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„Der Kranz der Engel“

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Tritt man an die Beurteilung eines dichterischen Kunstwerkes heran, so ist klar, daß an ein solches nicht einfach die Maßstäbe eines Tatsachenberichte - oder einer wissenschaftlichen Abhandlung gelegt werden können. Genau so wenig, wie rnan den Gemälden unserer großen Meister gerecht werden könnte, wollte man sie nach den Gesichtspunkten der Photographie oder Anatomie beurteilen. Kunst meint immer Kraft der Symbolik, die im Christlichen bis in die Mystik hineinreicht.

— Darauf sind G. v. Le Forts Romangestalten, wenn bei ihrem künstlerischen Sehertum überhaupt noch von einem Roman in gewöhnlichem Sinn gesprochen werden darf, in ganz besonderer Weise hingeordnet; sie sind nicht bioße Einzelschicksale, vielmehr Symbole und Bilder ganzer Menschenklassen mit ihren Ideologien und in ihrer gegenseitigen Auseinandersetzung In diesem Sinn will der Beitrag einmal eine Deutung der positiven Thematik des nun auch in Österreich (Verlag A. Pustet) erscheinenden leuten Werkes der Dichterin versuchen. Veronika, die Haupt- gestalt des, „Schweißtuches der Veronika“, ist die Problematikerin des Christentums, die sich im „Römischen Brunnen“ zu einem echten Glaubensbekenntnis durchgerungen hat, aber im „Kranz der Engel" noch in lebendiger Auseinandersetzung mit dem Geiste Enzios steht, der der Geist der modernen Existenzphilosophie im weitesten Sinn von Nietzsche bis Heidegger ist, gemischt mit einem übersteigerten Nationalismus, der ewigen Versuchung deutschen Geistes. Es handelt sich, kurz gesagt, zwischen Enz io und Veronika um die Auseinandersetzung von Christ und Antichrist in der heutigen konkreten geschichtlichen Situation, in wahrhaft prophetisch-apokalyptischen Formen aus den Perspektiven der geheimen Offenbarung des immerwährenden Kampfes des Reiches Gottes im Christentum mit der Dämonie des Satans und seines Anhanges.

Die ganze Auseinandersetzung zwischen Enzio und Veronika steigert sich in einen Kampf auf Leben und Tod, in ein dämonisches Ringen, das Veronika von Enzio aufgezwungen wird, und dann in die unerhörte Herausforderung mündet: „Frage dich einmal, wer mich an die Dämonen ausgeliefert hat? Ich glaube nämlich nur an eine Dämonie der Frömmigkeit, die sich nicht opfern will, und wenn der andere darum in die Hölle führe." Nun wird Veronika in einen furchtbaren Konflikt getrieben: die Kirche verbietet ihr, unter der Strafe der Exkommunikation, .mit einem Ungläubigen die Ehe zu schließen, der sich, wie Enzio, den Bedingungen der Kirche nicht fügt. Ihre Liebe wiederum verpflichtet sie im Gewissen, und zwar in dem von ihrem Beichtvater unterstützten und von der Vorsehung Gottes geführten Gewissen, bei Enzio auszuhalten und sich zu opfern, wozu sie Enzio herausgefordert. Sie entschließt sich nun, auszuh-arren, wenn sie auch vor der Durchführung einer bloßen Zivilehe noch zurückschreckt. Sie vertraute auf Gottes Hilfe und „hoffte, daß Enzio das Opfer nicht annehmen werde, weil er sehen mußte, wie es sie zerstörte“. Doch Enzio scheint das „unannehmbare Opfer doch annehmen zu wollen". Da „bricht die ganze Zerstörung des inneren Mensdien unaufhaltsam über sie herein“, die sie bis an den Rand des Todes treibt. Sie „stellte das Bild Christi in ihrer Liebe und ihrem Leiden dar". So hatte sie sich geopfert, um für Enzio die Gnade zu erkämpfen; denn sie wußte, solange Enzio auch nur innerliche Hindernisse hat, kann er ihrer nicht teilhaft werden, und sie wollte ihm ja gerade durch dieses Sakrament die Gnade spenden.

