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Der „Haftsteckendialekt

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Um das Wort „Haftsteckendialekt“ zu verstehen, muß man zuerst wissen, was ein Haftstecken ist. Also „Haftstecken“ nennen die Schiffsleute und Flößer jene dicken Eichenpfähle, die, in gewissen Abständen längs des Donauufers tief in den Boden gerammt, zum „Anheften“ der Dampfer, Plätten, Flöße, Mutzen und Zillen dienen.

Mächtige Flöße, weit oben an der Enns und Traun „geraucht“ (zusammengestellt), brachten Bau- und Schnittholz herunter. Von Zillen gab es „Obstzillen“, „Essigzillen“, „Z'wiebelzillen“, „Waidzillen“, „Seilzillen“ und andere mehr. Der Name „Kahn“ für „Zille“ war an der Donau nie gebräuchlich, selbst der Name „Boot“ begann sich erst einzubürgern, seitdem es Motorboote und Faltboote gab. Aus meiner Knabenzeit erinnere ich mich noch an einen jungen Genieleutnant, der sich mit einem winzigen „Seelentränker“ auf die Donau wagte. Dieser Seelentränker mag vielleicht das Urbild unserer heutigen, nicht weniger seelen-tränkerischen Kajaks und Faltboote sein.

Von den genannten Fahrzeugen konnte man noch in meiner Jugend an der Donaulände in Stein jeden Abend eine erkleckliche Anzahl sehen. In kilometerlanger Reihe, bis Förtbof hinavf, lagen die Flöße, Zillen und Trauner neben und hintereinander, und wenn der Abend sich niedersenkte, dann leuchteten die Feuer gespenstig auf den Schiffen, schwermütig fast klang der rauhe Gesang der Schiffsleute durch die Nacht.

Was mich damals als kleinen Buben besonders zur Donau zog, waren die „Gegenzüge“, welche die leeren Trauner und Plätten von Wien und Ungarn herauf Schritt für Schritt „gegenwärts“ schleppten, bis weit hinauf nach Linz, Passau und Regensburg. Schiffspferde, „Schöffrösser“, zogen die Schiffe gegen den Strom; Pinzgauer aller-sdiwersten Schlages mußten es sein und gut abgerichtet für ihre schwere Arbeit. Denn diese schweren Pferde mußten allerhand können. Sie mußten auf Kommando aus der „Roßzilln“ heraus auf die spitzen Steine des ..Bachlacht“ springen, sie mußten bis an die Brust ins Wasser, wenn es galt, die Furt beim „Antenschnabel“ oder beim „Fünfgroschenhaufen“ zu durchqueren, sie mußten samt dem „Vorreiter“ auf dem Rücken auch tapfer schwimmen können, wenn sie dabei den Grund unter den Hufen verloren

Nicht jeden Abend fanden diese Gegenzüge auf ihrer wochenlangen Reise ein gastliches Obdach. Die Ortschaften lagen zum Teil weit auseinander, starker Gegenwind und einfallender Nebel zwangen zum „Wind-“ und „Nebelfeiern“, und da mußte dann haltgemacht werden, wo man eben gerade war. Die Verpflegung bot auch in den weltentfernten Donauauen keine besonderen Schwierigkeiten, ein Bier- oder Weinfaß war ja stets an Bord, die ausgelegten Nachtschnüre lieferten die schönsten Barben, und am Abend schnitt wohl einer von den Schiffsleuten eine lange Stange in der Au, band ein Stück brennenden Schwefel an die Spitze und hielt sie den aufgebäumten schlafenden Fasanen solange unter die Nase, bis sie betäubt vom Baume fielen, worauf dann ein fröhliches Rupfen anhub. Auch Hirsche und Rehe sollen bei solchen Gelegenheiten durch einen unvermuteten Schuß eines plötzlichen Todes gestorben sein.

Diese örtlichkeiten, oft meilenweit von menschlichen Behausungen entfernt, waren den Nauführern genau bekannt, sie wurden von den Schöffleuten mit Namen belegt, welche der Phantasie dieser ursprünglichen Männer mitunter alle Ehre machten. Einen ehemaligen „Ausstreifplatz“ in Hundsheim bei Mautern hießen sie den „Scheiterkling“. Hört man da nicht förmlich die Holzscheiter rollen und klingen, mit denen die Flöße „gedaucht“ (beladen) wurden. Aus dem alten Wahrzeichen der Fischer und Schiffer, dem „Wetterkreuz“ oberhalb Hollenburg, machten sie die „schwimmende Anten“, und fürwahr, man könnte mit etwas Einbildung in dem kleinen Kirchlein mit dem gedrückten Turm ein auf dem flachen Bergrücken schwimmendes Entlein erblicken. Dasselbe gilt von dem oberhalb der Kremsmündung gelegenen „Tiefen Hagen“, dessen Bewältigung bei niederem Wasserstande den berg-wärts ziehenden Schöffleuten oft kilometerlange Flüche entlockte. Dem „Fünfgroschenhaufen“ unterhalb Thallern mag ein vergessener Kauf den Namen gegeben haben, der „Kailbisam“ bei Traismauer war bestimmt der Ort, wo die Bauern und Händler ihre Kälber zum Verladen zusammentrieben. Aus dem uralten „Färgenhause“ in Förthof oberhalb Stein wurde allgemach das „Fliegen-häusl“, ein heute noch bestehendes Schifferwirtshaus.

