

Zwanzig Jahre erschöpfte nun Biegeleben seine Begabung und seine Kräfte im Dienste dieser Angelegenheiten, und kämpfte mit allen Waffen seines Geistes um den staatlichen Aufbau eines einigen Großdeutschlands unter der Führung Österreichs. Das Kriegsjahr 1859 warf düstere Schatten. Vergebens versuchte Biegeleben, Preußen zur Erfüllung seiner Bundespflicht zu bewegen. „Man ist dort unerschöpflich in Ausflüchten und Winkelzügen, in der steten Erwartung des Augenblicks, wo sein Kriegsunglück Österreich nötigen würde, für die Hohen-zollersche Bundeshilfe den Preis seines Verzichts auf die Vorherrschaft in Deutschland zu bezahlen“, schrieb er an seinen Bruder.

Mit schweren Sorgen sah Biegeleben im Herbst 1862 Otto v. Bismarck an die Spitze der preußischen Regierung gestellt. An Stelle des bisherigen Lavierens war nun in Berlin der rücksichtslose Wille getreten, mit allen Mitteln unter Ausnützung der von Napoleon, Viktor Emanuel, Cavour und Garibaldi geschaffenen Konjunktur das kleindeutsche Programm gegen Österreich durchzusetzen. Der Frankfurter Fürstentag, den Preußen nicht beschickte und bei dem Biegeleben als Protokollführer fungierte, brachte ihm zwar persönliche, aber keine politischen Erfolge. Düster klingen die

Briefe an die in Tirol weilende Gattin: „Der Schleswig - holsteinsche Konflikt wird mühsam zugekleistert, andere Konflikte tun sich darüber auf —“ Von der Gasteiner Konferenz im Jahre 1865 klagte er seiner Frau — „Österreich wird gar bald sein Erstgeburtsrecht in Deutschland um ein Linsengericht verlieren —.“ Sonst vorsichtig und zurückhaltend, spricht er in harten Ausdrücken über die aggressive, preußische Politik. Aber nirgends läßt sich die von der Umgebung Bismarcks ausgestreute Behauptung erweisen, Biegeleben sei der „Partisane“ des Krieges von 1866 gewesen, bloß weil er die Absichten eines rücksichtslosen Gegners durchschaute und pflichtgemäß zu durchkreuzen suchte.

Der Ausgang des Krieges, das Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund, das Ende der deutschen Reichsidee, wie er sie verstand, bedeutete für Biegeleben den Zusammenbruch seiner Lebensarbeit. — „Und Gott hat es gelitten, wer weiß, was er gewollt —“, dieser Vers des alten Studentenliedes war das resignierte Motto seiner letzten Lebensjahre.

— Ich werde auf dem politischen Schmerzenslager hin- und hergeworfen“, schrieb er seiner Frau nach dem Prager Frieden, und wie ein politisches Vermächtnis klingt sein im Februar 1871 an seinen Bruder Max gerichteter Brief: „Aus den verschiedenen Möglichkeiten, wie die völlige Trennung Österreichs von Deutschland aufgehoben werden könnte, sehe ich keine, aus der ein Katholik und bewußter Nichtpreuße das Ziel seines Strebens machen könnte. — Wirkliche Lösungen könnten nur aus einer Revolution oder aus der Selbstzerstörung Österreichs hervorgehen, und was wird dann aus Europa werden —? Jetzt bin ich mit der Politik fertig, in den Dingen des öffentlichen Lebens ist für mich die Zeit des Strebens und der Verantwortung vorüber. Graf Beust ist gerne darauf eingegangen, mich vom deutschen Referat zu entheben. —“

Im Jahre 1872 starb Freiherr v. Biegeleben, erst sechzig jährig, im Bad Ro-hitsch-Sauerbrunn in Südsteiermark und wurde an der Seite der ihm in die Ewigkeit vorausgegangenen Gattin in Kaltem in Südtirol beigesetzt. Eine Fülle von hohem persönlichem Ethos und staatsmännischen Ideen hat dieses arbeitsreiche Dasein umschlossen. Dem Gegenspieler Bismarcks mangelte zum Erfolg vielleicht nur jenes letzte Quentchen von Rücksichtslosigkeit und Härte, das Napoleon I. für jeden Staatsmann für nötig hielt. Der nach Österreich verpflanzte Süddeutsche war an dem altösterreichischen Zwiespalt von Erkennen und nicht Vermögen gescheitert. In seinen Kassandrastunden hatte er die Wege von Königgrätz und Sadowa nach- Versailles und Saint-Ger-mafn, vielleicht auch nach Potsdam und Jalta vorausgesehen.

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