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Der Hämmerer

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Die Zertrümmerung des geschichtlichen Bildes Stalins beginnt nun auch zu Personalveränderungen zu führen.

Das erste Opfer ist Molotow, der am 1. Juni als Außenminister zurückgetreten ist. Hier haben wir ein klassisches Beispiel, wie ein Staatsmann im Reiche der Sowjets politisch „verbraucht“ wird. Dabei muß man feststellen, daß Molotow viele Jahre gerade bei der Parteimasse eine merkwürdig große Autorität genoß. Es ist sogar fraglich, ob Stalin in den ersten Jahren seiner Diktatur sich hätte durchsetzen können, wenn ihm Molotows Autorität nicht zur Seite gestanden hätte. Das erscheint auf den ersten Blick für jeden merkwürdig, der Molotow einige Male gesprochen hat. Denn der erste und dann sehr nachhaltige Eindruck von seiner Persönlichkeit ist, daß es sich um einen doch subalternen Mann handelt, der impier im Schatten eines Größeren wandern muß. Ein menschlicher Satellit. Die Autorität, die Molotow genoß, ist auch darum merkwürdig, weil er beinahe nie jenes Instrument verwendet hat, das am besten dazu dient, in der russischen Partei Popularität und Autorität zu erlangen, nämlich die Feder. Er war, ganz im Gegensatz zu allen anderen alten Bolschewiken, nie Publizist, hat ganz selten einmal einen Artikel und nie ein theoretisches oder politisches Buch verfaßt. Obwohl er ja bis 1917 der Druk-kerschwärze sehr nahestand. Die Autorität, die Molotow viele Jahre in der Partei genoß, hat er sich eigentlich buchstäblich ersessen — mit Fleiß und Arbeitswut.

Noch mehr war es sein Lebenslauf, der ihm, ohne daß er etwas dazutat, seine Stellung verschaffte. Es begann schon damals, als ein noch junger Mann, ein Student der Technik, 1912 auf dem historischen Kongreß im Prager Volkshaus als Delegierter der Petersburger bolschewistischen Organisation mit dabei war, damals, als die Fraktion Lenins sich endgültig von der russischen Sozialdemokratie loslöste, nachdem sie seit 1903 bereits ein eigenes Dasein, als eine Art politische Sekte, gelebt hat. Fünf, sechs Jahre später war das bereits geschichtliche Vergangenheit geworden.

Für Hunderttausende, ja Millionen, die erst 1917 und 1918 in die Partei eintraten, war die Zeit des Zarismus bald schon sagenumwoben, jeder, der damals bereits Parteimitglied war, ein Held. Doch damit nicht genug. Damals, 1912, erschien die „Prawda“ in Petersburg legal. Redaktionssekretär war der junge Student der Technik Wje'scheslaw Skrijabin, mit seinem revolutionären Pseudonym Molotow (der Hämmerer) genannt. Eigentlich ein bei den Mitarbeitern der kleinen Zeitung wenig beliebter Sekretär. Pedantisch genau, immer auf Pünktlichkeit und Genauigkeit drängend, war der beinahe nie lächelnde junge Mann alles andere als sympathisch. Er selbst schrieb eigentlich äußerst selten, war jedoch die Seele des Geschäftes. Alle jene, welche die Artikel schrieben, waren für die Begriffe der Parteimasse „oben auf dem Olymp“.

Irgendwo ferne, in Krakau oder Zürich, saß Lenin, schrieb seine Artikel und Broschüren, um ihn ein Kreis von Emigranten. Man konnte sie sich leicht vorstellen, diese eigentlich unromantische und ungefährliche Emigrantenexistenz. Doch hier in Petersburg, im Redaktionssessel, saß Molotow. Keineswegs über den Wolken thronend, durchaus irdisch. Und doch um soviel geheimnisvoller als alle geistigen Größen der Partei. Es schien, daß von diesem Sessel aus, aus einem durchaus offiziellen und legalen Dasein, sich auch die geheimnisvollen illegalen Fäden zogen, die über die Grenze zu Lenin führten, ins Taurische Palais, dem Sitz der Reichsduma, und hinaus in die Provinzen des weiten Rußland. Bei allen historischen Ereignissen war Molotow dabei. Immer im Hintergrund, immer der exakte Vollzieher fremder Befehle. Molotow war mit im Zentrum, doch gerade durch diese seine Stellung irgendwie näher dem einfachen Parteimitglied.