Der Name „Alte Naufahrt“ ist den Donauleuten heute noch geläufig. Noch in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts benützten die Schöffleute bei der Talfahrt (Naufahrt) diese offenen Donauarme,die bis auf klägliche Reste der Donauregulierung zum Opfer gefallen sind. Fing ich doch selbst noch Hechte und Schule, wo längst schlagbares Augehölz steht.

Viele, die meisten alten Wasser- und Flurnamen sind verschollen und vergessen. Kein Mensch weiß heute mehr die Stelle, wo das Kirchspiel „Marquartsufer“ gestanden; mächtige Hochwasser schwemmten diese Ortschaft ebenso gründlich weg wie das Kloster St. Georgen, das an der Traisenmündung gestanden haben soll. Eine Stelle in der Hollenburger Au heißt heute noch „Am Sandl“, als Erinnerung an die Ortschaft Sandl, welche einst die Donau holte. In manchen Nächten soll man noch die Glocken der Kirche läuten hören.

Die „Schöffleute“ bildeten eine Zunft, sie lebten ihren geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen getreu, hielten auf Stand und hergebrachte Tracht, soffen wie die Löcher und konnten fluchen, daß (ich die Wände bogen.

So wenigstens habe ich sie noch in Erinnerung, als ich vor vielen Jahren einmal in Förthof beim alten Kleinrat in einen Schwärm zechender Schöffleute geriet. Bei dieser und anderer Gelegenheit erfuhr ich manches, das, heute vergessen, des Aufschreibens wohl wert ist.

Es dürften zum Beispiel wenige Leute mehr wissen, daß die Schiffsleute gewisse Vorrechte besaßen, von denen das wichtigste die Befreiung vom Militärdienst war. Und das wollte etwas heißen bei der sechs- bis zwölfjährigen Dienstzeit vor 1866! A-as diesem Grunde ergänzten sich die Sdiiffsleute zumeist aus den Söhnen vermögender Bauern aus Oberösterreich, die dann, der Dienstpflicht entschlüpft, nach einer gewissen Zeit wieder nach Hause gingen, um den väterlichen Hof zu übernehmen. Aus diesen des Sdireibens und Lesens immerhin kundigen Mostschädeln bildete sich die Aristokratie der Schiffsleute heraus, die „Kranzel-meister“, „Stoirer“, „Sößtaller“, „Vorreiter“, „Schwemmerer“ und „Bummerltreiber“. Handwerksburschen aus dem Reich verdingten sich gerne als Ruderer, um nach Wien fahren zu können.

Der Schiffsmannberuf war schwer verantwortungsvoll und gefährlich. Das freie ungebundene Leben am Wasser, der gute Verdienst mußte für manches Ungemach entschädigen und wer nicht alles durch die Gurgel jagte, ein wenig Safranhandel betrieb und aus Bayern Zigarren herüberschmuggelte, konnte sich sogar einen schönen Batzen Geld ersparen. Zum Safranhandcl gehörte allerdings eine größere Summe Geldes, kostete doch noch in den achtziger Jahren am Kremser Simoniemarkt ein Lot Safran fünf Gulden. Krems war damals der Hauptort des Safranhandels. Der Safrantwu wurde besonders in der Meißauer Gegend betrieben, hat jedoch gänzlich aufgehört.

Die großen Herren, die „Schiffsmeister“, deren es anfangs der siebziger Jahre noch sechzig an der oberen Donau gab, schauten sich die Leute, denen sie ihr Hab und Gut auf Treu und Glauben anvertrauten, vor dem Aufdingen gut an. Voraussetzung war, daß kein Schiffsmann des Schwimmens kundig sein durfte. Das klingt sonderbar, wenn man will, grausam, ist aber wahr und sollte bezwecken, daß kein Mann das verunglückte Fahrzeug schwimmend verließ. Eas Wagnis des Schiffsmeisters, der oft sein ganzes Vermögen in einer Ladung stecken hatte, war groß und durch keine Versicherung zu mildern. Und der Unglücksfälle gab es genug. Abgesehen von der österreichischen Szylla und Charybdis, dem Greiner Strudel und Wirbel, lauerte gar manches „G'chachlet“, dem man bei widrigem Wind trotz aller Vorsicht nicht ausweichen konnte, mancher überronnene Haufen und nicht \uletzt die Mauterner Donaubrücke, der „hölzerne Gattern“, auf das Verderben der Schiffe.

