6642996-1958_06_14.jpg
Digital In Arbeit

Der „interessante Mensch“ und die „geweihten Hände“

Werbung
Werbung
Werbung

VORSTUFEN DES PRIESTERFILMS begegnen wir schon früh in den Urformen des religiösen Films, den Christusfilmen und Passionen, vor allem aber in den Jeanne-d'Arc-Filmen; Im Jahre 1928 beginnt mit des Dänen Carl Dreyer noch stummer Jungfrau von Orleans, mit einem förmlichen Rausch differenzierter und nuancierter Großaufnahmen von Priestern und Bischöfen die Moderne des Priesterfilms. Zage kündigt sich darin auch schon ein hochmoderner, tieferer Konflikt an: die gefahrvolle Kollaboration geistlicher mit weltlicher Macht.

*

DIE FOLGENDE ZEIT gewinnt an Breite, verliert aber wieder an Tiefgang. Nennen wir sie die Epoche des Dekor- und Rahmenfilms. Sie ist noch nicht zu Ende und besonders in Oesterreich und Deutschland bis in die jüngste Zeit epidemisch. Doch sei vor allzu Strengem Urteil gewarnt: ist doch die missionarische Wirkung gerade dieser Filme unübersehbar, weil sie eben im ausschließlich säkularisierten Raum des Unterhaltungsfilms spielen.

Viele unter uns erinnern sich noch gerne an den sympathischen Priester Spencer Tracys als Gegenspielers des Rauhbeins Clark Gable in dem älteren Film „San Franzisko“, aber auch jüngerer Filme wie „Es geschah in Rom“, „Das Jahr des Herrn“, „Der Seelenbräu“ und vieler anderer. Freilich gilt für diese Filme der Vorwurf, den Pater Hildebrand U r d 1 OFMCap. einmal erhoben hat: der Priester sei darin nur menschlich interessant, es fehlen die „geweihten Hände“.

*

DIESER VORWURF trifft schon seltener eine dritte Stufe des Priesterfilms, denn in ihr überwiegt schon deutlich die Strahlung von Amt und Würde über das rein Menschliche, das Ecce sacerdos über das voilä un homme (zu deutsch: Was für ein fescher Kerl!). Die Priester, die hier ins Bild treten, mögen, vorwiegend in amerikanischen Filmen, rauchen und trinken, Motorrad fahren und Fußball spielen — aber sie sind nicht mehr Staffage und Dekoration, bloß attraktives Gegenspiel. Ihre Position ist funktionell. Was sie Wesentliches tun, tun sie als Priester, und vielfach nur kraft ihres Amtes. Und das ist das Entscheidende dabei. Manchmal scheint die Umwelt robustere Formen zu rechtfertigen, ab und zu vielleicht sogar einen gut amerikanischen Kinnhaken. Das gilt für die beiden amerikanischen Father-Flanagan-Filme „Bubenstadt“ und „Frühlingsstimmen“ und für „Die Faust im Nacken“, in gewissem Sinne noch für den französischen Abbe-Pierre-Film und den Bergwerkspriester in dem spanischen Streifen „La Guerra di Dios“. Es gibt aber auch ruhigere Gegenspiele, so vor allem im Gipfelpunkt dieser Kategorie, dem französischen Film „Monsieur Vincent“, einem Film mit einzigartiger Vorgeschichte und Nachfolge.

Schließlich gehören hierher die zahllosen, sehr beliebten, leider im Rang sehr unterschiedlichen Filme um das Beichtgeheimnis. Hier hat der Film leider noch nicht jenen erregenden, heftigen Konflikt entdeckt, den Werner Bergengruen schon vor über 20 Jahren in seinem grandiosen Antihitlerroman „Der Großtyrann“ aufgeworfen hat. Dort weiß ein einfacher Beichtiger unter dem heimtückischen psychologischen Druck des Diktators schließlich nicht mehr klar, was er verschweigen und was er aussagen muß, was ihn Gott heißt — und was ihm der Böse selber souffliert.

*

DAMIT ALLERDINGS würde ein Film dieser Art schon der vierten und letzten Kategorie des Priesterfilms zugehören, denn in ihr, der modernsten und schwierigsten, aber auch uns am tiefsten berührenden Gattung strahlen Amt und Würde des Priesters nicht mehr standfest und unangefochten, sondern stellen sich — wohl zumeist mit einem eindeutigen Ja am Schlüsse - selbst in Frage, werden im Träger zum Konflikt — vielleicht dem ernstesten, schmerzlichsten, einsamsten und mit dem Blick

auf die verfolgte Kirche unserer Tage brennend aktuellsten, den wir Christen von heute überhaupt kennen — nicht nur der Priester! Unsere besten Dichter und Schriftsteller (die Blüte des Priesterfilms von heute fällt zeitlich mit einer richtigen Mode des Priesterromans in der Literatur zusammen!), und hier wieder auffallend häufig die Konvertiten, haben durchwegs ernste und würdige Vorlagen beigesteuert.

Es liegt in der Natur der Sache, daß wir diesen Filmen nicht selten trotz ihres bisweilen atemraubenden künstlerischen Ranges nicht restlos zustimmen können, ja einige unter ihnen, wie „Gott braucht Menschen“ und „Der Abtrünnige“, haben im eigenen Produktionsland (Frankreich) zu stürmischen Auseinandersetzungen im katholischen Raum geführt..Es ist und bleibt aber die höchste Auszeichnung für den Film, daß er sich contra torrentem, gegen den Trend des Pöbelamüsements, an so anspruchsvolle Storys mit anspruchsvollsten Mitteln überhaupt herangewagt hat.

