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Der heimatlose Weltbürge

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Begegnungen mit Menschen, Büchern und Städten. Von Stefan Zweig. S.-Fischer-Verlag. 449 Seiten. Preis 19.50 DM.

Diese Sammlung von 42 Essays wurde noch von Stefan Zweig selbst, und zwar 1937 in London, zusammengestellt. Er unterzog sich der Arbeit, wie er im Vorwort schreibt, nach langem Zögern. Es lag ihm fern, eine Einheit vorzutäuschen, die nur bei Aeußcrungen einer „zeitüberdauernden Persönlichkeit“ gegeben wäre. Diese sich selbst zuzuerkennen, sei er nie eitel genug gewesen, aber „dreißig Jahre literarischer Weltbetrachtung bedeuten in sich einen geschlossenen Block Zeit. Sie spiegeln Erlebnis und Anschauung nicht eines eitlen einzelnen mehr, sondern Weltgefühl und Geschehnis einer ganzen Generation.“ Am deutlichsten wird dies in den frühesten Stücken dieser Sammlung aus dem Jahre 1912: in dem Prosahymnus auf den Fortschritt der Technik (die Fertigstellung des Panamakanals in „Die Stunde zwischen zwei Ozeanen“) und auf die moderne Großstadt („Der Rhythmus von New York“). Dazwischen steht ein Bericht über einen Besuch der Soldatenfriedhöfe von Ypcrn, zehn Jahte nach Beendigung des ersten Weltkrieges, durch den der Fortschritts- und Flumanitätsglaube des Europäers und Weltbürgers Stefan Zweig den ersten empfindlichen Stoß erhalten hatte. Aber davon erholte er sich bald wieder in seiner Arbeit: als Liebersetzer, Romancier, Biograph, Essayist und Reiseschriftsteller, für den es keine Landesgrenzen gab, auch im Geistigen nicht. Die Erinnerungen, Nachrufe und Würdigungen in der vorliegenden Sammlung gelten Verhaeren, Rilke, Rodin, Toscanini, Theodor Hcrzl, Bahr, Busoni, Albert Schweitzer. Gustav Mahler, Bruno Walter. Frans Masereel, Josef Kainz und dem englischen Dichter John Drinkwater.

Die wichtigsten „Begegnungen mit Zeiten“ (Titel des 2. Hauptabschnitts des vorliegenden Buches) fanden während des ersten Weltkrieges statt. Sie sind als Dokumente einer bestimmten liberal-großbürgerlichen Denk- und Fühlweise aufschlußreich. In den „Begegnungen mit Büchern“ schließlich eröffnen sich uns die literarischen Sympathien Stefan Zweigs. Sie gelten Dante, Goethe, Balzac, Renan, Rimbaud, der Desbordes-Valormes, Saintc-Beuve, Joyce, Carossa — und den Autograpben, die, wie man weiß, von Stefan Zweig mit Leidenschaft gesammelt wurden.

Der große Europäer Stefan Zweig. I-lersusgegaben und eingeleitet von Hanns Atens. Kindler-Verlag, München. 384 Seiten. Preis 14.80 DM.

Bereits vor sieben Jahren hat der Zweig-Spezialist Hanns Arens ein seinem Idol gewidmetes Sammelwerk herausgegeben. Es war ein schmaler Band von etwas über 200 Seiten mit Beiträgen von 15 Autoren. Nun legt Arens ein neues, wesentlich erweitertes, vor allem auch schöner ausgestattetes Buch vor, in dem alles Wertvolle der alten Ausgabe enthalten ist. Da sind zunächst einige literarische und autobiographisch bedeutsame Kapitel von Zweig selbst (Besuch bei Verhaeren, Abschied von Rilke, Dank an Romain Rolland: entbehrlich scheint die „Ballade von einem Traum“), dann die Studien des Herausgebers: eine Einführung über Zweig und die Musik und Zweig als Sammler. Die Namen der 2wei Dutzend Autoren — von einzelnen sind mehrere Beiträge aufgenommen — umschreiben auch . einen sehr charakteristischen Freundeskreis. Die erhellendtten Zeugnisse stammen von Hermann Kesten und Jules Romain. Auch in einigen anderen, wenn, man ein wenig zwischen den Zeilen zu lesen versteht, wetterleuchtet schon recht früh, mitten im Frieden, die menschliche Tragödie des allzu erfolgreichen Schriftstellers, der einer Welt des Geistes, wie er sie sich vorstellte und wünschte, eine Realität zubilligte, die sie nie besaß. Als diese „Welt von gestern“ dann zusammenbrach, bedeutete das Ende der Illusion auch das Ende des Schriftstellers Stefan Zweig. Sehr Aufschlußreiches über den Menschen Stefan Zweig und 6eine inneren Schwierigkeitenwährend der letzten Jahre berichtet Friederike M. Zweig in „Antworten“ (auf die Frage, warum denn Stefan Zweig freiwillig aus dem Leben geschieden sei). Ein wenig wortkarg ist leider Richard Friedenthal in seiner Mitteilung über das letzte, unvollendete Werk Stefan Zweigs, eine Montaigne-Biographie, deren Herausgabe der Fischer-Verlag vorbereitet. Das in dem Sammelband wiedergegebene Einleitungskapitel läßt einen neuen Erasmus vermuten: das Wunschbild eines freien Menschen in unfreier Zeit.

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