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Der Jung-Katholizismus in der niederlndischen Literatur

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Unmittelbar vor Beginn des weite Weltkrieges schuf Anton van Duinkerken eine groß dreiteilig Anthologi der niederländischen katholischen Dichtung des Mittelalters, der Gegenreformation und der Emanzipation. In meisterhafter Synthese von literarhistorischem Spürsinn und künstlerischer Wertschätzung zeigt r nicht nur di Spitzen der Kontinuität, sondern auch in der meist vergessenen Gebetsbuchliteratur entdeckte er wahrhafte poetische Inspiration. Besonders deutlich wird da im zweiten Teil wo er die Zeit behandelt, als in der Republik der Sieben Vereinten Niederlande der Katholizismus völlig ausgeschaltet war und di österreichisch Herrschaft in den südlichen Niederlanden — in Flandern — di Pfleg und den Unterricht dr Muttersprache vernachlässigte.

Die Emanzipation im lf: 5brhundert bringt in Flandern das Wunder Guido Ge-zelles hervor (anders als ein Wunder kann man die Erscheinung diese* Priesterdichters nicht bezeichnen) und in Holland den großen Kämpfer um die Freiheit der Katholiken, Alberdingk Thym.

Die Erneuerung der niederländischen Literatur in den achtziger Jahren hat keine ausgesprochene katholische Persönlichkeit aufzuweisen. Erst das Elend und die Verzweiflung nach dem ersten “Weltkrieg haben die Geister aufs neue aufgerüttelt. In Flandern hatte es angefangen. Paul van Ostayen, Wies Moens, Marnix Gysen, van den Oever schufen eine ganz neue Kunst, geboren aus der Revolte gegen die Norm der Gesellschaft. Manchmal ist in ihren Versen der Einfluß von Franz Werfel und Georg Trakl leicht zn erkennen.

1922, zwei Jahr nach dem Tode der alten katholischen Monatsschrift „Van Onz Tyd“, erschien di erste Nummer von „Roeping“ — Der Beruf, „Roeping“ gehörte zu einer anderen, einr neuen Welt. Sie bildete den Anfang der Strömung, die in der holländischen Literatur als Jung-Katholizismus bekannt ist.

Der eigentliche geistige Vater war Pieter van der Meer de Walcheren. Er- war eintief philosophische Natur, ein von Leon Bloy Bekehrter und in der Schule Maritaiiis Geformter. Seine Bekehrungsgeschichte ist auch unter dem Titel „Heimweh nach Gott“ ins Deutsche ühersetzt. Auf die jüngeren katholischen Dichter ühte er einen ungeheuren Einfluß aus. Neben Kritiken und Betrachtungen schrieb er später noch ein unvergeßlich männliches Buch über das Kartäuserleben: „Het Witte Paradys“ (Das Weiße Paradies), Auch davon gibt es eine deutsche Übersetzung. Zusammen mit seiner Frau Christine trat er in den Benediktinerorden ein, kehrte aber nach einiger Zeit wieder in die Welt zurück.

Am Anfang dieser Renaissance steht der feurige Essayist, der junggestorbene Gerard Brüning. Seine Arbeitszeit war kurz, aber brennend. Er war wie eine Flamme, die plötzlich hell aufloderte. Marsman charakterisierte ihn als „eine hohe wilde Superbia mit einer äußerst zarten, sich selbst verlierenden Magnanimität“. Am besten lernt man Gerard Brüning in seinem Essay über Rembrandt kennen. Er projizierte die Elemente seiner eigenen Natur, die einsame Superbia und die tragische Menschenliebe, in einer Vergrößerung, die Rembrandt darstellte. Von ihm stammt auch die Erzählung ..Klondyke“ mit dem ergreifenden Motiv: Delven we waar we staan, want waar we staan daar is Klondyke. — (Graben wir, wo wir stehen, denn wo wir stehen, ist Klondyke.)

Der Weg, den die jungen katholischen Dichter damals betraten, bedeutete nicht nur eine Umwälzung in der katholischen Literatur, sondern auch im ganzen katholischen Denken, Hollands. Ihre Problemstellung war kurz und die Antwort klar. Muß ein katholischer Dichter, weil er katholisch ist, auch katholische Dichtung schreiben? Gerard Brüning zum Beispiel kritisierte jede programmäßig katholische Dichtung, jeder Katholik kann Gott dienen, ohne immer über seinen Katholizismus zu sprechen. In all dem, was der Dichter macht, muß er Apostel sein. Der Erfolg braucht noch kein Manifest vom Gerichtet-Sein auf Gott bedeuten. Natürlich wird der Glaube für ihn sehr oft der Brunnen spontaner Inspiration sein. Die Poesie aber hat dabei ihr eigenes, unabhängiges Leben. Die Gedichte von Wydeveld haben etwas Frommes, Unirdisches. Ergreifend ist sein Lied, das von einer mittelalterlichen. Einfachheit inspiriert zu sein scheint:

E r i s een Lam dat bloedt,

er is een Lam dat bloedt,

en ik, die Hern aanschow/en moet:

ik ben het, die U bloeden doet.

Es gibt ein Lamm, das blutet ...

Der limburgische Priester Jacques Schreurs zeugte von einer reinen, frohen Lebensbejahung. In seinem „Viaticum“ erneuerte er die Volksballade.