*

ALS DAS IDEAL, als die reinste Form dieser vierten Kategorie des Priesterfilms steht „Das Tagebuch eines Landpfarrers“ nach Bernanos an der Spitze. Es ist unser schönstes Dokument einer einzigartigen künstlerischen Askese, eines ergreifenden priesterlichen Ringens, das in die lichtvolle, demütige Weisheit mündet: Alles ist Gnade.

Uebertragen wir dieses binnenmissionarische Problem in das rauhere Klima des Missionslandes, so sind wir mitten in den erschütternden Konflikten von Paul Berniers „Ein Mann für

Afrika“, die hier, einmal unvernebelt von Exotik und Folklore, eine gültige Darstellung gefunden haben. (Auch hier übrigens wieder ein überzeugend versöhnlicher Ausklang, ein „religiöses Happy-End“.) — Der zweifelnde Novize in dem Jesuitenfilm „Die erste Legion“ und die Konfrontierung von Wunderglauben und Skepsis weisen auch diesen Film, der sonst zur Kategorie III zählen würde, irgendwie hierher.

Die klarste Aussage über das Geheimnis der Andauer der priesterlichen Weihe über alle

menschlichen Schwächen des Trägers hinaus, ja selbst über sein (vergebliches) ausdrückliches Lossagen von seinem Amte hinweg, also den Sieg des Uebernatürlichen, Sakramentalen, Göttlichen über das Natürliche, stellen die amerikanische Verfilmung von Graham Greenes „Die

Kraft und die Herrlichkeit“ („The Fugitive“) und der schockartig wirkende französische Film „Der Abtrünnige“ dar.

In dem letzteren scheint vorläufig die äußerste Grenze dessen erreicht, was der heutige Film an Darstellung religiöser Wirklichkeit wagen kann und — wagen darf; manche meinen, daß diese Grenze hier bereits überschritten wurde ... *

MITTEN IN DIE SCHMERZENDE POLITISCH-KIRCHLICHE BERÜHRUNG UNSERER

TAGE, wenn auch getarnt durch andere Zeiten und Räume, führen die Filme von dem mit der Besatzungsmacht konspirierenden Popen in dem Film „Der Mann, der sterben mußte“ (nach Kazantzakis „Der wiedergekreuzigte Christus“) und von dem in den unmenschlichen Martern der staatlichen Verfolgung zerbrochenen katholischen Missionar in dem vielschichtigen, rätselhaften japanischen Film „Der bronzene Christus“.

Ohne Maske taucht ein ähnliches ergreifendes Schicksal aus der rohesten Wirklichkeit in der amerikanischen Verfilmung des Kardinal-Mindszenty-Prozesses unter dem Titel „Guilty of Treason“ auf, deren Vorführung für Europa gesperrt ist. — Einen Sonderfall stellen Film und Buch „Gott braucht Menschen“ mit dem Problem der Unzuständigkeit des das Priesteramt arrogierenden Mesners dar. '

An wie tiefe und.wie zukunftsträchtige Probleme sich der Film noch heranwagt, erweist der einzige deutsche Priesterfiim von Gewicht, „Die Nachtwache“, der, sichtlich noch unter dem Eindruck der gnadenvollen existentiellen Besinnung der Nachkriegszeit, in der menschlichen und priesterlichen Konfrontierung eines evangelischen Pastors und eines katholischen Kaplans ein tiefernstes Kapitel moderner ökumenischer Begegnung aufgreift, das in den Worten gipfelt:

Kaplan Imhoff: „Es ist vieles, was um trennt, wir dürfen es uns nicht wegmogeln, aber es ist mehr, was uns verbindet... Wir haben denselben Vater...“ j

Pastor Heger: „ ... und dasselbe Amt!“

DER GANZE REICHTUM DES MODERNEN PRIESTERFILMS geht nicht nur aus den vorstehenden Reife-Entwicklungsstufen (Längsschnitten) hervor; man könnte auch Querschnitte der Art ziehen und beispielsweise unterscheiden:

A. Filme von heiligen Priestern und Mönchen, Reformatoren und Päpsten, außer den schon genannten noch „Der Pfarrer von Ars“, „Guerra alla Guerra“, „Vom Landpfarrer zum Papst“, die unzähligen Filme über Anton von Padua, Don Bosco, Franziskus von Assisi, Ignatius von Loyola usw.

B. Missionsfilme („Denn sie sollen getröstet werden“, „Unter dem Kreuz des Südens“ usw.). |

C. Die überaus zahlreichen Filme von geistlichen Schwestern und ihren Heiligen.

D. Den protestantischen Beitrag von „Symphonie Pastorale“ bis zu den letzten zwei Martin-Luther- und den zwei Albert-SchweitzerrFilmen.

E. Wir dürften schließlich Sonderfälle nicht vergessen, so die Lustspiele und Komödien, voran die drei Don Camillos und den englischen P. Brown. Auch der kommunistischen und neuerdings recht häufigen (sozialistischen) bösen und gehässigen,

■ bis zum Pamphlet reichenden Verzerrung der Priestergestalt im Film sei gedacht. Als Schlußstein stehe „II Bidone“ da, die ergreifende Geschichte von einem abgefeimten Gauner, der seine Raubzüge im Priesterkleid durchführt, auf einem dieser Fischzüge aber von einem ungewöhnlichen Strahl der Gnade getroffen wird, von einer menschlichen Regung der Barmherzigkeit und des Mitleidens; für sie erleidet er vom rächenden Arm der Komplicenfeme einen harten Tod, den der Gott der Liebe und Gerechtigkeit vielleicht einmal in die andere Waagschale werfen wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung