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Der Krieg ist nicht an allem schuld

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„ES IST DER KRIEG EIN ROH, GEWALTSAM HANDWERK.“ Er macht nicht halt vor menschlichen Schöpfungen, die von der allgemeinen Liebe und Ehrfurcht getragen werden. Wir können daher begreifen, daß man den Krieg schlechthin für die schweren Schäden verantwortlich machte, die der allen Oesterreichern und nicht nur ihnen teure Stephansdom hat erleiden müssen. Nun haben wir aber letztlich das Rollingersche Chorgestühl, das Wimpassinger Kreuz, die prachtvolle Orgel, die Saphoysche Haube auf dem Nördturm und, vor allem, den unvergleichlichen Dachstuhl auch deshalb verloren, weil man diesen . zwar mit viel Geld und Mühe gegen Feuer imprägniert hatte, wie man glaubte, im übrigen es aber an den einfachsten Feuersicherungsmaßnahmen hat fehlen lassen; weil man das in vielen Jahren in der Sonnenglut ausgedörrte, auf lange Zeit, bis nach Kriegsende, überflüssig gewordene Baugerüst auf dem Nordturm stehengelassen hatte, statt es abzuwerfen. Weil dieses Feuer gefangen und der Brand auf den Dachstuhl übergegriffen hat, haben wir heute nicht mehr unseren alten Stephansdom.

ABER WIE VIELE KUNSTDENKMÄLER HABEN WIR SEITHER VERLOREN, mitten „im tiefsten Frieden“, in knapp 13 Jahren! Mußte das herrliche Goldkabinett des Prinzen Eugen im Oberen Belvedere wirklich ausbrennen? Hätte man nicht etwas mehr Sorgfalt, mehr Vorsicht in den kostbaren Räumen walten lassen können? Haben die Wiederherstellungsarbeiten überhaupt an Ort und Stelle durchgeführt werden i müssen — und nicht in gepflasterten Vorräumen? Wie hat man erlauben können, daß in Theophil Hansens Majolikasaal der Börse ein Basar eingerichtet wurde, ohne für eine ausreichende Feuersicherung und für Reinigung der Heizwege zu sorgen?

Und der andere Hansen-Bau? Man mag über den ehemaligen Heinrichshof denken, wie man will — er hat den sogenannten Ringstraßenstil wesentlich bestimmt und hätte schon deshalb wiederhergestellt werden müssen. Nicht weniger aber auch, weil sich die in der Loggia und den Stiegenhäusern nicht zu voller Höhe erhebende Oper immerhin gegenüber dem nur fünfgeschossigen Bau hat behaupten können. Das ist uns zumindest jetzt, da es zu spät ist, schmerzlich zu Bewußtsein gekommen.

Wir haben die A 1 b r e c h t s-r a m p e verloren, obwohl ein leidenschaftlicher Kampf um sie geführt worden war. Sie ist die' letzte. Auffahrtsrampe zu einer Bastei gewesen, die in ihrem Kern noch erhalten war, und hatte, um 1641 entstanden, das ehrwürdige Alter von 300 Jahren. Als Ersatz hat man uns einen öden, langweiligen Stiegenstummel beschert; und der trägt auf der Wange, wider jedes künstlerische Gesetz, eine, übrigens sehr umstrittene, Liege-figur. Ueber die Architektur des neuen Baues, namentlich im Erdgeschoß (Fensterbekrönun-gen!), wollen wir lieber nicht reden.

Nicht weit davon hat man uns, ohne jegliche Not, einen der schönsten Empirepaläste genommen, das Palais Erdödy, obwohl es insbesondere für die Zwecke, für die es in Aussicht“ genommen war, schon zufolge seines reizvollen Grundrisses hervorragend geeignet gewesen wäre.

UND LAXENBURG? Es war von den deutschen Panzertruppen (übrigens nicht die kaiserlichen Gemächer im Blauen Hof selbst) und dann später durch die Besatzung arg mitgenommen worden. Aber seither ist viel Zeit verstrichen und es hätte längst etwas geschehen können. Wenn das Schloß vom Hausschwamm befallen ist, so wird seine Wiederherstellung allerdings erhebliche Kosten verursachen. Warum aber sollte die Eigentümerin, die Stadt Wien, diesen „Voluptuarbesitz“ nicht als solchen behandeln? Laxenburg liegt heute als „Exklave“ inmitten niederösterreichischen Geländes. Schloß und Park gehören der Stadt Wien aus keinem anderen Grunde, als weil sie ihr vom Dritten Reich geschenkt worden sind, ohne die geringste Gegenleistung! Die Stadt Wien kann also auch einmal etwas tun, ein Opfer bringen. Es geht nicht an, ein Geschenk anzunehmen, aber nur jene Teile zu bewahren, die Nutzen bringen (hier die Landwirtschaft), alles andere aber einfach verfallen zu lassen oder zu zerstören. Schloß Laxenburg ist nicht nur ein Kunstwerk, sondern es ist mit der Geschichte unseres Vaterlandes aufs engste verknüpft. In keinem anderen Land Europas wäre es möglich, daß man ein solches Bauwerk derart mißhandelte. Wer nur mit einiger Aufmerksamkeit die herrliche Ausstellung „Unsterbliches Europa“ betrachtet hat, die uns im Herbst 1957 im Gartenpalast Liechtenstein in der Roßau gezeigt wurde, wird verstehen, was wir meinen.

