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Der Haustyrann

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Mein Großvater, Ambros Mauerer, war nicht reich und war nicht arm. Er war, Bauernbub aus Pfreimd in der Oberpfalz, Bereiter beim Grafen Giech gewesen, hatte die Kriege von 66 und 70 mitgemacht, ohne ins Gefecht zu kommen; und an der Front des Lebens ist er auch später nie gestanden. Unverhofft war er in den Besitz einer kleinen Erbschaft gekommen, von der er als Privatier lebte. Als solcher steht er noch, zuerst in der Skell-, später in der Kanalstraße, in den älteren Münchener Adreßbüchern. In den neueren jedoch ist er als Altertumshändler in der Augustenstraße aufgeführt. Er hatte sein Vermögen gewaltig überschätzt, war seiner Sammelleidenschaft blindlings gefolgt, und schließlich hatte er die Wohnung voller Kostüme, Waffen, Porzellan und Walzenkrüge, aber kein Geld mehr. Und so blieb ihm nichts übrig, als die schönen Sachen wieder zu verkaufen; er setzte sich wie eine Spinne in seinen finsteren Ladenwinkel und wartete, ohne 6ich viel zu rühren, auf die Leute, die etwas anboten oder haben wollten. Denen, die ein besonders geliebtes Stück erwarben, war er bis an sein Lebensende bös. Wenn er etwas nicht hergeben wollte, nannte er die unsinnigsten Preise, aber gelegentlich zückte ein Kunde kaltblütig den geforderten Betrag und zog mit seinem Kaufe ab.

In seinem Laden hätte ich auch gern etwas erstanden. Denn er hatte nur geringe Kenntnisse und handelte nach dem damaligen Brauch: was er für drei Mark erworben hatte, gab er um fünf weiter. Nur die schier unerschöpfliche Fülle des Kunstgutes verbürgte den bescheidenen Gewinn, den zum Schluß das Geschäft doch noch abwarf.

Uns Heutigen erscheinen jene Zeiten um die Jahrhundertwende wie ein verlorenes Paradies, aber mein Großvater war anderer Ansicht. Da er ja nicht wissen konnte, wie wirkliche Sorgen aussehen, brütete er sich selber alle Tage welche aus und aß unentwegt vom Baum der Erkenntnis, daß es so nicht weitergehen könne. Die Jahre, in denen es dann tatsächlich nicht so weiterging, sondern ganz anders, hat er nicht mehr erlebt. Er war sonst ein umgänglicher Mensch, nur um Geld durfte man ihm nicht kommen, da war es aus mit der Gemütlichkeit.

Es war immer ein Leidensgang für seine Frau, wenn sie, spähend und Erkundigungen einziehend, ob er nicht gar zu schlecht aufgelegt sei, in den Laden schleichen mußte, um sich wieder Haushaltsgeld zu erbitten. Im besten Fall griff Herr Mauerer mit finsterer Heiterkeit in die Westentasche; meist aber warf er ihr mit der grollenden Frage: „Ja, frißt denn du das Geld?“ ein Zehn- oder Zwanzigmarkstück hin und mehr als einmal so hastig, daß es am Boden rollte oder sich gar unterm Tisch oder Schrank verschloff, so daß die alte Frau sich bücken mußte oder auf allen Vieren im Staub kriechen, eine Demütigung, die der Großvater weidlich genoß, da er sie für eine gerechte Bestrafung der Dreistigkeit hielt, von ihm so mir nichts — dir nichts Geld zu verlangen.

Zugegeben, daß er ein bescheidener Mann war, der nicht rauchte und nicht ins Wirtshaus ging; aber ein gewaltiger Esser war er, der ein handtellergroßes Stück Rindfleisch mit der Gabel zusammenbog und in den Mund steckte, es dort zu zermalmen mit kräftigen Zähnen, von denen ihm bis zur Stunde noch nie einer weh getan hatte. Später, bei seinem ersten Zahnweh, führte er sich denn auch wie ein Rasender auf.

Er hätte es doch wahrhaftig sehen müssen, wofür die Großmutter das Geld brauchte, wenn die Händlerin aus Regensburg kam mit ganzen Kränzen von Knackwürsten, wenn der alte Hausfreund Kerndlmeyer, der Lokomotivführer war, und, ohne Transportspesen, die köstlichsten Dinge aus ihrer Heimat brachte, drei fränkische Preßsäcke auf den Tisch legte, daß er sich bog, so schwer waren sie: ein weißer, ein roter und ein gemischter. Wer denn hätte es besser wissen sollen als er, daß Suppenhühner und Hasen, Rebhendl und Girsch-ziemer Geld kosten, auch wenn das Paar Tauben damals auf dem flachen Land nur dreißig Pfennige galt, wenn man selber in den Schlag stieg, um sie zu holen. Das Brot war schwer zu verdienen, drum aß er's nur sparsam, und von all dem Grünzeug wollte er wenig wissen, denn wo ein Gemüs' Platz hat, da hat ein Fleisch erst recht Platz. Aber das Fleisch und die Mehlspeisen die waren „das bißl Fressen“, für das die Großmutter so bescheiden ums Geld betteln mußte, das er ihr, von Verblendung geschlagen, so mürrisch vor die Füße warf.

Eines Tages jedoch brach der Krieg aus. Die Großmutter, von ihrer Tochter, meiner Mutter, aufgestachelt, ging festeren Schrittes als sonst in den Laden, um dem unheilschwanger dort sitzenden Mann das fällige Geld abzuverlangen. Er zückte löwepknurrend ein Goldstück und warf es hin. Es tanzte über den Tisch und klimperte am Boden hin. Mitten im Raum blieb es liegen. Die Großmutter nahm alle Kraft zusammen und ging, ohne es aufzuheben, ohne ein Wort zu sagen.

