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Der Hügel von Lavant, Osttirol

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Heiß brennt die hohe Sonne des August hernieder auf den felsigen Pfad, der von dem stillen und wie weltabgeschieden am Südrand des Lienzer Beckens liegenden Dorfe Lavant zu den beiden alten Kirchen auf den von hochragenden Fichten wie von einem schirmenden Wall umsäumten Hügel emporführt. Wallfahrer 6teigen langsam von Station zu Station des Kreuzweges hinan, und ihr singendes Gebet mengt sich zu eigenartiger Melodie mit dem Hackengeklirr und Schaufelklingen jugendlicher Arbeiter, die in den Hügelboden da und dort Gräben reißen und im wurzeldichten Gehölz seiner Hänge in sorgsamem Suchen erst noch verwirrend sich zwischen den Bäumen, wieder verlierende Mauern aufdecken. Eine engbegrenzte Versuchsgrabung hatte bereits im Vorjahr erfolgversprechende Ergebnisse gezeitigt; von der Tiroler Landesregierung und dem Landesdenkmalamt zur Verfügung gestellte Mittel ermöglichten heuer die Fortführung der Arbeiten, deren fachliche Leitung abermals von dem so rührigen und verdienstvollen österreichischen Archäologischen Institut übernommen wurde. Fünf Wochen mühsamer Arbeit ließen abermals beachtliche Ergebnisse gewinnen.

Was Anstiche im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit der kulturgeschichtlich für die Landschaften an der Drau sehr aufschlußreichen Reisebeschreibung des Paolo Santonino, des schreibfreudigen Sekretärs des Bischofs Caorle von Aquileia, hatten annehmen lassen, fand heuer seine vollgültige Bestätigung. In der unruhigen Zeit des Zusammenbruches des römischen Weltstaates, da der Feind vom Osten her die lieblichen Talschaften der Alpenländer bedrohte Und oft genug brandschatzte und verwüstete, umschloß den Hügel von Lavant eine stark gebaute Fliehburg. Zwei schwere, wenigstens zwei Stock hoch aufragende Türme schirmten den durch eine starke Quermauer und ein festes Bohlentor gesperrten Torweg. Rechts und links von diesen über den steil abfallenden Fels aufragenden Türmen, in deren Innerem aufgefundene Waffenreste noch von einstigen Kämpfen zeugen, schloß ein zweifacher Mauerzug an, der den Nordhang des Hügels, durch viele Quermauern und feste, bis auf den halben Hügelhang hinabsteigende Strebepfeiler verstärkt, gegen feindlichen Ansturm abschirmen sollte. Gegen die nach Osten vorspringende Felsnase hin war der doppelte Mauerring durch einen dritten Mauerzug verfestigt, der zum Ausgang einer turmartigen, die ins Land ausspringende Felsnase umschließenden schweren Bastion genommen wurde. Vor hier reichte der Blick weit hinein in das Drautal und konnte ihnen sich nähernden Feind schon an der Nikolsdorfer Klause sorglich unter Beobachtung nehmen.

An die Innenseite der an die sechs Fuß breiten inneren Umfassungsmauer waren, durch die Höhe der Mauer vor jeder Einwirkung feindlicher Geschosse gesichert, Unterkunftsräume für die verteidigende Marinschaft und Herbergen für Sicherheit suchende Frauen und Kinder angebaut.

Solche standen, wie die Grabungen bereits lehrten, teils in Steinmauern gefügt, teils in Fachwerkbau mit Ziegeldächern errichtet, so daß die Brandgefahr zumindest herabgemindert war, auch an anderen Stellen des weiten Burgraumes. Spinnwirteln aus Ton, feinere und gröbere Tonware, wie man sie in Küche und Keller und bei der Tafel benötigte, Reste von bronzenen Fibeln und Nähnadeln, Kämme und andere Zierstück aus Bein verraten, daß das Leben auch im Innern der Burg seinen gewohnten Gang der Alltäglichkeiten nahm. Die Tonware zeigt, daß man sich in der Hauptsache aus heimischen Werkstätten versorgen mußte; nur wenige Stücke, zu denen sich auch einige Fußteile feiner Glasbecher gesellen, erweisen, daß der Zusammenhang mit dem verfeinerten Süden noch bestand, aber schon schwach geworden war. Denn diese Burg ist in jenen Zeiten entstanden, die uns die wirklichkeitsnahe Lebensbeschreibung des hl. Severin, des „Apostels der Alpenländer", in all ihrer Not und Bitternis und Härte kennenlernen läßt.

Die dauernde Kraft des gestaltenden Lebens in dieser nur in Feindesnot aufgesuchten Burg zeichnet sich darin ab, daß, was im vergangenen Jahre mehr im Bereich der Vermutung hatte bleiben müssen, aus allerdings dürftigen Mauerresten unter dem Chor der jetzigen Peterskirche sich eine mit der Fliehburg gleichzeitige frühchristliche Basilika ergab. Es bleibt noch manches an Einzelheiten in dieser Fliehburg, deren oberster Teil mit Rücksicht auf dem hier besonders steil abfallenden Felsen nur durch einen einfachen Mauerring gesichert war, zu klären; doch daß auch der Hügel von Lavant zu jenen gehört, die einst Ve- nantius Fortunatus, aus dem Heiligen Land zur Heimat zurückkehrend, mit Kastellen gekrönt fand und besang, ist heute gesichert. Und ebenso darf als bleibende Erkenntnis verbucht werden, daß die Burg von Lavant, wie schon das Fortleben des Namens Aguntum in dem heutigen Dorfnamen kundtut, im Umkreis der großen Römerstadt, die an der Sonnseite des Lienzer Beckens Handel und Wandel bestimmte, eine besondere Stellung einnahm.

