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Der größte Zwerg auf Tucholskys Schultern

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Der Individualist will anders sein als die andern. Und wenn alle zugleich anders sein wollen als die andern, entsteht Zeitgeist." Werner Schneyder hat wieder zugeschlagen. Mit „Schreibzeit". Der Befund über den Zeitgeist ist ein schönes Beispiel für seine Direktheit, seine Kunst, sich pointiert auszudrücken. Das können freilich auch andere, wenn auch nicht zu viele.

Er versteht es, Dinge auf köstlichste Weise auf die Spitze zu treiben. Dabei kommen dann Texte wie dieser - betitelt: Genialität - heraus: „Der Zustand der Welt zwingt uns, in unseren Ausreden immer intelligenter zu werden. Dazu benötigen wir immer intelligentere Menschen. Sie gelten als genetisch herstellbar. Wir verwenden in Zukunft nur mehr Samen der Handelsklasse I. Qu. Die Geburtenkliniken werden zu Wiederaufbereitungsanlagen der menschlichen Genialität. Sollten die Genialen uns allerdings endgültig zugrunde richten wollen, können wir sie ja wieder mit Idioten kreuzen. Es entstünde der Geniediot. Wir wären endlich wiedergeboren." Da die Ausreden immer intelligenter werden und es von Geniedioten wimmelt, scheint es sich hier um eine verkappte Diagnose höchst gegenwärtiger Zustände zu handeln.

Bei Werner Schneyder gesellt sich zum Schreibenkönnen etwas wesentliches: Sein demokratisches Engagement, seine Geradheit in politischen Dingen. Was ihn ausmacht, ist die Verbindung dieser Elemente. Und noch eines dritten: Er verfügt über analytische Fähigkeiten. Pointiert gesagt: Der Mann ist nicht nur intelligent, sondern besitzt auch, wie er selbst gesteht, eine wirtschaftswissenschaftliche Bibliothek, die er nicht nur zum Anschauen benützt. Besultat sind Befunde wie der folgende, hier gekürzt wiedergegebene:

„Nicht ruhigstellen kann man die dritte Gruppe potentieller Nazis. Das sind die jungen Leute ohne Arbeit, ohne Wohnung, ohne Perspektive. Das sind die, die von einer unsolidarischen Gesellschaft ausgeschlossen werden. Die, denen nicht mehr bleibt als der rechte Rausch. Jetzt werden Sie sagen: Warum rechts? Es gibt ja auch linke Revolutionen? Ja, die war ja dran. Die hat ja versagt. Das Pendel schlägt retour. Die nächste Revolution ist rechts. Was man dagegen tun kann? Ein deutscher Innenminister hat von einem Sofortprogramm gegen rechts' gesprochen. Hab' ich sehr lachen müssen. Denn immer, wenn Politiker das Wort ,sofort' vor Programm' setzen, wissen wir: Es ist zu spät. Jedenfalls zu spät ist es für: ,Weh-ret den Anfängen!' Jetzt kann es nur mehr heißen: ,Wehret dem Finish!'."

Kein Wunder, daß Schneyder Kabarettist geworden ist. Kaum sonst irgendwo wird die Kritik an den Zuständen so auf die Spitze getrieben wie im literarischen Kabarett. Doch das Kabarett hat seit längerem an Schärfe verloren. Vor allem sprachlich. Schneyder steht noch in der Tradition der Vor-Nazi- und frühen Nachkriegszeit. Als Personalunion des Autors mit dem Mann auf der Bühne. Und reimen kann er sowieso:

Die neue Rechte

kommt vorerst nicht

im gleichen Schritt

und kommt vorerst nicht

im gleichen Tritt

sie marschiert

und das ist das Tödliche

im Geiste mit

Er ist ein Linker ohne Kompromisse zu Lasten der Demokratie und der Humanität. Also einer, der den ganz Linken um die Nase schmiert, was sie verschuldet haben, und den nicht so ganz Linken in einem „Gespräch mit einem Sozialdemokraten" sehr kabarettistisch, lustig und locker, aber im Kern leider völlig richtig vorhält:

„Wenn heute einer von den Genossen ,genossen' sagt, dann meint er damit das Mittelwort der Vergangenheit. Einen ,Chäteau Rothschild'. Und wenn einer von einem 68er spricht, will er sagen, der Wein sei reif für die Versteigerung. Bei Sotheby's. Kürzlich hab' ich Sie verteidigen müssen. Da hat Sie einer beschimpft. Als Nadelstreifsozialist. Hab' ich Sie verteidigt. Ich hab' gesagt: Warum soll ein Sozialdemokrat keinen Maßanzug tragen? Irgendwas muß ihm ja passen. Wenn schon nicht der Sozialismus.