Der Vormittag verstrich, kein Bratenduft durchzog die Wohnung. Der Großvater kam, schnupperte herum und ging wieder Der Herd war kalt. Die Frauen aßen heimlich ein Butterbrot und warteten, zwischen Furcht und Triumph zitternd, was nun werden würde. Die Tochter vertrat der Mutter die Tür, als die fügsame Frau um des lieben Friedens willen gehen wollte, das Geld vom Boden zu nehmen. Was mit uns Kindern geschah, weiß ich nicht mehr; aber jedenfalls nahmen wir glühenden Anteil an dem heimlichen Kampfe, der zwischen Küche und Laden entbrannt war und in den wir, ohne alle erzieherischen Rücksichten, als Parteigänger, Späher und Boten einbezogen wurden.

„Was macht ,er' denn?“ fragte uns die Großmutter, und wir mußten berichten, daß er in finsterem Groll in seinem Stuhle saß und auf das Goldstück am Boden starrte .

„Rührt sich nichts in der Küche? horchte uns der Großvater aus, und wir teilten ihm mit erheuchelter Kümmernis mit, daß keinerlei Anstalten zu einem Mittagessen getroffen würden. In Wahrheit fieberten wir der Stunde entgegen, wo sich das Schicksal entscheiden mußte.

Es wurde zwölf Uhr, es wurde ein Uhr. Der Großvater sperrte den Laden ab und ging nebenan in die „Walhalla“ zum Essen. Seit Jahren hatte er das nicht getan. Der rare Gast mußte erhebliches Aufsehen erregt haben. Wütend kam er zurück. Das Goldstück lag noch, wie es gelegen war. Kunden kamen; der Großvater stellte sich mit breitem Stiefel auf das blinkende Metall, aber er hob es nicht auf. Er war entschlossen, den Krieg bis aufs Messer zu führen.

Er hätte ja einen von uns Buben überreden können, der Großmutter das Geld zu bringen. Aber solch ein Ausweg wäre wider seine Ehre gewesen. Als es Abend wurde, zog er wieder ins Wirtshaus ab.

Der nächste Tag verging nicht anders, in bedrohlichem Schweigen, hier in der Furcht vor einem Ausbruch, dort in der Hoffnung auf die Nachgiebigkeit der Großmutter — und für uns Buben in der wilden Spannung der Zuschauer bei einem Zweikampf.

Die Eierfrau wurde weggeschickt, es sei kein Pfennig Geld im Hause. Sie wußte nicht, was sie davon halten sollte. Nachbarinnen kamen, in scheinheiliger Sorge zu fragen, ob jemand krank sei. Die Reputation des Hauses stand auf dem Spiel — aber das Goldstück blieb liegen. Der Großvater, ungefrühstückt und mit Zorn im Bauch, nichts als Zorn, pfiff mittags den Hunden und ging weiter fort, in ein fremdes Gasthaus, wo ihn kein dummes Gerede stören sollte. Die Großmutter zerfloß in Angst und Mitleid, aber meine Mutter schmiedete sie mit grausamer Härte: Jetzt oder nie müsse sie dem Wüterich „die Schneid abkaufen“.

In München geht die Sage von einem königlich bayerischen Kommerzienrat, der in einer ähnlichen Lage, als ein auf seiner Burg belagerter Zwingherr, sich kurz entschlossen von einem Dienstmann aus dem nahen Augustinerkeller einen Nierenbraten holen ließ, Tag für Tag — und der schließlich an diese Leibspeise gewöhnt, bis an sein Lebensende, auch nach längst geschlossenem Hausfrieden, an dem wunderlichen Brauche festhielt. So eisern war mein Großvater nicht. Am dritten Tag beugte er sich, brachte das Goldstück in die Küche und legte es, schweigend zwar, doch artig auf den Tisch.

Es war wie im Märchen vom Dornröschen: Haustyrannei und Verzauberung waren mit einem Schlage gebrochen, das Feuer prasselte im Herd, die Kochlöffel rührten sich, die Eierfrau bekam ihr Geflügel abgekauft, und in allen Töpfen schmorte und brodelte es. Ein gewaltiges Versöhnungsmahl wurde gerüstet.

Der Bittgang ums Haushaltgeld ward von Stund an um vieles leichter. Den düsteren Sorgenblick zwar und das grundtiefe Seufzen hat die Großmutter nach wie vor hinnehmen müssen, denn die Lebensangst, bei vollen Schüsseln Hungers sterben zu müssen, war dem alten Mann nicht mehr auszutreiben. Aber nie mehr stellte er an seine Frau die Frage, ob sie das Geld fresse, und seine Hand blieb ruhig, wenn er ihr das übliche Goldstück reichte.

Wenn mir heute, wo alles so viel schwerer geworden ist, meine verehrte Gemahlin einen Hundertmarkschein um den andern entreißt, juckt's mich auch manchmal in den Fingern, und die bescheidene Neugier, zu erfahren, wohin all das Geld verschwindet, möchte mich zu häßlichen Fragen verleiten. Aber dann denke ich, nach einem halben Jahrhundert, an den Großvater und winke sogar noch müde ab, wenn mir meine Frau erklären will, wieso und wofür. Credo, quia absurdum est — ich glaube es, so unglaubwürdig es auch sein mag.

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