Die Arbeiten ließen unter dem Boden der Peterskirche der frühchristlichen Basilika vorausgehende und nachfolgende Bauten erkennen.

Als aus der allgemeinen Gärung der Völkerwanderung nach so manchem Menschenalter eine neue Ordnung auf dem europäischen Festland Form zu gewinnen begann und die Alpenländer als Ostmark dem geeinten mitteleuropäischen Raum zugehörten und ihn gegen Südosten abschirmten, mochte die Fliehburg von Lavant in manchen Teilen bereits verfallen gewesen sein. Große Teile aber standen noch aufrecht. Auch die neue Zeit bedurfte wehrhafter Anlagen gegen den von Osten drohenden Gegner. So entstand an diesem beherrschenden Punkt abermals ein fester Sitz. Über der frühchristlichen Basilika wurde ein romanischer Kultbau mit runder Apsis errichtet, der wohl nur als Kapelle ausgeführt war; er bildete jedoch eine bauliche Einheit mit den westwärts anschließenden über den hier verfallenen, vielleicht auch abgetragenen Mauern der Fliehburg aufgeführten Anlagen, von denen heute noch bis zu zwei Metern anstehende Reste des turmartigen Abschlusses im Westen erhalten sind. Ein Edelsitz von beachtlichem Ausmaß bildete nun den Kern der Burganlage. Und Jahrhunderte später bauten die Herren von Lavant, dem neuen Bauwollen sich fügend, zumindest die Kapelle um; denn über dem romanischen Bau liegen die Fundamente einer ersten gotischen Kirche, von der im Schutt noch ansehnliche Reste des einstigen Freskenschmucks aufgefunden wurden. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mag diese erste gotische Kapelle oder Kirche einer Katastrophe zum Opfer gefallen sein. Uber ihren Grundmauern wurde dann die heute die Hügelkuppe krönende, mit einer prachtvollen Holzdecke aus dem Jahre 1516 ausgestattete Kirche errichtet. Sie ist aller Wahrscheinlichkeit nach länger als die an der gleichen Stelle ihr vorangegangenen kirchlichen Bauten, so daß die örtliche Überlieferung, derzufolge die jetzige Peterskirche aus Kapelle und Rittersaal der einstigen Burg bestünde, den ursprünglichen Sachverhalt in ihrer Weise weitergibt.

Zugleich ließen diese Untersuchungen zur sicheren Erkenntnis werden, daß die frühchristlich Basilika mit ihrem Altarteil in einen ihr vorausgegangenen Tempel eingefügt ist, der nach seinem Grundriß und mancher ergänzenden Einzelfeststellung dem keltischen Kult gedient haben muß. Sehen wir so diesen Hügel von Lavant durch die Jahrhunderte hindurch eine Stätte des Kultes sein, so ergab der Fundeinerwohlerhaltenen marmornen In-

s c h r i f t p 1 a 11 e, die in einer der Fliehburgmauern als Grundstein vermauert war, noch weiteren Aufschluß über die Geschichte des Hügels. Denn die Inschriftplatte der sorgfältigen Schrift vom Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. gehört einem Grabbau zu, der sieben Mitgliedern einer einheimischen Familie bestimmt war und nach verschiedenen sonstigen Anzeichen nur auf dem Hügel selbst gestanden haben kann. Er wird nicht der einzige Grabbau gewesen sein; und wir dürfen nach weiteren Anlagen der bodenständigen Bevölkerung auf den Hängen des F igels suchen. Mauerstücke, die unzweifelhaft älter als die Fliehburg sind, sind an mehreren Stellen gefunden. Ihr bauliches Bild entzieht sich noch dem Verständnis; offen bleibt auch noch die Frage, ob sie der keltischen oder illyrischen Bewohnerschaft ihre Entstehung verdanken. Denn, daß wir mit beiden Bevölkerungselementen zu rechnen haben, ruft eindringlich die Grabinschrift in Erinnerung. Es tragen auf ihr die Angehörigen der väterlichen Linie eindeutig illyrische Namen, während die mütterliche Linie, was bevölkerungsgeschichtlich Beachtung erheischt, keltischem Volkstum entspringt. Offen bleibt auch noch die Frage, wo die, denen der Grabbau auf dem friedengebenden Hügel errichtet war, während ihres Lebens gewerkt hatten, wo sie Haus und Siedlung besaßen.

Wer sich anschickt, dem Boden lang Bewahrtes abzugewinnen und Geheimnisse abzulauschen, wird, wenn ihm das Gräberglück gnädig, manche Erkenntnis gewinnen; doch jeder Spatenstich bringt zu dem neuen Wissen auch neues Fragen und damit den Ansporn zu weiterem Forschen. Möge es gelingen, die hier begonnene verdienstliche Arbeit fortzusetzen, um die Geschichte dieses in seinem Leben aus Urväter Tagen zu uns herüberreichenden Hügels möglichst vollständig erfassen und die dem Boden wieder abgewonnenen Reste als ein geschlossenes Denkmal den Besuchern Osttirols darbieten zu können.

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