Dann war er immerhin über anderthalb Jahrzehnte Regierungschef unter Stalin, der Außenminister des großen Krieges. Doch merkwürdig — kaum war Stalin tot, da begann auch die Autorität Molotows zu verblassen. Die Sonne der Macht ging unter, der Satellit hatte keinen Planeten mehr, um den er kreisen kann, die Strahlen der Macht fielen nicht mehr auf ihn, und er verblaßte in der Dämmerung, und jetzt, nachdem auch das letzte Abendrot einer bereits untergegangenen Sonne gewaltsam verlöscht wurde, ganz in der Dunkelheit.

Erst nach dem Tode Stalins wagte es Molotow in einer seiner Reden vor dem Obersten Rat, beinahe das erstemal in seinem Leben, einen theoretischen Satz einzuflechten. Dieser Satz, aus dem man herauslesen konnte, daß in der Sowjetunion noch nicht der Sozialismus verwirklicht sei, hat zu soviel Diskussionen in der Partei geführt, daß ihn Molotow acht Monate später in einem großen Artikel widerrufen mußte. Das war ein deutlicher Hinweis auf seine schwindende Autorität. Jetzt, nach dem posthumen Strafgericht gegen Stalin, ist es mit ihm ganz vorbei. Denn schließlich war ja Molotow Chef der Regierung und Außenminister, als er die heute als falsch erklärten Entschlüsse Stalins praktisch durchführte. Wahrscheinlich hat ihm Chruschtschew, vielleicht ungewollt, den letzten Rest gegeben, als er dem Parteikongreß erzählte, Stalin habe vorübergehend die Frau Molotows verhaften lassen, und ihn selber, den Außenminister und Vizeministerpräsidenten, unter Hausarrest gesetzt. Die heutigen Mitglieder der sowjetischen kommunistischen Partei sind ja allesamt keine Athleten der Zivilcourage mehr. Immerhin, die Partei gilt auch heute noch als eine Partei der „stahlharten todesmutigen Revolutionäre“, eine Partei, die „Beken-'ermut“ zur Pflicht macht. Unter Einsatz seines Lebens hätte Molotow die Verwirklichung fehlerhafter Entscheide verhindern sollen (Statt dessen läßt er sich unter Hausarrest setzen! Wenn sie selbst schon keine Zivilcourage haben, desto mehr verlangen sie eine solche von jenen, denen sie Autorität verleihen. Und schließlich: ein Opfer muß es geben! Bezeichnend ist die

„sanfte“ Art des Rücktrittes. Man liebt keineswegs Sensationen. Man will in Zukunft nichts brüsk, nichts unerwartet machen. Alles soll sich friedlich, „normal“ vollziehen. Auch in der Sowjetunion, wie in jedem andern „kultivierten“ Staat, soll ein Minister, der seine Autorität verloren hat, friedlich abtreten.

Molotow bekleidete eigentlich drei Posten — er war Außenminister, stellvertretender Ministerpräsident und Mitglied des Parteipräsidiums. Im Vordergrund, im Lichte der Oeffentlichkeit, stand natürlich nur sein Posten als Außenminister. Durch diesen Posten war er an der Macht beteiligt. Voraussichtlich wird er vorläufig noch stellvertretender Ministerpräsident ohne Ressort bleiben. Er wird eben immer weniger in der Oeffentlichkeit genannt werden. So wird er langsam und unbemerkt aus der Politik verschwinden. Auch Mitglied des Parteipräsidiums kann er noch längere Zeit bleiben. Trotzki und später Bucharin blieben noch längere Zeit Mitglieder des Politbüros, nachdem sie schon längst in diesem Gremium nichts zu sagen hatten. Es gibt also einen glatten Weg, auf dem Molotow langsam, jedoch sicher aus der Macht-spitze verschwindet.

Mit Molotows Rücktritt ist von der Spitze der Sowjetunion eigentlich der letzte Mann verschwunden, der noch persönlich im alten Petersburg gegen den Zarismus gekämpft hat, der noch bei den historischen Kongressen der Partei, im Ausland dabei war. Der noch zurück hineinragt in die legendenumwobene heroische Vergangen heit. Sein Abgang wird dadurch auch Geschichte. Folgen ihm eines Tages Kaganovvitsch und Wo-roschilow, dann sjnd, außer Chruschtschew und Mikojan, auch alle jene gegangen, welche die Oktoberrevolution selbst mitgemacht haben.

Doch mit Molotow geht bereits der letzte, der noch wirklich aktiv gegen die Monarchie gekämpft hat. Das wird nun endgültig Geschichte. Endgültig kommt ausschließlich die nachrevolutionäre Generation an die Macht die viele der Tradition, die bisher in der SoWjetpolitik geherrscht haben, einfach nicht haben kann. Wir werden also relativ bald einem völlig neuen Rußland gegenüberstehen.

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