Sie hat also einmal den absoluten Willen, keine Sünde zu begehen, eher zu sterben, was ja auch beinahe eingetreten wäre; dazu hat sie auch die menschenmögliche Garantie aus der Kraft ihres Christentums, daß sie keine Sünde begehen wird; und deswegen hat sie den unerschütterlichen Glauben und das Vertrauen, daß Gott, der sie in diesen Konflikt geführt hat, um die Macht seiner Gnade zu zeigen, auch wieder zu einer Lösung herausführen wird. Ihre Liebe zu Enzio ist also weder eine irrationale Hingabe oder gar ein sündhaftes Verlangen, noch ein blasses Humanitätsidol, sondern die christliche Liebe, die im Letzten dem übernatürlichen göttlichen Leben der Kirdie entspringt, welches selbst wiederum die Wirklichkeit der Gnade und göttlichen Liebe besagt, die alle menschlichen Kräfte im eigenen Herzen des ändern übersteigt und jede satanische Macht besiegen muß. Unter diesen Voraussetzungen, die zutiefst theologische sind, nimmt sie das aufgezwungene furchtbare Leiden des Konfliktes auf sich. Sie sieht keinen Ausweg und ist hilflos, doch ihre einzige Kraft ist noch der Glaube und die Kraft der christlichen Liebe, die von Gott kommt und zu Gott gehen will und selbst göttliche Liebe und Gnade ist.

So will sie den ändern retten, weil er, wenn überhaupt, nur noch durch diese Liebe gerettet werden kann. Es ist eine Liebe des heroischen Opferns, zu der sie dazu noch von der Dämonie Enzios herausgefordert wird. Sie wagt in der Madit ihres Glaubens an die übernatürliche Kraft der christlichen Liebe, diese Herausforderung anzunehmen. Eine dogmatisch und moralisch einwandfreie Haltung, die die ungeheure Sehnsucht unserer Zeit nach dem lebendigen Glauben, der noch Wunder zu wirken vermag, offenbart, und der dazu noch die innerste Kraft aller Kontroversen werden muß: die Haltung der übernatürlichen

Kraft christlicher Liebe. Dazu ist der Fall gedichtet, daß er die objektive Macht der Gnade, die alle ändern menschlichen und satanischen Kräfte übersteigt, aufzeige.

Symbolik ist geballte Kraft. Deswegen hier die starke Übertreibung in der Außerordentlichkeit des Geschehens. Diese Symbolik anzunehmen, ist aus der ganzen Tradition des Le Fortschen Werkes heraus berechtigt, das keinen Unterhaltungsstoff bieten will, sondern von tiefer dichterisch- seherischer Symbolik durchdrungen ist. Die Dichterin führt hier, treu ihrem Werk, ihre ganze Problematik auf die letzte Höhe der Liebe, die der innerste Kern der Gnade und Kirche und Übernatur ist. Dazu handelt es sich hier wirklich um eine künstlerische und religiöse Mystik, die aus dem gleichen Geist ihres Werkes anerkannt werden muß. Von der Dichterin selbst wird sie mit unendlicher Vorsicht behandelt. Sie gibt ausdrücklich zu, ja verlangt es, daß hier niemand das Recht zur Verallgemeinerung hat, wo es um einen einzigen Symbolismus geht, der als solcher niemals wörtlich in die Sprache der Wirklichkeit übersetzt werden kann. Auch als einmaliger Fall des Lebens verstanden, läßt er keine Verallgemeinerungen zu, da das Leben, auch eines Heiligen, „kein Rezept zum Handeln und Nachahmen ist“. Le Fort selbst schreibt, daß sie hier kaum mehr verstanden werden kann, ja nicht einmal mehr verstanden werden darf. Sie selbst wagt über „diese Fragwürdigkeiten eines gequälten Herzens“ nicht zu entscheiden und nimmt so allen ändern die Entscheidung, die den Fall auf sich anwenden wollen, womöglich noch als Entschuldigung für eigene äußerlich ähnliche, abgrundtief oder mißverstandene Schritte. — Aber auch die Entscheidungen gegen das Buch nimmt sie: genau so wenig wie Michelangelos Fresken in der Sixtma einen theologischen Irrtum enthalten, obwohl aus der wörtlichen Übersetzung künstlerischer Symbolik mehr als eine,.- folgen würde, ebensowenig darf man hier eine wörtlidie Übersetzung in die Alltagssprache oder wissenschaftliche Terminologie vornehmen. Dazu läßt sich die Kunst und vor allem das Leben, „der Dichter hat es ja mit dem Leben und nicht mit den Formulierungen des Denkens zu tun", nicht auf klare, eindeutige abstrakte Formeln bringen, die ohne Rest aufgehen. (Es war einmal das Verdienst der Scholastik, das alles in den Formulierungen vom „id quod und modus quo" zu erkennen.)

