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Der heilige Widerspruch

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Christentum gemäß Johannes. Von Erich Przywara. Glock & Lutz, Nürnberg. 317 Seiten.

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Christentum gemäß Johannes. Von Erich Przywara. Glock & Lutz, Nürnberg. 317 Seiten.

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Vor einigen Jahren hielt Erich Przywara in der Kirche eines Freiburger Vorortes Predigten über das Johannes-Evangelium; sie liegen nun, auf Grund revidierter Nachschriften, vor. Das Buch möchte weder ein exegetisches noch ein theologisches noch ein philosophisches Werk sein; es zielt allein auf die „religiöse Struktur", das heißt, es möchte an entscheidenden Stellen das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf durchscheinen Jassen im Sinne der analogia entis, der Przywaras Lebenswerk dient. Unter Berufung auf das vierte Laterankonzil und Thomas von Aquin hat er diesen viel umstrittenen und mißverstandenen, von Karl Barth als „d i e Erfindung des Antichrist“ bezeichneten Begriff in seinem großen Werke „Humanitas" das als Vision der Zeit, nicht als Werk der Geistesgeschichte verstanden werden sollte definiert: zwischen Schöpfer und Geschöpf kann keine so große Aehnlichkeit angemerkt werden, daß nicht zwischen ihnen eine je immer größere Unähnlichkeit anzumerken sei: der noch so großen Aehnlichkeit ist eine noch größere Unähnlichkeit zugeordnet. Die Formel weist auf einen Rhythmus, eine immerwährende Steigerung in allen „aus keinerlei Prinzip ableitbaren Inhalten" des Glaubens; analogia entis ist ein dynamischer Begriff.

Unter der .Voraussetzung der Einheit des auf Erzählungen des Petrus zurückgehenden Markus- Evangeliums und des Evangeliums Matthäus — welche Einheit als „petrinisches Evangelium" gefaßt wird, sieht Przywara die Evangelien in der Ordnung der „Drei Reiche": das petrinische Evangelium des Vaters, das paulinische des Sohnes, das johanneische des Geistes spiegeln die Trinität. Auf der Grundlage dieser Ganzheit der „dreiflügligen” Offenbarung wird das Eigene des Johannes-Evangeliums vergegenwärtigt: es ist das endzeitliche Evangelium des Geistes; Gott ist, im Verständnis „Johannnes des Theologen", dem All „voll zugeordnet"; ausgehend vom Anfang, blickend ins Ende als der Vollendung des Universums, schreibt er das „Evangelium des Kosmos", die Reichsbotschaft de kosmischen Christus. Der geheimnisvolle Satz Heraklits: ..Der Weg auf und ab ist ein und derselbe" wörtlich: Weg oben unten ist ein und derselbe, bietet das Leitmotiv, wie ja auch Heraklit schon einen Logos gelehrt hat; Przyw’ara versteht diesen Satz adventisch als „Paradox der Paradoxe": der Weg ist Christus, der Hinabsteigende, der auch der Aufsteigende ist: „Niemand stieg zum Himmel auf, wenn nicht Der, Der vom Himmel abstieg": Gott liefert sich aus der Möglichkeit seiner Verwerfung, indem er sich in die Entscheidung des Menschen gibt; je tiefer er in die Welt sich hüllt, seiner selbst sich entäußert, um so offenbarer wdrd seine Göttlichkeit. Der Logos wird in dem Maße erhöht, in dem er erniedrigt wird in den Abgrund — und weit über diese Erniedrigung hinaus. Das letzte Geheimnis der Welt der Sünde und des Fluches wird „ausgetauscht” gegen das volle Geheimnis Gottes. Erlösung ist Loskauf, Austausch auf dem Sklavenmarkt. Darum ist die Hochzeit zu Kana das dieses Evangelium überleuchtende Zeichen; ja, sie ist der „Ursprung aller Zeichen": Hochzeit ist innerste Form der Einheit von Gottheit und Menschheit in Christo und w’eiter von Gottheit und All; sie ist Ueber- schwang, Ausströmen des Weines wie des Blutes. Im äußersten Realismus müssen die Worte der Sakramentsverheißung verstanden werden, unbarmherzig, im Sinne des allem Opfer anhaftenden Schauerlich-Abgründigen, „Unerträglichen": „Wer mit den Zähnen zerreißt Mein Fleisch und also trinkt Mein Blut, hat das ewige Leben"; der Kosmos erhebt sich wider Den, der den Kosmos vollendet; der Herr feiert Hochzeit „in Todesketten des Alten und Neuen Bundes"; der Kuß des Judas ist Hochzeitskuß; letzter Ort der Hochzeit ist das Kreuz. Somit-ist das Gesetz dieses Evangeliums „die radikalste Umkehr aller Begriffe". Die Antwort vom Himmel, da die Stunde gekommen ist: „Glorie gab ich und wiederum Glorie werde ich geben", ist das „vollendete Zeichen des Widerspruchs", ist „Blitz und Donner von Kreuzes-Tod". Der Oelberg, Ort der Todesangst, ist Ort der Auffahrt.

Hochzeit ist Passion und doch Uebermacht der Liebe; „Welt und Mensch und Geschichte w erden gew’iß im Geheimnis der sich ausverschwendenden Liebe Gottes so total in diese Liebe aufgenommen, daß sie unmittelbar als Fülle Gottes leuchten und strömen dürfen": Diese Worte aus der ..Humanitas" werden hier auf dem evangelischen Wort begründet: sie zielen auf die rettende Antwort an die in gleicher Stärke von Spiritualismus und Materialismus bedrängte Zeit: ..Die echte Bindung zwischen Erde und Geist!" Die scharfe Abgrenzung vom Alten Bund, das Verständnis der Wunder nicht als Beglaubigung göttlicher Macht, sondern als Offenbarung wie die Auferweckung des Lazarus, das Herausgeführtwerden des Dornengekrönten „auf die Bühne der Welt" sind Eigentümlichkeiten des Johannes.

