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Der k. k. Kaffeekausmensck

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Was für das Habsburgerreich im Staatlichen die Bezirkshauptmannschaft war, das war gesellschaftlich das Kaffeehaus. Zeugnis der Einheit und Gesittung! Nicht anders als im Imperium Romanum den militärischen Meilenstein, traf man im ganzen Österreich-Ungarn, unter den verschiedenartigsten, verschiedenfarbigsten Völkerschaften, die sandsteingelbe Verwaltungsbehörde mit grünen Fensterläden an und das wienerische Kaffeehaus. Im ersten lagen die Akten des Bürgers, lag seine bezeugte Existenz. Hier wurde sie beaufsichtigt — im zweiten spielte sie sich ab. Behörde und Kaffeehaus waren die einzig wirklich bestimmenden Punkte im Leben des k. u. k. Untertanen. Je besser die Beziehungen zwischen diesen Punkten waren — je urbaner der Verkehr zwischen dem Beamtentum und den Nichtbeamteten wurde —, desto gemütlicher, lebenswerter war in der Monarchie das Leben. Das österreichische Kaffeehaus ist in Wien erfunden worden. Mit den erobernden Heeren Habsburgs zog es in die Grenzländer mit.

Tief im Leben des Wieners ist die Anschauung verwurzelt, daß jeder Mensch ein Recht auf sein privates Kaffeehaus habe: auf einen Raum, der zwar öffentlich ist, aber ihm doch zugleich als Annex seiner eigenen Wohnung dient, die Unzahl kleiner und kleinster Cafés wäre in Wien nicht zu erklären. Der Wiener, der in seinem Café sitzt, befindet sich in einer Sphäre zwischen Heim und Öffentlichkeit. Er ist nicht mehr in seinen vier Wänden, aber doch keineswegs schon auf der Straße. Mit dem Kellner, dem Pikkolo, dem Kassenfräulein, dem Cafétier verbinden ihn Beziehungen, die beinahe familiärer Natur sind.

Zugleich mit dem erregenden Trank und mit einem Stoß noch warmer, gleichsam druckfeuchter Zeitungen tritt die Außenwelt an ihn heran: der Wiener frühstückt im Kaffeehaus! Reich an Bildern und Möglichkeiten beginnt sein Tag. Was er daraus macht, ist seine Sache. Mancher stürzt fort: ins Amt, ins Büro, zu den Geschäften. Mancher bleibt sitzen, hypnotisiert vom rauschenden Meer der Zeitungen. Nirgendwo werden sie so erzählend und so schmeichlerisch geschrieben.

Er betritt es dreimal am Tag: morgens zuerst, zwischen acht und neun. Dann um drei Uhr zum „Kleinen Schwarzen“, den er nach Tisch zu trinken pflegt. Dann abends zwischen neun und zehn. Während er die ersten Male hauptsächlich der Lektüre widmet, gilt der abendliche Besuch familiären Absichten.

Dieser dreimalige Gang ins Kaffeehaus steht fest. Und nur die Grundzeiten schwanken. Denn so wahr es ist, daß der Wiener die drei Abschnitte des Tages im Kaffeehaus einleitet — so willkürlich hält er es dort mit der Zeit. Er kann die Kaffeehausbesuche so dehnen, daß sie ineinanderfließen; besonders, wenn es ihm gelang, einen Teil der geschäftlichen Arbeit in sein Café hinüberzuziehen. Bei der Unzahl der Cafés ist der Raum nie so beschränkt, daß der Habitué dort nicht Akten und Briefe schreiben oder eine bequeme Nische zum Konferenzlokal machen könnte.

Manche dieser Stätten haben noch immer dieselbe Funktion, wie sie 1680 die Kaffeehäuser in London hatten. Sie dienen ausschließlich kaufmännischen ‘Zwecken. Während in London diese Art seit hundertfünfzig Jahren tot ist, leben die Wiener Kaufmannscafés ihr bewährtes Dasein weiter. Gewiß, ein Kaufmann der höheren Schichten hat längst gelernt, sich vom Geschäftsfreund in seinem Kontor besuchen zu lassen. Aber noch vor fünfzig Jahren galt in Wien diese Sitte als protzig. Der Wiener Geschäftsmann wurde vom Wiener ‘in „seinem“ Kaffeehause aufgesucht. An einem scheinbar „jedem Besucher“ demokratisch zugänglichen Ort; wo doch die jeweilige Bedienung die feinsten Unterschiede machte, wenn es galt, Vertraulichkeit oder Kälte zu betonen; wo man den Gast hofierte und so zu behandeln wußte, daß die bürgerliche Bedeutung des besuchten Geschäftsmannes stärker hervortrat als im Büro. Denn alle diese Kaffeehäuser waren nur scheinbar „neutrale Orte“. Sie waren und sind gänzlich abgestimmt auf eine besondere Menschenspezies, die sich untereinander von Ansehen kennt. („Das ist ein Mensch aus meinem Kaffeehaus!“ pflegte beim Sonntagsausflug ein Wiener mitten im Wienerwald zu sagen, wenn er einen Bekannten trifft, von dem er kaum den Namen weiß.) Mit einer menschenbehandelnden Kunst steht der Besitzer und der Kellner seinen Gästen gegenüber. Auf den zarten Unterschieden, wie der Herr Sensal und der Herr Amtsrat befriedigt wird, spielt man wie auf einem Klavier. Durch eine Erhöhung der Anrede wird zugleich jeder bessere Gast ins Paradies seiner Wünsche geleitet, Der bessere Bürger wird Herr „von“, der Geistige wird „Professor“ und „Doktor“! Die Zuneigung, das „attachement“ des Cafétiers an seine Gäste hat kaum materielle Ursachen. Nicht das entscheidet, was einer verzehrt. Die Häufigkeit ist es weit eher, welche den Gast lieb machen kann — und einen langjährigen Gast zu verlieren, bedeutet Unglück, Bestürzung und Scham.

Diese Zuneigung ist gegenseitig. Ich kenne einen Papierwarenhändler, der, als er sein Geschäft verlor und in einen entfernten Stadtteil zu übersiedeln gezwungen war, dennoch zwanzig Jahre lang sein altes Kaffeehaus weiterbesuchte. Er könne es dem Wirt nicht antun, in ein andres zu übersiedeln, erwiderte er auf meine Frage nach dem Grund dieser unpraktischen und so seltsamen Lebensgewohnheit Die sozialen Ehrungen, die man in Wien gern offiziell den „verdienten Honoratioren des Kaffeesiedergewerbes“ erweist, haben manchmal ein Lächeln erregt. Aber doch wohl nicht ganz mit Recht. Solch ein Wiener Cafétier, der dreißig bis vierzig Jahre lang die öffentlich verbrachten Stunden seiner Mitbürger betreute, hatte Anspruch auf sichtbare Ehren.

Aus „Sage und Siegeszug des Kaffees“, Rowohlt-Verlag, Hamburg

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