Das Denkmalschutzgesetz bietet, wie der Herr Unterrichtsminister in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage vom 21. Mai 1958, ZI. 231/AB, 243/J, feststellt, „keine Handhabe, den Eigentümer eines unter Denkmalschutz stehenden Denkmales zu positiven Maßnahmen, insbesondere im Tätigwerden, zu verhalten“. Die staatliche Denkmalpflege kann, wie der Minister weiter sagt, nichts tun, als „der Gemeinde Wien als der gegenwärtigen Eigentümerin der Liegenschaft eine Wiederinstandsetzung bei Berücksichtigung der denk-malpflegerischen Erfordernisse zu empfehlen“. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Rechtsauffassung durchaus zutrifft. Die Stadt Wien, die auf Schloß und Park Laxenburg niemals auch nur den Schatten eines Rechtsanspruchs gehabt hat und ihr Eigentum lediglich der „Großzügigkeit“ des Dritten Reiches verdankt, ist nvo r a-lisch verpflichtet, der, wenn schon nicht ausdrücklich, so doch stillschweigend bei der Uebergabe gemachten Bedingung, Schloß

und Park der Mit- und Nachwelt zu erhalten und damit dem Wunsche der ohne Zweifel überwältigenden Mehrheit unseres Volkes zu entsprechen. Das ist mehr als gesetzliche Pflicht!

Das großartige Schloß Halbthurn im Burgenland ist durch Nachlässigkeit ein Raub der Flammen geworden.

Infolge mangelhaften Zusammenspieles öffentlicher Stellen ist unserem Vaterland die kostbare Sammlung Sandor Wolf in Eisenstadt zum Großteil verlorengegangen, und was uns davon geblieben ist, das hätten wir zu einem weit geringeren Preise haben können. Ein sehr schwerer Verlust!

Das Engelskirchnerische Lustgebäude, das Palais Erzherzog Rainer, ist vernichtet worden, weil man es, obwohl das Denkmalschutzgesetz schon 1923 in Kraft getreten ist, verabsäumt hatte, das Gebäude schon damals unter Schutz zu stellen. War das Palais durch An- und Aufbauten um 1845 allerdings zu einem wenig erfreulichen Bauwerk umgewandelt worden, so ist uns das wohlausgewogene Reitschulgebäude (um 1710) bis auf den in der ersten Vernichtungsfreude gefallenen linken Flügel zunächst erhalten geblieben. Nun ist auch dieser unter der Spitzhacke gestorben. Unverständlich ist die Vernichtung des prachtvollen, aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammenden

Schiffmeisterhauses bei Sarmingstein. Auch hier hat das Bundesministerium gegen das Bundes-denkmalamt entschieden.

„DER STADTPLATZ IN WELS . .. darf, besonders in der westlichen Hälfte, dank der stark bewegten und dabei einheitlichen Platzwände, zu den schönsten Plätzen Oesterreichs gezählt werden ... Mittelalterliche Teile stehen noch anschließend an den in der südwestlichen Ecke gelegenen Ledererturm (heutige Gestalt seit Umbau 1618), der als einziger der ehemaligen vier Tortürme erhalten ist.“ Das sagt Georg D e h i o, Oberösterreich 1935, S. 620. Ja, „es war einmal“. Während wir dies schreiben, liegt dort, wo einst der prachtvolle Turm den prachtvollen Platz geschlossen und gekrönt hat, ein mächtiger Schutthaufen. Denn die Stadtväter von Wels haben, nicht 1858, nein, 1958, beschlossen, den Turm zu schleifen. Selbstverständlich aus Verkehrsgründen, wie jhre seligen Vettern, in. Salzburg, die in den neunziger Jahren das Linzer Tor vernichtet haben. Obwohl der Stadtkern von Umfahrungsstraßen umgeben und im Norden überdies der breite Kaiser-Josef-Platz da ist.

