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Der goldene Käfig

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Als die ersten warmen Maitage wi Wolken aus heißem Duft über den kleinen blühenden Gärten der Vorstadt aufstiegen, hing Dickys Messingkäfig zumeist im Fenster und glänzte, von der Sonne bestrahlt, zwischen zwei grellroten Pelargonienstöcken wie ein kleines goldenes Haus. Dicfcy hüpfte vergnügt von einem Bambusstäbchen zum andern, naschte die schmackhaften gelben Körner aus seinem Napf und schickte seine Triller zu den andern Sängern hinüber, die sich zwischen den schon dicht belaubten Zweigen und den schweren Akaziendolden hin- und herschwangert oder jubilierend zum schimmerden Blau des Himmels aufstiegen. Wenn es dunkelte, kam die Frau mit dem schneeweißen Scheitel, die ihn seit eh und je betreute, trug den Käfig in einen Winkel der Stube, deckte ihn fürsorglich mit einem grünen Wolltuch zu — immer mit demselben — und zündete ihre Lampe an. Dicky barg den hellen Kopf in den molligen Flaum seiner Flügel, blinzelte noch eine Weile in den milden Schein, der durch die schützende Hülle zu ihm gelangte, und schlief sanft und sorglos ein. Dies war sein Dasein von einem Morgen zum andern, von einem Abend zum andern.

Da geschah es eines Tages, daß die weißen Hände der gütigen Herrin das Türchen des Käfigs nicht fest verschlossen hatten, nachdem sie ihm den Futternapf frisch gefüllt., Es sprang auf, als er es beim Hin- und Herflattern zufällig streifte, und wies ihm solcherart den Weg ins Freie.

Dicky stand zuerst ein wenig erstaunt auf der Schwelle, blickte nach rechts, blickte nach links und manchmal auch geradeaus und überlegte, was zu tun sei. Vielleicht hätte er noch länger überlegt, wenn nicht eine kleine Amsel, die schon so manches liebe Mal mit dem Wohllaut ihres Liedes in ihm eine fremde, aber sehr süße Empfindung wachgerufen, eben wieder eines ihrer lockenden Lieder angestimmt hätte. Er tat schließlich, was jeder andere Vogel an seiner Stelle getan hätte, er breitete die Flügel aus, wunderte sich ein wenig, daß sie ihn trugen, und landete nach einigen Schwankungen, die dem noch mangelnden Selbstbewußtsein zuzuschreiben waren, in dem mächtigen Kastanienbaum, gegenüber seinem Fenster.

Von dem Augenblick an, da er seine Behausung verlassen hatte, wie ein Schwimmer, der zum erstenmal vom sicheren Ufer abstößt, wurde er in einen Wirbel von Überraschungen gerissen. Vor allem merkte er jetzt, daß seine Amsel um nichts betörender sang als alle andern Amseln. Dann, daß die Vögel rings um ihn einen riesigen Spektakel machten und daß das freche Gezwitscher der Spatzen sich genau so durchzusetzen verstand wie die Stimme der Lerche oder der Drossel.

Daß er sich unter ihnen überhaupt ein wenig auskannte, verdankte er der fernen Zeit, da er noch mit Vater und Mutter und einer Anzahl Geschwistern in einem großen hölzernen Bauer gelebt und einige Bildung genossen hatte. Die Erinnerung an jene Zeit war scheinbar gänzlich in ihm ausgelöscht gewesen, erst durch die Berührung mit der Umwelt flackerte sie wieder in ihm auf.

Er hatte sich bisher auf seine endlosen Triller und Fiorituren nicht wenig stolz getan, aber nun merkte er, daß seine Kunst in dem Konzert einfach unterging und nicht die geringste Beachtung fand. Das ärgerte ihn. Aber auch mit seiner Ernährung war es nicht so gut und bequem wie vordem bestellt. Es war nicht leicht, ein paar Brotkrumen zu erhaschen, die der Zufall oder eine gütige Hand hingestreut hatte, denn die andern Vögel besaßen eine unglaubliche Fertigkeit im Wegsdinappen, und er kam immer zu kurz. Auch die Jagd nach Raupen, Fliegen und kleinem Gewürm machte ihm wenig Spaß. Erstens mußte auch das gelernt sein, und zweitens behagte ihm die ungewohnte Fleischkost nicht sonderlich.

Er hatte auch geglaubt, daß man ihn viel wärmer, viel freundlicher begrüßen würde, da er ja im Reich der Schöpfung zur selben Klasse gehörte wie die andern gefiederten Sänger. Aber da war keiner, der ihm brüderlich genaht wäre. Es schien ihm sogar, als ob man über seine schöne gelbe Farbe abfällige Bemerkungen mache. Aber das konnte nur Neid sein.

Nur das Fliegen, dieses sanfte Hingleiten zwischen Himmel und Erde, das Aufsteigen in reine, stillere Bezirke, ja schon die Gewißheit, es zu können, maditen ihn stolz und riefen in ihm eine Ahnung vom wahren Glück wach.

Didty hatte aber durch das viele Hin- und Herflattern ganz die Richtung verloren und wußte nidit, wie weit oder wie nah er jenem Fenster war, in dem sein schöner, blanker Käfig hing. Als der Abend nahte und seine Flügel matt und schwer wurden, nltte r rrar

zu gern wieder heimgefunden. Aber die Dunkelheit löschte alle Lichter aus, und es blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als in dem dichten Gezweig eines Fliederbusches Unterschlupf zu suchen.

In dieser Nacht aber ging ein schreckliches Unwetter nieder. Blitze durdizucktcn die Finsternis und lösten nichtentlenwollendes Donnergrollen aus, Sturm bog die stärksten Äste wie Schilf, und schließlich entstürzte ein heftiger Regen dem schwarzen Himmel. Dem kleinen Kanarienvogel war nicht anders zu Mut als einem Reisenden, der auf offenem Meer einen Orkan erlebt.

Als es dämmerte, verebbte das Toben in der Natur und Didy hüpfte mit regenschweren Flügeln auf einen Fliederzweig, der schon ein wenig in Helligkeit getaucht war. Hier plusterte er sein Gefieder auf und wartete auf die Sonne, deren erste Strahlen endlich ein rosiger Himmelsstreifen, wie das Licht von vielen verschleierten Fackeln, ankUiwftgt. Und e kam; strahlend crarcri-wärmte sie auch seine Winzigkeit. Zugleich aber begann auch wieder das Zwitschern, Piepsen, Schmettern und Jubilieren ringsumher — das Leben!

Dem kleinen Vogel klopfte das Herz in einer unbegreiflichen Bewegung. Da sah er in einer geringen Entfernung etwas aufglänzen und erkannte seinen Käfig, seinen schönen, goldenen Käfig, der leuchtend zwischen den roten Pelargonien hing.

Im Nu war er dort, im Nu über der heimatlidien Schwelle, im Nu an dem frisch-gefüllten Futternapf.

Als er seinen kleinen gelben Kopf wieder aufrichtete und aus Frohsinn und Wohlbehagen zu trillern begann, sah er das stille Gesicht mit dem weißen Scheitel, wie von einem Strahlenkranz umschimmert, freundlich lächelnd durch die blanken Messingstäbe ihm zugeneigt. Die weißen Hände schlössen behutsam die Türe. Aber si hätte- auch getrost offenbleiben dürfen.

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