Das Harmloseste, das bei plötzlich einfallendem Nebel leicht geschehen konnte, war das „Landfahren“ auf einer Schotterbank. Aufgefahrenen Flößen gelang es zumeist, von der Schotterbank loszukommen, indem sie den mächtigen „Schlingerbaum“ in das schwere Rinnen hinausließen; aufgefahrenen Traunem und Plätten stand dieses Hilfsmittel jedoch nicht zu Gebote, und wenn das Wasser nicht stieg und' das Fahrzeug hob, mußte wohl oder übel gewartet werden, bis der nächste Dampfer Vorspann machte und das Fahrzeug wieder flott wurde. Waren sonst nicht sehr beliebt bei den Schiffsleuten, die Herren „Dampfler“; schaufelten doch die Räder der Dampfer langsam aber sicher ihrem jahrhundertealten Gewerbe das Grab.

Solange das Fahrzeug im Dienste stand, herrschte strenge Zucht und Ordnung. Der „Nauführer“, der das Fahrzeug „nauwärts“, das heißt stromabwärts, zu führen hatte, war der widitigste Mann an Bord. Kraft seines behördlichen Patentes hatte er während der Naufahrt das Kommando, er mußte das Wasser genau kennen, stets über Veränderungen, die ein Hochwasser im Stromstrich schuf, auf dem laufenden sein und rasch zu handeln wissen, wenn es nottat. Besondere Umsicht erforderte das Zufahren und Anheften. Der Strom fließt mit einer Geschwindigkeit von 2 bts 3 Meter m der Sekunde, und da kommt es auf Sekunden an, das im Schwünge befindliche, viele hundert Zentner schwere Fahrzeug aufzuhalten, zu stoppen und an der gewünschten Stelle ans Ufer zu bringen. Wie viele Himmel-sakra mag es da gegeben haben, wenn beim Zufahren das „Treibleinl“ nicht ordentlich über den „Einkeimriedl“ durch die „Ein-keimlucken“ lief oder wenn der dicke, eisenbeschlagene „Reier“, der als Ankerersatz diente, im entscheidenden Augenblick nicht Grund faßte.

Nach dem Nauführer kam der „Stoirer“, der den Nauführer gegebenenfalls vertrat. Er hatte seinen Stand auf einer erhöhten Plattform, dem „Taber“, von wo er, beim großen Steuerruder stehend, den Strom überblicken und das große Steuerruder, den „Ruaderbam“, bedienen konnte. Dem „Kranzelmeister“ unterstanden die rudernden Schöffleut, deren es auf großen Flößen und Plätten ein halbes Dutzend gab. Weniger aufregend war das Geschäft des „Sößstallers“, dem es oblag, das sich kn „Sößstall“ ansammelnde Wasser mit einem löffeiförmigen Gerät, der „Söß“, „auszu-sößen“. Manchmal machte er auch den Koch und hatte die Aufsicht über das Bier- oder Weinfaß, stets ein Zeichen ganz besonderen Vertrauens.

Bei den „Gegenzügen“ hatte der Nauführer nichts mehr zu tun, da trat der „Schwemmerer“, der im zweiten Fahrzeug seinen Posten hatte, und der „Bummerltreiber“, der im letzten Schiff die Nachhut bildete, in Tätigkeit. Das Schleppen der Gegenzüge gegen den Strom brachte mandie schwere Arbeit mit sich. Fast unausgesetzt mußte mit dem „Spaholz“ gearbeitet werden, damit das schwere Zugseil die Schiffe nicht an den Steinwurf des Ufers preßte, mehrmals des Tages mußte in der damals unregulierten Donau ein toter Arm, ein Hagel übersetzt und einem Schotterriegel ausgewichen werden. Da war der „Vorreiter“ eine Hauptperson. Während die ziehenden Pinzgauerpferde, mit der „Süll“ hintereinander gekoppelt, keuchend ihre schwere Arbeit verrichteten, bot der Vorreiter, frei auf dem schwersten Hengste reitend, die kurzstielige „Goasl“ (Geißel) mit dem langen Lederriemen auf den Schenkel gestützt, ein Bild urwüchsiger Kraft. Seine Tracht bestand aus einer blauen Samtweste mit silbernen Knöpfen, aus der eine mächtige, mit alten Silbertalern und einem silbernen Rössel geschmückte Uhrkette niederbaumelte. An seinem blauen gestrickten Schafwolljanker, mit den großen Perlmutterknöpfen, waren an den Eilbögen lederne Herzen eingenäht, damit sich der Janker am Wirtshaustisch nicht so leicht durdi-scheuere; die Füße steckten in kurzen Stiefeln aus Juchtenleder, sein Haupt bedeckte ein rundes Hütl, an dem ein Büsdiel „Frauenhaar“ lustig im Winde flatterte.

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