AUS VERKEHRSGRÜNDEN - WARUM AUCH SONST? - ist der Kammerhof in

Gmunden bedroht. Man hat die iraunorucKe verbreitert, und nun will man auch die Straße ausweiten. Hoffentlich siegt in Gmunden die Vernunft.

Der Straßenkoller bedroht eines der eigenartigsten Ortsbilder der Welt, unser Hallstatt. Ueber Oberösterreich scheint derzeit ein Unstern zu leuchten: Wels, Gmunden, Hall-statt! Regierungsrat Dr. Friedrich Morton hat unlängst in der „Furche“ bewegliche Klage geführt darüber, daß mitten durch den unvergleichlichen Ort eine Autostraße gerissen werden soll, ohne Rücksicht darauf, was da auf dem Wege liegenbleiben müßte. Wir wollen hoffen, daß die Hallstätter nicht die Kuh schlachten werden, die sie melken möchten.

Das reizende barocke Schloß Hacking in Wien ist, zusammen mit einem erheblichen Teil des Gartens, vernichtet worden. Wir haben ein staatliches Denkmalschutzgesetz und eine gemeindliche Grünflächenpolitik: eben darum! * Mit dem Wiedner Krankenhaus fiel auch die S p i t a 1 s k a p e 11 e, die nichts anderes gewesen ist als der Mittelbau des barocken Palais Czernin-Althan, der Spitzhacke zum Opfer. Der Park wurde natürlich rasiert. Ein schwarzgrüner Blechelefant fragt verwundert aus seinem drei Meter breiten Rasenstreifen heraus: „Auch du?“ Wir fragen: „Wer noch?“

Das Schloß „Von der Weide“ (1714 bis 1716“) in Maria-Enzersdorf wurde, entgegen dem Widerstände des Bundesdenkmal-amtes und aller Welt zum Aergernis, jämmerlich verstümmelt, weil die Landesregierung dies für gut befunden hat. Und wenn wir noch in die Ferne schweifen wollen, dann möchten wir nur an die Erregung der Gemüter über das Klagen-furter Priester haus erinnern, oder hoffen, daß der allen Tirolern teure Berg I s e 1 von der geplanten „Gedenkstätte“ und vollends von einem Aufmarschplatz verschont bleibe. Man lasse dem Berg Isel die schlichte Form, die man ihm, weit taktvoller als in unseren Tagen, 1909 zur Hundertjahrfeier gegeben.

Wir fragen: Wo ist „der naturverbundene Rahmen“, der unserer Stadt von höchster Stelle versprochen worden ist? Uns möchte scheinen, daß wir in Bälde Rahmen und Bild vermissen werden.

Zumal, wenn die Gemeinde Wien es sich wirklich beifallen lassen sollte, das Naturschutzgebiet Lobau in eine Industriewüste umzuwandeln, Ueber diesen beabsichtigten Wortbruch, über die Absicht, ein Bundesgesetz (Nr. 445/37) ganz einfach mit Füßen zu treten, wird erst noch gesprochen werden müssen. Da wird die Volksvertretung, da wird die Bundesregierung auch noch ein Wort zu reden haben.

MAN DENKT DARAN, das Denkmalschutzgesetz auf

„Gruppendenkmale“ auszudehnen. Mit vollem Rechte.- Aber — so müssen wir fürchten — für Wien wird es endgültig zu spät sein. Dafür wird die allmächtige Baüspekulation sorgen, die sich um keine Verbote und behördlichen Wünsche kümmert und die reizvollsten josefinischen und biedermeierlichen Hauswände herunterschlägt und die Hauswände tunlichst mit dem entsetzlichen „Edel“putz bewirft. Noch wenige Jahre, und wir werden rein nichts mehr haben, was des Ansehens wert sein wird. Ja, man könnte das Dichterwort abwandeln unfl bitter sagen:

„Schließt, Augen, euch, hier ist nicht Zeit, sich schaudernd zu entsetzen.“

Das Zerstörungswerk schreitet fort. Wann werden die Stadtverwaltungen endlich begreifen, daß man aus engen Schatzgewölben, die unsere einst so herrlichen Städte und Dörfer und Märkte gewesen sind, keine Rollbahnen machen kann? Entweder — oder! Wir müssen wählen und entscheiden, was uns wichtiger ist. Herz und Verstand, ja sogar der banale Rechenstift des Fremdenverkehrsbürokraten entscheiden sich fürs Bewahren. Die Bauspekulanten aller „Sparten“ drängen auf Aenderung, also Zerstörung. Man sollte „oben“ wissen, wie man zu entscheiden hat, für Gegenwart und Zukunft.

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