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Der Glaube des Hauptmanns

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Schon tagelang tobte der Kampf um unser Dorf und wir kamen nicht mehr aus dem Keller. Hintereinander an die Mauer geduckt, gingen die Soldaten nach vorne, Verwundete schwankten zurück, Tote brachten sie auf einem Karren. Wir hofften und bebten und beteten. Mein Keller war voll Menschen, die bei mir Zuflucht gesucht hatten. Frauen, Kinder und einige alte Männer. Unser Dach war bereits von Granaten zerrissen, im Hof war eine Bombe niedergegangen, die Bäume waren von Granatsplittern zerfetzt, wie durch ein Wunder hat das Feuer vom Nachbarhaus vor uns haltgemacht. Jetzt waren die Leute übernächtig und ich hatte ihnen befohlen zu schlafen. Wenn es lange genug dauert, gewöhnt man sich auch irgendwie an den Lärm des Kampfes.

Es war längst nach Mitternacht, da standen einige Gestalten vor uns, deutsche Soldaten. Sie steckten in Zeltbahnjacken mit Kapuzen. Der junge Anführer übersah1 die Situation, dann sagte er scharf:

„Was macht ihr noch hier? Ihr gehört schon lange fort. Morgen seid ihr alle tot.“

Das jagte den Leuten Entsetaen ins Herz.

„Wir wollen bleiben“, sagte ein Alter.

„Uns im Wege herumliegen? Glaubt ja nicht, daß die Front schnell über euch hinweggeht. Wißt ihr, daß der untere Teil des Dorfes nur mehr ein rauchender Trümmerhaufen ist? Das wird auch hier geschehen. Der Russe liegt 300 Meter hinter uns. Aber wozu das Gequatsch? Wer ist der Verantwortliche? Sie? Ah, Sie sind Pfarrer. Zeigen Sie mir, bitte, das Haus!“

Ich zögerte, die Stiege in den ersten Stock hinaufzugehen, weil es zu gefährlich war, aber ich überwand meine Angst und ging voran. In meinem Wohnzimmer ließen sich die beiden, die mitgegangen waren, in die Sessel fallen. Der andere, der noch nichts gesprochen hatte, schlief sofort ein.

„Wir haben seit vier Tagen kein Auge zugedrückt, er kann nicht mehr. Also sehen Sie, wir brauchen ein festes Haus als Gefechtsstand. Dieses paßt uns gerade“, sagte der Wortführer.

„Ja, aber, was sollen wir Zivilisten machen?“ .

„Die Straße nach Westen ist noch frei, führen Sie die Leute fort, bringt euch in Sicherheit, morgen wird es einen Tanz geben, wie ihr es euch nicht könnt träumen lassen.“

„Wir möchten trotzdem bleiben.“

„Wir haben Befehl, das Dorf um jeden Preis zu halten. Wir werden um jeden Stein kämpfen.“

„Werdet ihr sie hier aufhalten, wenn es euch seit Stalingrad nicht mehr gelang?“

„Herr Pfarrer, ich bin Soldat, ich halte mich an Befehle. Sie kennen die Schriftstelle: .Wenn ich sage, komm, so kommt er, wenn ich sage, gehe, sot geht er.' Wie schwer unsere Lage ist, weiß ich besser als Sie.“

Mein Zimmer war mir fremd. Die Wände waren von Splittern zerrissen, ein Balken war in der Decke durchschossen. Blutroter Feuerschein fiel durch die offenen Fenster herein, draußen brannten wieder einige Häuser. Dumpfe Abschüsse und Einschläge in der Ferne wechselten mit dem hellen Knall der einschlagenden Granaten auf den nahen Dächern. Wenn ich zusammenzuckte, beruhigte er mich.

„Noch spielt die Orgel nicht, das ist nur ein Geplänkel. Zur Sicherheit können Sie vom Fenster weggehen. Übrigens habe ich mich noch nicht vorgestellt. Ich bin der Kommandeur dieses Abschnittes, Hauptmann, das ist mein Oberleutnant.“

Er ging zum Bücherkasten und betrachtete die Bücher.

