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Der Kardinal

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Meines Wissens war Kardinal Innitzer der einzige Bischof im gesamtdeutschen Raum, der in der Kriegszeit eine Hilfsstelle für rassisch Verfolgte in seinem eigenen Haus einrichtete. Von. Anfang 1940 bis zum Kriegsende befand sich diese Hilfsstelle im zweiten Hof des Erzbischöflichen Palais, sie war der Grundpfeiler der Caritas. Alle rassisch Verfolgten, gleichgültig ob durch den gelben Stern gezeichnet oder nicht, konnten nicht nur zu jeder Zeit in die Hilfsstelle kommen, sondern auch ohne jede Anmeldung zum Kardinal selbst gelangen. Jeden einzelnen von ihnen hat der Kardinal mit wahrhaft brüderlicher Liebe empfangen und keiner ging ungetröstet von ihm. Wenn wir Ebbe in unserer Kasse hatten, weil die große Summe, die Eminenz allmonatlich zur Verfügung stellte, nicht ausreichte, dann brauchten wir bloß zu ihm zu gehen: „Eminenz, wir haben leider ...“ — „Ja, ja“, fiel er uns jedesmal ins Wort. „Wieviel brauchts denn?“ Und niemals erschrak er über die Summe, die man nannte, niemals verweigerte er sie.

Wir sind heute in alle Winde zerstreut. Doch wenn wir einander gelegentlich treffen und von jener Zeit sprechen, stellen wir immer verwundert fest, daß wir uns zu keiner Zeit unseres Lebens so geborgen gefühlt haben wie damals, als wir im Palais arbeiteten — die Gestapo unsichtbar hinter uns und die Bomber laut und vernehmlich über uns. Der Friede Gottes war

über diesem Haus in jener furchtbaren Zeit, und der Geist der Liebe herrschte in den Mauern. Wenn wir unterwegs waren und Fliegeralarm gegeben wurde, eilten wir rasch „nach Hause“ — ins Palais. Nicht weil dort tiefe Keller waren, nein, sondern weil wir dort im Keller des Kardinals sein konnten und weil in' diesem Raum keine Angst aufkommen konnte. Vielleicht nur darum, weil der Hausherr selbst so furchtlos war.

Der Kardinal saß in einem ausrangierten Lehnstuhl aus den einstigen Prunkräumen, einem herabgekommenen Möbelstück, dessen Mängel mit einer Decke schamhaft verhüllt waren. Vor dem Lehnstuhl lag der Rest eines abgetretenen Teppichs, ein Versuch der Schwester Oberin, ein wenig Glanz in diesen Keller zu bringen. Eminenz hätte darauf gewiß leichten Herzens verzichtet. Er war so einfach. Sein Lebtag hat er sich nichts aus Glanz und

Pracht gemacht. Wenn er in den Keller kam, hatte er nicht einmal den Bischofsring an der Rechten, diesen schönen, schweren Ring, der so prachtvoll aussah an seiner feinen Altherrenhand. Im grauen Winterrock, den Hut in die Stirn gedrückt, kam er über den Hof, mischte sich vor dem Eingang in die Keller unter die Wartenden, ein Mensch unter Menschen, und da sie ihn nicht erkannten, schoben und drängten sie in ihrer Angst den geduldig Wartenden immer wieder beiseite.

Es klingt grotesk — aber wir liebten diesen Keller! der ein Raum des Friedens und des Gebetes war.

Wenn es schlimm wurde, wurde das Licht abgeschaltet. .Dann stand auf dem kleinen Tisch vor dem Lehnstuhl des Kardinals eine Stalllaterne. Das warme, lebendige Licht ließ seine Züge weicher erscheinen, legte sich sanft über seine Hände und ließ die Züge der Priester, die rings um den Kardinal zu sitzen pflegten, noch ahnen.

Am 12. März 1945 fiel eine Bombe auf den Trakt des Hauses, in dem sich die Erzbischöfliche Hilfsstelle befand. Zwei Stockwerke waren in Staub und Trümmer aufgegangen. Nur die Hilfsstelle stand unversehrt, ein kleiner, viereckiger Block in einer Wüste. Gott hatte seine Hand darübergehalten.

In den Tagen, die dann kamen, mußte der Schutt weggeräumt werden. Arbeitskräfte waren nicht zu bekommen, also faßten alle, die im Palais beschäftigt waren, an: die paar Laien, die hochwürdigen Herren und — der Kardinal. Verstaubt, mit verklebtem Haar und entzündeten Augen, in Trainingsanzügen und Arbeitsmänteln großartig „getarnt“, schaufelten wir den Schutt weg, schupften die Ziegel und kämpften mit der Dachrinne, die aussah wie der Drache der Grottenbahn. Acht Mann hoch, plagten wir uns damit ab, den Drachen, der sich gefährlich aufbäumte, über den Hof abzuschleppen. Es ging erst, als Eminenz mit Hand anlegte. Er brachte System in die Sache. „Ho-ruck“, rief er, „ho-ruck!“ Und los ging's.

Eine Menge Gaffer hatten sich eingefunden. Hätten sie geahnt, wer unsere Herren Arbeiter waren! Doch niemand schien auch nur in Erwägung zu ziehen, daß wir hochwürdige Maurer haben könnten, und kein Mensch kam auf den

Gedanken, daß der verstaubte Herr im schwarzen Hausvaterkäppchen und Arbeitsmantel, der „ho-ruck I“ rief und Schwung in die Sache brachte, „der Innitzer“ sein könnte.

Ja, und dann war es soweit. Am frühen Morgen des 10. April kam ein Mann zum Tor und berichtete aufgeregt, daß er in der Naglergasse einen Russen getroffen hätte. Es war in dem Augenblick, da der Kardinal sich anschickte, das Meßopfer zu feiern — in dem kleinen, ebenerdigen Raum, den wir als Ambulatorium eingerichtet hatten. Nur wir wenigen Angestellten, die in diesen Tagen im Haus wohnten, waren zugegen. Durch die undurchsichtigen Kunstharzscheiben fiel ein warmes, gelbes Licht. Es war verhältnismäßig still draußen. Kein Flieger surrte, nur selten fiel ein Schuß. Ein paar Maschinengewehre knatterten in den Straßen, doch das störte uns nicht in unserer Andacht. Die heilige Handlung schritt fort. Eminenz sprach die Wandlungsworte und hob- den Leib des Herrn. Dann den Kelch ...

In diesem Augenblick erhob sich draußen im Hof ein ohrenbetäubendes Geschrei. Die Ausländer, die in unserem Keller Zuflucht gefunden hatten, schienen aus den Kellern gekommen und toll geworden zu sein. Eminenz sprach unerschüttert die Schlußgebete. So ruhig, mit so klarer Stimme wie nur je. Amen, sagten wir.

Da öffnete sich die Tür. Dr. Weinbacher und Pater Born SJ„ der Leiter unserer Hilfsstelle, traten in den Raum. Sie sahen aus wie immer: ruhig, gefaßt, ernst. „Eminenz — was Sie soeben gehört haben, war das Freudengeschrei unserer Ausländer. Die Russen sind im Hof“, meldete Dr. Weinbacher.

Wir sahen einander am Es war so schnell gegangen. Die Gedanken waren gar nicht recht mitgekommen.

Eminenz hatte die Meßkleider abgelegt. Er ging zur Tür, öffnete sie und trat hinaus, unerschrocken, unpathetisch.

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