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Der „Hersteller"

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Wie, Sie wissen nicht, was ein „Hersteller“ ist? Stellen Sie sich vor, das ist ein Beruf, ein ganz bestimmter Beruf, so komisch es klingt. Denn der „Hersteller“ stellt nicht jede Art von Wäre — wie Knöpfe, Autoreifen, Kau- guriimi — her, sondern eine ganz bestimmte Ware, näinlich — Bücher. Aber, so sägen Sie: die Bücher schreibt doch der Autor? Richtig, aber was ist dann? Dann werden sie verkauft, Schön. Aber Was ist zwischen Schreiberi urid Verkaufen? Sehen Sie, jetzt wissen Sie es: ein „Hersteller“ ist ein Mensch, der ein Manuskript id die Hand bekomhat und ein fertiges Buch aus der Härid gibt. Auch schon eiti Beruf, denken Sie sich, däs geht doch alles von selber. Glauben Sie! In Wirklichkeit geht überhaupt nichts von selber. Dehn irgend jemand muß sich doch Utn die Schriftart, deh Satzspiegel, däs Papier, seine Laufrichturig, die feindeart, den Einbänd, den Schutzum- schlag kümmern. Was sagen Sie, das sei alles sehr einfach? Glauben Šie wieder! Man sieht, daß Sie hoch nie ein Büch herg'estellt haben. Glauben Sie denn, Sie können Für jedes feudi ein Federleichtpapier nefetrien? Sie könneri doch aüch nicht zürn Frack ein blaues feiernd tragen. Öder glauben Šie, Sie höhnen jedes Such riiit Grobleineh eiribihderi? Dahn ziehen Sie sich eirimäl zum Siriökirig eift Jägerleiberl an, Sie werden schon Sehen, wife Sie aussehen. Sehen Sife, jetzt Schütteln Sie ganz erstaurit dfeh Köpf.

Aber, im Vertrauen gesagt, Sie hatten nicht so unrecht, als Sie bezweifelten, daß „Lier- steiler“ ein Beruf sei. Er ist nämlich noch etwas anderes: der reinste Leidensweg. Der „Hersteller“ ist in der Lage eines kleinen, armen, wehrlosen Staates, der von fünf Großmächten uriigebeh ist, die dauernd etwas von ihm wollen und ihn quälen und schikanieren, bis sie ihren Wünschen etwas näher gekommen sind. Sie wollen diese „fünf Großmächte“, kennenlernen? Bitte sehr!

Hier ist die „erste Großmacht“: Der Öbfer- büchhalter des Verlägsuhterri’ehriieris. Im internen Dienstgebrauch genannt: O. B., ausgesprochen „Obeh“, was än sein Lieblings- wort „Owfeli“ erinnert. Denn er ist der Ansicht, daß feücherhferäüsgeberi ein überflüssiger „Sport“ sei urid der sicherste Weg, sein Geld loszuwerden. Allen Prophezfeiuh- gen, daß dieses oder jenes Buch ein Verkaufsschlager Werden riiüsse, steht er mit äußerster Skepsis gegenüber. Und wenn man ihm die Tausender, die sich aus dein Verkauf eiries Buches ergeberi, iri Wäschekörben bririgt, so ist dennoch seihe Skepsis nicht ins Wanken zu bringen. Außerdem steht er auf dein — merkwürdiger! — Ständpurikt, daß der Verlag nur soviel Geld ausgeben könne wie er hercinbeköriirrit. Werih der Verlag mehr ausgeben will, riiüß er fes Selber herbei- schäffen, entweder durch Sammeln von Druckköstenbeit ragen, durch VerkäüF der Ladenhüter arid sonstigem. Der Ansicht des Herstellers, daß eine schöne Ausstattung eiries Buches der! Absitz heben wird, steht fei' ebenfalls mit Mißtrauet! gfegferiüber.