Dieser ganzen Problematik steht zudem eine unbezweifelbare Ehrfurcht vor der Kirche und Verbundenheit mit ihr gegenüber. Wer daher von einer „nur persönlichen Gnadenführung nach protestantischer Art" oder der Möglichkeit einer Gewissensentscheidung gegen die Lehre der Kirche sprechen wollte, hat weder das Buch noch die Dichterin überhaupt je einmal verstanden. (Der Protestantismus mit seiner Imputationslehre ist einer solchen Gnadentheologie gar nicht fähig.) Wenn die Dichterin hier von einer von Gott allein gewährten Gnade spricht, über die die Kirche nicht mehr verfügt, so heißt das, daß es auch innerhalb der Kirche eine persönlidie Gnadenführung Gottes noch gibt und daß hier die Kirche keine offizielle, das kt sakramentale Gnade parat hat. — „Die Kirche weiß, was sie tut", läßt die Dichterin gerade P. Angelo sagen, „zweifeln sie niemals, trotz allem, an ihrer jahrhundertealten Weisheit!“ Auch vertraut sich Veronika dem Dechanten restlos und demütig an, „obwohl sie gerade ihm am wenigsten (im Beichtstuhl) begegnen wollte“. Schon, daß sie überhaupt zu einem Geistlichen geht und nicht ihre eigenen Wege, dazu in einer Sache, in der sie mit einem Mißverständnis rechnen muß, ist bemerkenswert. Die ganze Szene, wie das Buch, lebt in einer einzigartigen Atmosphäre der Demut und Unterwürfigkeit vor der Kirche, daß man nie an der Haltung ihr gegenüber zu zweifeln vermag. Reißt man jedoch einzelne Sätze aus dem Zusammenhang heraus, so läßt sich vieles beweisen- Das kann man übrigens mit der Heiligen Schrift genau so tun, wovon die vielen Irrlehren, zum Beispiel gerade die Luthers, zeugen. Daß wirklich etwas Unerhörtes darin liegt, gibt schließlich die Dichterin selbst in einer ergreifenden Demut dadurch zu, daß Veronika „wie ein verstiegenes Kind von dem gefährlichen Steg, auf dem es in einer hilflosen Zer- brochenheit hängengeblieben war, sich auf den sichern Boden einer schlichten Frömmigkeit stellte, in der sie künftig zu verharren hofft". — Es steht hier, möchte man sagen, das Wort des Römerbriefes dahinter: Gern wollte ich selber mit dem

Fluch beladen fern von Christus sein für meine Brüder (Röm. 9, 3).