1925 trennten sich einige von dieser Richtung ab und gründeten eine eigene Zeitschrift „De Gemeenschap“. Der ursprüngliche Untertitel, den man später wegfallen ließ, war: „Zeitschrift für katholische Rekonstruktion“. Die begeisterten Führer waren Anton van Duinkerken, Jan Engel-man, Albert Kuyle und Helman.

Als Brabanter von Geburt und vor allem von Geist, verband Van Duinkerken das Wesen der nationalen Kultur mit dem katholischen Lebensgefühl, ohne dabei mit der kalvinistischen Prägung zu rechnen, die die Niederlande „boven de Mnerdyk“ (am nördlichen Ufer der großen Flüsse) nun einmal tragen. Apologetische Schärfe und kritische Feinheit beseelen ihn genau so gut wie dichterische Begabung. In seinem „Hedendaagse Ketteryen“ — Gegenwärtige Ketzereien —■ und „Verscneurde Christenheid“ — Zerrissene Christenheit — erreichte er einen Stil, der lebhaft an Chesterton erinnert. Van Duinkerken (ein Pseudonym für Prof. Dr. Asselbergs) ist ungeheuer fruchtbar. Er arbeitet noch heute an der Erweiterung der Liste seiner Kritiken, Bücher, Ubersetzungen und Gedichte.

Eine ganz andere Gestalt war Jan Engel-man, ein Virtuose der gemütvollen Sprache. Seine Gedichte sind in „t'RooSvenster, Sine Nomine und Tuin van Eros“ gesammelt. Seine Experimente mit der poesie pure riefen einen Sturm der Bewunderung und Empörung hervor.

Ein anderer aus dieser Reihe, Kuyle, war ein ausgesprochener Beobachter von Einzelheiten, seine Kunst die der flüchtigen Notiz. Seine short stories gehören zu den besten ihrer Art. Als Kritiker war er enfant ter-rihle. In der Rubrik „Hagel“ der „Gemeenschap“ griff er rücksichtslos alle Mißstände an, gleichgültig, ob sie bei Bischöfen, Nonnen, Lehrern oder Dichtern herrschten. Er verbindet eine knabenhafte Aufrichtigkeit mit einer gnadenvollen Frommheit. Wie zärtlich dichtet er in seinem Orpheus, dem Christussymbol der Katakomben: Sein schlanker Rücken ruht an einer Ranke, an seinen beiden Seiten steigt eine weiße

Taube auf.

Die Mauer ist grau und rein. Die Schafe sind willig über den Fries geführt, die zarten Köpfe beben bei dem Lied. Sie sind die Seligen der höchsten Seligkeit. Du bist der Christus der alten Maler, die hier beim öllicht das Licht bekannten und hinter jeder Taube dein Kreuz wieder

wachsen sahen.

Es ist auffallend, daß im Rahmen dieser jungen katholischen Dichtung verschiedene verdienstvolle Schriftsteller sich zum Katho- 1 lizismus bekehrten, wie Van Oosten, De Graaff, Herman de Man und Gabriel Smit. Man kann jedoch auch nicht verschweigen, daß einige, wie Kuyle und Wydeveld, in ihrer sozialen Verbitterung1 stark faschistisch gefärbt waren. Andererseits haben Männer wie van Duinkerken, Schreurs und de Man während des Krieges für ihre Überzeugung in Konzentrationslagern leiden müssen.

Eine weitere Aufzählung von Namen und Titeln hat keinen Sinn. Sogar die Flamen, die in dieser Bewegung eine wichtige Rolle gespielt haben, sind hier noch nicht genannt.Die Hauptsache Ist es, den Leser wenigstens einigermaßen mit der Tatsache bekanntzumachen, daß im klassischen Land der Geusen in den vergangenen Jahren eine katholische Kunst existiert hat, die keiner anderen Strömung an Heftigkeit und Schönheit nachstand. Im Gegenteil, sie war in mancher Beziehung führend.

Schon vor dem zweiten Weltkrieg waren die Symptome bemerkbar, daß die Zusammengehörigkeit der Jung-Katholiken sich auflöste. Der Abstand zum letzten Krieg ist noch zu kurz, um etwas für die Zukunft sagen zu können. Die Dekadenz, wogegen sie verwegen und mutig kämpften, ist jetzt nicht geringer.

Sehr schmerzhaft ist der Majjgel an einer ebenbürtigen Übersetzung. Gerade durch die große Übereinstimmung der beiden Sprachen irrt der Deutschsprechende sich sehr schnell. In Satzbildung und Wortschatz sind feine Unterschiede. Übersetzungen aus dem Englischen oder Französischen sind daher oft viel leichter. Wenn zum Beispiel Schreurs in dem „Viaticum“ spricht „Die man was krank tot de dood“, kann „krank“ eigentlich nicht mit dem deutschen Wort „krank“ übersetzt werden, denn das gewöhnliche holländische Wort ist „ziek“, und dieses „krank“ hat hier einen sehr speziellen Gefühlswert. So auch bei dem „schoone, smekende kerklatyn“. Das deutsche Wort „schön“ bedeutet „moi“.- Das Wort „schoon“, das Schreurs1 hier gebraucht, kann nicht überall angewendet werden, wo das deutsche „schön“ steht. Einen schönen Film nennt man in Holland nicht „schoon“, sondern „moi“. Auf diese Weise stößt man fortwährend auf Schwierigkeiten. Trotzdem kann man sich ein Bild von den dichterischen Möglichkeiten dieser Sprache entwerfen, wenn man auch keine Anweisung Über Aussprache und Lautreichtum hat.

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