Dies war die „erste Großmacht“. Die „zweite“ aber ist: der Chef der Propaganda. trri internen Dienstgebrauch genannt „Propagandamaxe“, manchmal auch nur „Maxi“. In seinem Paß steht unter „besondere Kennzeichen“: Ständig aufgeregt. Er ist tatsächlich ständig aufgeregt. Der Hersteller arbeitet ihm zu langsam, am liebsten möchte er die feücher, die noch naß vom Autor korhmen, schön verkaufen. Er benötigt ununterbrochen Pröpägahdamaterial, das ihm ebenfalls zu wenig rasch aus der Presse kommt. Er benötigt überhaupt alles dringend. Sein Lieblirigswort ist deshalb auch „dringend“. In besonderen Momenten der Aufregung gelingt es ihm, das rechte Äuge dämonisch zusammenzukneifen. Läuft er auf Hbchtöureri, darin hat er einen Riecher, wo er ribch irgendwelche Sekretärinnen, ob groß odfer klein, für sich beschlagnahmen konnte. Neben „dringend“ hat er noch ein zweites Lieblingswort: „Grundsätzlich“. Denn es ist

„grundsätzlich“ seirie Aufgabe, die Bücher des Verlages populär zu machen, ihr Vorhandensein weitesten Kreisen bekanntzu- gebfen, den Leuten einzurbden, daß man sie unmöglich noch als klug ansehen kann, wenn sie dieses oder jenes Buch nicht lesen würden. Äußer dem offenen Wunsch, „grundsätzlich“ ein Maximum an Büchern zu verkaufen, hat er noch einen geheimen: den Hersteller endlich aus seiner Ruhe zu bringen. Gelingt ihm dies nach langer Muhe, ist er besonders glücklich, ähnlich dem Jungen, der seinen Vater so lang sekkiert, bis dieser ihm eine herunterhaut, worauf er erleichtert aufatmet.

Doch Sie möchten noch die anderen „Großmächte“ kennenlernen: Da ist die „dritte“, däs Lektorat. Die Aufgabe des Lektorates in einem Verlag isf, gute Manuskripte aufzufinden, schlummernde Genies zu entdecken und zum Äbfassen von Büchern zu verleiten. Die Aufgabe des Lektorates ist es aber auch, von selbst einlaufende Manuskripte zu lesen, zu beurteilen und unter Angabe von plausiblen Gründen an den Autor zurückzusenden, ohne ihm direkt zu sagen, daß sein Opus eine Niete ist. Außerdem ist das Lektorat noch mit dem Lesen der Korrektairen beschäftigt. Das Lektorat selbst teilt sich meist in „Jasager“ und „Neinsager“. Die „Jasager“ finden alles genial, die „Neinsager“ lehnen jedes Manuskript ab. Sie hätten auch ein Manus von Goethe abgelehnt, vielleicht sogar von Henry Bentath, wenn sie deren Werke in Manuskfiptform nur gesehen hätten. Die „Jasager“ sind der Meinung, daß soviel wie möglich Bücher produziert werden sollen und negieren die Ansicht des Herstellers, daß ein bestimmtes Produktionsquantum nicht überschritten werden kann. Beim Korrekturenlesen lassen sich beide Zeit und antworten — egal ob „Nein-“ oder „Jasager“ — auf das Drängen der Druckerei, das der „Hersteller“ an sie weiterleitet, mit dem Satz: „Man kann nicht alles machen.“

Die „vierte Großmacht“ ist die Druckerei. Sie kann den „Hersteller“ auf zwei Arten quälen: In Zeiten, da sie nichts zu tun hat, will sie unbedingt ein Manuskript zum Setzen und Drucken, egal, ob gut oder schlecht. In Zeiten, da sie mit dem Drucken von Glückslosen, Briefpapieren, Formularen üsw. viel und leicht Geld verdient, läßt sie ihn „hängen“, und wenn das Buch hoch so wichtig und dringend ist.