Der symbolische Gehalt des Werkes ist somit: der Kampf des Reiches des Satans mit dem Reiche Gottes, der Kirche, in der heutigen Zeit, und zwar die Kirche konkret verstanden als das übernatürliche göttliche Leben, das Gnade und Liebe ist. Den Christen ist diese Welt an vertraut, daß sie das Reich Gottes in sie hineintragen. Nicht Weltflucht, sondern Ausharren in dieser gewaltigen Diaspora. Die Ungläubigen nicht hassen und verdammen oder vor ihnen als der verkörperten Sünde fliehen, sondern mit ihnen über alle Differenzen und Kontroversen hinweg in christlicher Liebe das verworrene- Schicksal ertragen und so ihre Seele und die Welt befreien. Viele fliehen in gesicherte Lande und wünschen, in einer bessern Zeit geboren zu sein; sie sollten jedoch eher aushalten und das Liebesgebot in die Welt mitten unter dič Ungläubigen tragen, wie Reinhold Schneider sagt, und mit ihnen bangen vor des Engels Schwert. Der christlich' Liebende soll ihr heillos Leid tragen, auch wenn sie verzichten müssen auf die täglichen Gnadenmittel eines geordneten Christenlebens. Eine wahre Gemeinschaft soll es sein, ja eine Liebesgemein- schaft mit den Feinden. Diese Liebes- gemeinschaft erscheint nun unter dem Bilde der Ehe. Das Bild ist der Heiligen Schrift entnommen: Christus der Sün denlose hat sich gleichsam in der mystischen Hochzeitlichkeit seiner Liebe mit der schuldbeladenen Menschheit verbunden, um sie als Gnadenbringer zu erlösen. Seit Christus lebt nun die göttliche übernatürliche Kraft der Gnade in der Liebe, die alle menschliche Weisheit und Kraft besiegt und ihrer gar nicht bedarf, wenn sie einmal versagen. So hat der Christ, wenn ihm Liebe, die theologisch verstanden die Gnade ist. Durch sie werden die Christen die Menschheit von ihrem Sündenleid erlösen und sie heiligen als Gnadenbringer. Das ist der Sinn des Bildes von der ehelichen Gemeinschaft: Liebes- und Gnadenspenderin zu sein als Analogie der Liebe Gottes zu den Menschen in Christus. — Die Dichterin zeugt auch ganz konkret von dieser Liebe im Buche selbst: in dem wunderbaren Bekenntnis ihrer Liebe zu Deutschland, einem geschmähten und in Schuld gesunkenen Deutschland, das sie nicht verlassen will, um es in christlicher Liebe zu entsühnen, das nur noch in dieser Liebe auferstehen kann. Und echt christlich findet diese Liebe die trotz allem doch noch so großen Vorzüge und Eigenschaften ihres Volkes auf und zeugt für sie.

Es geht also im Letzten um die christliche Liebe, jene unerschütterlich starke Liebe, in welcher göttliche Kraft, die Kraft der Gnade, lebt, die sich in das Leid bis in den Tod hineinbegibt, worin sich die heutige Zeit in ihrer Gottesferne stürzt, um daraus noch Leben zu gewinnen, weil sie allein der Auferstehung gewiß ist. — Daß die Bosheit heute eine solche Macht hat, ist nur eine Scheinmacht, denn wie die Dichterin in der „Consolata" (unter Hinweis auf den philosophischen Lehrsatz: malum nonnisi privationem dicit) sagt: „Die Macht des Bösen ist nur die Ohnmacht des Guten." Die eigentliche Macht besitzt immer nur das Gute, dessen höchste und edelste Kraft, natürlich und übernatürlich gesehen, die Liebe ist. Wird sie schwach und ohnmächtig, erhält das Böse eine Scheinmacht, eben die Ohnmacht der Liebe, die sich nicht durrhzusętzen vermag Die Christen sollen nun dafür sorgen, daß die Liebe wieder mächtig wird.

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