Przywara hält sich streng an das Wort, seinen Bereich nicht überschreitend, aber hinabdringend bis in die Wurzeln; er versteht das evangelische Wort im Werte der Zeit, da es gesprochen wurde und eingedenk der jener Zeit überkommenen Werte, also im Bann des Geschichtlichen und als , liebender Jünger des Apostels, als Ergriffener. Mag dieses „Christentum gemäß Johannes" etwas Befremdendes, Erschreckendes haben, mag es nicht leicht zu erarbeiten sein: wir werden ohne Schaudern und Schrecken nicht an die Schwelle des Heiligtums gelangen. Wir bedürfen eines solchen Vermittlers, der uns da heilige Buch aufschlägt wie zum erstenmaL

Aristoteles: Zweite Analytik. 151 Seiten. Ueber die Seele, zweite Auflage, 149 Seiten. Zwei Bändchen, übersetzt, von Dr. Paul G o h 1 k e, Ferdinand Schöningh, Paderborn.

Gohlke ist nicht- nur der Verfasser einer neuen Aristoteles-Uebersetzung, sondern auch ein Philologe, der versucht, die ursprüngliche Fassung des Textes wiederherzustellen. Er ist in dieser letzten Beziehung unter anderem anläßlich seines 1936 erschienenen Buches „Die Entstehung der aristotelischen Logik auf Kritik von philologischer Seite gestoßen und auch uns hat er in diesen zwei Bändchen nicht immer von seinen textlichen Vor- ‘ schlagen überzeugen können. Trotzdem begrüßen wir diese Uebersetzung und freuen uns über das klar aufgestellte Prinzip, die getreue Ueberliefe- rung des Textes voranzustellen. Dies scheint uns ein besserer Ausgangspunkt zu sein als die früher ! oftmals befolgte Methode, unverständliche Stellen als Nachträge oder Interpolationen zu streichen. :

seiner Uebersetzung zu suchen, die sich vor allem , an einen größeren, philosophisch interessierten Leserkreis richtet. Erfreulich ist, daß die Abhandlung über die Seele jetzt in zweiter Auflage erscheinen konnte; die Zweite Analytik ist nicht . nur schwieriger, sondern auch für den Durch- ! schnittsleser weniger interessant, handelt sie doch r vom Beweisverfahren und. den Schlußketten, 1 nachdem die Erste Analytik der Darstellung der Schlußfiguren Syllogismen gewidmet war.

Gerade in Anbetracht der allgemein interessierten Leser fragen wir uns, ob es vielleicht nicht möglich wäre, gewisse Standardausdrücke, die auch in andere philosophische Systeme, vor allem in die Scholastik. Eingang gefunden haben, mit dem entsprechenden griechischen bzw. lateinischen Wortlaut zu bezeichnen. Wir denken an „Anlage“ und „Wirklichkeit“ Potenz und Akt, an „materia“ und „forma", „intellectus agens“ und „intellectus, possibilis“, „Einbildungskraft“ Phantasie, „Evidenz“, „nebenbei“ per accidens, die Seele als erste „Entelechie“ usw. Auch wäre eine mehr vollständige und systematische, wenn auch kurze Darstellung des Inhaltes in der Einleitung zu empfehlen gewesen.

Rainer Maria Rilkes Deutung des Daseins. Eine Interpretation der Duineser Elegien. Von Romano Guardini. Verlag Kösel, München. 425 Seiten.

Guardini hatte 1>41 bereits den Rilke-Lesern Geschmack für seine Art der Deutung der „Duineser Elegien" gemacht, als er. die Interpretation der 2., 8. und 9. Elegie herausgab: Nun ist das Werk vollständig. Rilke wird befragt, was er über das menschliche Dasein auszusagen hat. Daneben wird diese Aussage des Dichters befragt, ob sie wahr ist. Der „konsequenteste Individualist" Rilke spürt das Bedrohte, Fließende, Gefährdete der menschlichen Persönlichkeit — das geht so weit, daß das Dasein dem Dasein im Wege steht. Eine echte Transzendenz ergibt sich nicht und kann nicht gewollt werden. Wohin auch? In den „Engel", diesen Rilkeschen Inbegriff der bleibend gewordenen Form des Irdischen durch Sagen und Rühmen des Dichters als solchen? Das „Unsichtbare" „Engel" ist noch nicht das Jenseitige. Es ist nur die höchste Leistung des Menschen am

Hiesigen — alles bleibt noch innerweltlich. — Guardinis beispielhafte Behutsamkeit, Wort für Wort philosophisch auszuschöpfen, muß am Ende feststellen, daß solcher Individualismus nur den Wert der Einseitigkeit beanspruchen kann — ebenso einseitig wie die vermassende Totalität des Kollektivismus. Zwischen der individualistischen und der kollektivistischen Selbstaufgabe des Mer>- scb.en steht die „Person in der Masse": in ihr wird das menschliche Dasein für unsere Zeitgegebenheiten lebbar und ganz. Dann aber müßten sich Individuum und Gesellschaft auf ihre Vorläufigkeit und auf die Möglichkeit der Transzendenz besinnen: Mensch vor Gott und die Gemeinschaft der Heiligen. Die Interpretation der Duineser Elegien ist zum erschreckenden Spiegel des ausweglosen Zeitgenossen geworden. Wird er durch diesen Spiegel hindurchzutreten wagen, um vor der Gewalttätigkeit der Leere sich rettend in die Uebermacht der göttlichen Fülle zu gelangen?

Diego Hanns Goetz OP.

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