Sie sind ja der Meinung, daß der Sozialismus verloren hat. Das glaube ich nicht. Der Sozialismus hat ja nur dort verloren, wo er ununterbrochen gesiegt hat. In den sozialistischen Ländern. Bei uns, wo er schon in der eigenen Partei kaum eine Chance gehabt hat, hat er eine Menge gewonnen." Schlußpointe: „Schließlich wissen sie ja, wohin der W7eg der modernen Sozialdemokratie zu führen hat: An die Börse."

Zum Besten gehören die Aphorismen. Da befreit er sich ganz von der Versuchung, immer ein bißchen zuviel zu schreiben, an die Pointe noch was anzuhängen, in die Breite zu gehen, weil ja auch ein schmales Buch vollgeschrieben werden muß. Die Aphorismen sind knapp und hart:

„Die Sonne geht im Osten auf, wandert entsetzt weiter, erträgt auch den Westen nicht und geht endgültig unter."

„Die Geschichte beweist nichts. Die Geschichte verrät."

„Durchaus denkbar, daß der Krieg der Vater aller Dinge ist, denn der Vater aller Menschen ist er garantiert nicht."

„Was hat die Regierung von Babel mit den Leuten gemacht, die gesagt haben: Eigentlich schon hoch genug, der Turm!"

Und so weiter, und so fort. Und weil er eine wirtschaftswissenschaftliche Bibliothek hat, kann man bei ihm auch solches lesen: „,Nur in den zurückgebliebenen Ländern der Erde ist die Zunahme der Produktion noch ein wichtiges Ziel. Was in den fortgeschrittensten ökonomisch not tut, ist eine bessere Verteilung.' Aus welchem Jahre stammt dieses Zitat? Das Jahr ist nicht genau zu nennen, wohl aber die Lebenszeit des Autors, 1806 bis 1873. Er heißt John Stuart Mill, war Engländer, der liberalen Wirt-i Schaftsphilosophie zuzuordnen, also weder links noch grün, was Sie angesichts seines Todesjahres auch nicht angenommen hätten. Warum zitieren? Handelt es sich doch nur um eine Binsenweisheit? Ebendeshalb. Da schreibt einer vor weit über hundert Jahren einen Satz, schlicht und gültig, und wenn wir ihn lesen, bleibt nur Scham. Depression. Und Wut."

Werner Schneyder schrieb ein Buch voller Binsenweisheiten dieser Art. Ich wollte es als Rezensent recht schön in die Breite loben. Die Versuchung, ihn selber sprechen zu lassen, war zu groß. Und eigentlich bleibt hinterher, nachdem er dies getan hat, nicht mehr viel mehr zu sagen. Er ist halt ein literarischer Kabarettist, der ein bißchen übers literarische Kabarett hinausgewachsen ist, ein bißchen auch übers rein Literarische, ein Denkender, ein blitzgescheiter Diagnostiker, ein Linker, der nichts von dem im Namen der Linken Geschehenen ab leugnet, ein bißchen weise, ziemlich wütend, halbwegs optimistisch, aber auch ziemlich skeptisch, ein Spötter, der seinen Respekt nicht verleugnet, wo Respekt angebracht ist, ein gekränkter Moralist, einer, der ausdrückt, was viele empfinden.

Viel vom Geist des Kurt Tucholsky ist in ihm. Gewiß, für einen Tucholsky fehlt noch Kragenweite. Aber er ist derzeit der größte von all den Zwergen auf Tucholskys Schultern. Geistig gesprochen. Mit der körperlichen Statur verhält es sich ja eher umgekehrt. So oder so: Schneyder ist meiner Meinung das Tucholsky Verwandteste, was derzeit zu haben ist.

SCHREIBZEIT

Von Hemer Schneyder I erlag Kremayr & Scheriau, H'ienl996 Wm 256 Seiten, geb., öS 295,-

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