Und nun kommt die „fünfte Großmacht“: Seine Majestät der Autor. Fast immer ist er überzeugt, daß auf sein Buch die Welt seit ihrfer Erschaffung wartet. Alles, was vorher erschien, ist Lappalie. Mit seinem Buch beginnt das „Jahr 1“ einer neuen Zeitrechnung. Fast jeder Autor hat außerdem noch etwas in sich, Was Max Picard „Hitler in uns“ nannte. Für viele von ihnen ist nämlich jeder Verlagsvertrag nichts anderes als ein „Fetzen Papier“. In diesem Verlagsvertrag verpflichten sich nämlich die Autoren, zu einem bestimmten Termin ein „druckfertiges“ Manuskript abzuliefern und sich mit soundso vielen Freiexemplaren zufrieden zu geben. Kaum aber haben sie lächelnd und vergnügt den Vertrag unterschrieben, erklären sie fast immer, daß sie natürlich nicht mit den zügestandeneft Freiexemplaren auskommen werden, aber sie sind sicher, daß der Verlag großzügig sein werde und die fehlenden — natürlich gratis — ergänzen werde. Das Manuskript wird oft nicht zeitgerecht abgegeben, und wenn, zeigt ein kurzer Blick, daß es nicht „druckreif“ ist. Oft ist der Autor mit der Rechtschreibung „nach Duden“ auf Kriegsfuß. Außerdem hat er selten Sinn für systematische Einteilung. Der Hersteller hat das Vergnügen, diese großzügigerweise selbst zu Besorgen. Meist überreicht der Autor beim Abschluß des Verlages eine Liste von Zeit schriften und Zeitungen, ah die Besprechungsexemplare zu senden seien — bis das Buch fertig ist. Die Liste ist meist sehr lang. Außerdem fragt er, wann er denn „Fahnen“ bekommt. Am ersteh Tag läßt er sich noch trösten. Am zweiten ruft er bereits wütend an. Am dritten läßt er durchblicken, daß er den Verlag für einen Saboteur halte, der nur -zigtäusönde von Schillingen hinauswirft, um ihn zu schädigen. Am vierten Tag droht er, wegzügehen. Aber Leute, die dies androhen, tun dies nie. Fr auch nicht. Bekommt er endlich „Fahnen“, so läßt er sich meist Zeit. Ebenso geht es mit dem „Umbruch“. Oft schreibt er den noch um, trotzdem er im Verlag versicherte, ein druckfertiges Mänüs abzuliefern. Hat er den „Umbruch“ äbge- liėfert, will er schön das fertige Büch sehen. Fr gibt Vorschläge für die Ausstattung, die nicht immer einen guten Geschmack verraten.

Endlich ist das Buch da. Triumphierend geht der Autor durch die Straßen, ist über jeden beleidigt, der ihm nicht gratuliert, ruft erbittert den Verlag an und beschwert sich, daß er ih einer Buchhandlung sein Büch in der dritten Reihe der Auslage und nicht iii der ersten gesehen habe. Am fünften Tag nach dem Erscheinen ruft er schon an, ob Besprechungen in Zeitungen erschienen sind. (Selbst die allerchristlichsten Autoren haben bezüglich Buchbesprechungen einen merkwürdigen Standpunkt: fremde Bücher, die sie zur Rezension übernommen haben, lassen sie mit verheerender Gleichgültigkeit liegen; um die Besprechungen der eigenen Bücher sind sie wie der Teufel hinter einer Seele her. Sie vergessen ganz auf den Grundsatz der Bibel: „Was du nipht willst, daß man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu!“)

Das wäre eine kurze Charakteristik der „fünf Großmächte“, die den armen „Hersteller“ eines Verlages quäleh. Tag für Täg, Woche für Woche, Monat für Mönät, Jahr für jähr. Können Sie sich jetzt die Lage dieses Armen vorstellen, der im Jahr 12, 20, 30, 40 Bücher „herstellen“ muß? Was der aus- zuhalteri hat! Wie er das überhaupt äushalt, fragen Sie? Das werden Sie natürlich nie erfahren. Denn kein „Hersteller“ wird die Mittel verraten, mit denen er — der kleine, schwache, ohnmächtige — fünf auf ihn eindrängende „Großmächte“ doch so weit ih Schach halten kann, daß sie ihn nicht in Stücke zerreißen. Es sind sehr einfache Mittel, aber der Schreiber dieser Zeilen wird sie nicht verraten, obwohl er sie kennt. Er ist nämlich selbst — ein „Hersteller“.

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