„Daran haben wir vor Jahren uns begeistert. Meine Frau hat mir gerne Gedichte vorgelesen, wir haben mitsammen musiziert. Aber das liegt schon sehr weit zurück.“

Als vor dem Hause Soldaten schrien, rief er etwas zum Fenster hinunter.

„Glauben Sie nicht, daß auch wir den Frieden lieber hätten als das Schwert? Aber der Krieg ist uns zum Schicksal geworden. Da sehen Sie.“ ,

Jetzt erst merkte ich, daß ihm der rechte Arm fehlte.

„In Budapest habe ich ihn verloren.“

„Da brauchten Sie doch nicht mehr an der Front sein?“

*• „Ich bleibe bis zum Ende.“

„Sehen Sie noch Chancen?“

„Die letzte Chance ist der Tod. Ich habe mich so an seine Nähe gewöhnt, daß ich ihn nicht mehr fürchte. Ich weiß nicht, wer glücklicher zu preisen ist, die fallen oder die überbleiben. Ich habe meine Frau sehr geliebt, sie war mir wirklich alles. Als ich meinen Arm verloren hatte, verlor ich “auch bald darauf sie. An einen andern. Sie verstehen, warum ich nicht zurück will. Ich müßte ihr verzeihen, aber ich könnte es nicht überwinden. Ich war einmal sehr glücklich. Das Wort Tragik war mir fremd. Ich habe es sehr schön gehabt. Aber jetzt sehe ich, daß es einen Knax gibt in unserm Leben. Das hängt wohl mit dem zusammen, was ihr Erbsünde nennt. Irgend etwas stimmt nicht am Ganzen. Es ist dieselbe Erfahrung.“

„Sie gehen vom Menschen aus, wir von Gott, das ist der Unterschied.“

„Also von Gott. Glauben Sie an Gott?“ „Ja.“

„Wie ein Wissender, natürlich, Sie sind ja ein Fachmann.“

„Ich glaube, wie ein armer Sünder.“

„Ah, so. Das ist etwas anderes. Ich bin wahrscheinlich weit von Gott. Ich sehe bloß den Platz in meinem Herzen, wo er hingehört. Aber es ist etwas Großes um den Glauben an Gott. Ich möchte auch glauben. Freilich anders als Sie meinen, aus meinem Leben, aus meiner Erfahrung heraus, nicht nach der Schablone. Zerbrechen Sie den gläubigen Menschen ihre Schablonen, es wäre besser für euch und für uns, wir könnten uns verständigen. Gott ist sicher anders, größer, näher. Auch im Kriege ist Gott. Das verstehen die wenigsten. Warten Sie, unten wird gerufen.“

„Nein, nicht hier, geht weiter, ich komme schon“, so rief er hinab.

Plötzlich begannen die russischen Maschinengewehre zu knattern, beunruhigt horchte er auf.

„Die drüben haben was vor, schade, ich hätte Sie gerne von Gott reden hören. Wenn er wird sagen: Komm, dann werde ich kommen. Das gibt dem Ganzen einen Sinn.“

Er rüttelte den Oberleutnant wach. Dieser sah drein wie ein Knabe, den die Mutter zu früh geweckt hat. Jetzt fiel mir erst auf, daß beide keine 25 Jahre alt sein konnten.

„Wir werden den Gefechtsstand woanders hingeben“, sagte er, schon im Gehen.

Im Keller beruhigte ich meine Leute.

„Wir werden bleiben. Aber jetzt beten wir weiter: Der für uns Blut geschwitzet hat.“

Von unseren ölbergstunden will ich nichts sagen; bloß dieses noch: Als unser Dorf endlich gefallen war, fand man einen Offizier mit einem Kopfschuß. Er hatte nur einen Arm. Jedesmal denke ich an ihn, wenn ich auf die Schriftstelle stoße: ,Wenn ich sage: Komm, dann kommt er.'

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