6573513-1950_31_14.jpg
Digital In Arbeit

Der Kristall

Werbung
Werbung
Werbung

In der Berge Finsternis verschachtet, Mühsam, grau, getreten und verachtet, Fremden Zufalls schwerbeladner Knecht, Wohnt der Steine lebloses Geschlecht. Stürzt als Schutt geschunden in den Schluchten, Rollt und kollert unter Sturmes Wuchten, Wird vom Bach als Kiesel hingetrieben, Wird vom Firn zermahlen und zerrieben, Liegt am Meeresgrunde schwarz begraben, Wird in Ewigkeit kein Leben haben. Stumpf und tragend, dienend-stummer Haft, Weiß er nichts von Wachstums Gotteskrait, Ahnt nur ängstlich bröckelndes Vergehen, Wird in Ewigkeit nicht auierstehen.

Einer aber, gleichen Stoffs geboren,

Einer aber, rätselhaft erkoren,

Fühlt getroffen sich vom Gottesstrahl

Unbegreiflich hoher Gnadenwahl.

Spürt Gesetz sich streng in ihm entfalten,

Wittert ungerufner Kräfte Walten,

Fühlt geweitet sich, geklärt, erhellt,

Unbekannten Sternen unterstellt.

Fühlt sich hehren Adel zuerkannt,

Ahnt der Blume sich, dem Mond verwandt,

Weiß sich süßem Wachstum einbezogen.

Fremden Glanz sich fürstlich zugewogen.

Lebt in seliger Eintracht mit dem All,

Kühl-erlaucht als schimmernder Kristall.

Aus dem Gedichtband „Lob Gottes im Gebirge', Verlag Anton Pustet, Graz-Salzburg silberne Madonna doch finden möchte! Aber kein Mensch dachte auch nur daran, daß sie unter Wasser liegen könne.

Die ganze Welt sprach von dem wunderbaren Fischfang. Das Nethewasser wurde in den Laboratorien untersucht, ob keine besonderen Bestandteile darin zu entdecken wären, Gelehrte schrieben darüber in den Zeitschriften und hielten Vorträge mit Lichtbildern. Eine Zeitung aus Brüssel ließ auf ihre Kosten einen Taucher kommen, um zu sehen, ob nicht etwas Besonderes in dem Wasser läge, was die Fische anzöge. Als Speckzehe das hörte, tanzte er durch das ganze Haus vor Freude. Nun würde es gefunden werden und dann war alles wieder gut!

Die Nethedeiche kribbelten von Menschen, als der Taucher mit dem eisernen Ballon überm Kopf ins Wasser stieg. Aber nach fünf Minuten war er wieder oben. „Ich gehe nicht noch mal“, japste er, „ich muß mich durch Mauern von Fischen würgen. Sie pressen mich- wie mit Bärentatzen. Das bringt selbst der Seeteufel nicht fertig!“ Und mit dem Tauchen war es aus.

„Ich fühle es“, sagte Speckzehe trauleer ankamen und voll wegfuhren. Aber in diesen Tagen sollte der Vertrag mit der neuen G. m. b. H. unterzeichnet werden, dann würde das alles geregelter vor sich gehen. Man sprach von einer Eisenbahn, von Kränen und Kaien.

Speckzehe ging mit in der Prozession und trug eine kleine Gipsfigur von der Muttergottes und betete, daß man, aber nicht er, das silberne Bild finden möge. Und jedesmal, wenn er an den zwölf Pappeln vorbeikam, fühlte er einen brennenden Schmerz im Herzen.

Aber er wagte nicht, etwas zu sagen, nicht die leiseste Anspielung zu machen, aus Angst vor dem Gefängnis. Acht Tage ging die Prozession nun schon ohne Erfolg, und in diesen wenigen Tagen war Speckzehe ganz gebeugt und fast dreimal so alt geworden.

Am neunten Tage wurde der Vertrag mit der neuen G. m. b. H. unterzeichnet, und abends sollte deshalb ein großes Bankett im „Delphin“ stattfinden.

Am Nachmittag zog der Edelsteinring der Prozession wieder dreimal um den Beginenhof herum, beim dritten Mal aber stand Speckzehes Gewissen in wilden Flammen. Als er zu den zwölf Pappeln gekommen war, konnte er nicht mehr weiter. Sein Blut war wie Blei. Er preßte den Mund zusammen, aus Angst vor seinen Worten, aber seine Lippen wurden auseinandergedrückt. Mit seiner braunen Hand zeigte er auf die dritte Pappel und rief: „Dort! Dort! Dort! im Wasser seh ich sie!“ Er ließ die Gipsmadonna fallen, schritt vom Deich hinunter und stieg ins Wasser.

Plötzlich war eine gespannte Stille, tausend gereckte Hälse, offene Münder und erstaunte Augen ...

Und da stieg langsam die silberne Madonna aus dem Wasser empor, dann Speckzehes Hände, dann sein feuerrotes Gesicht und dann er ganz und gar.

Ein lauter Jubel krachte los, das ganze Land erschallte. Man zog ihn den Deich hinauf, aber Speckzehe blieb liegen, dreiviertel tot. neue G. m. b. H. rasch in Tätigkeit treten zu lassen.

Der fromme Pfarrer vom Beginenhof aber griff zum letzten Hilfsmittel, um das Bild zu finden. Man wollte an neun Tagen hintereinander eine Prozession dreimal um den Beginenhof herumgehen lassen.

Es war eine schöne Prozession, bei der alle Stadtteile mit ihren alten Fahnen, Heiligenbildern und Standarten mitwirkten. Alle Klosterinsassen in der Stadt gingen mit, alle Madonnen aus den Kirchen und Kapellen wurden im Zuge getragen, und alle frommen Leute, die mit in der Prozession einherschritten, hatten auf Rat des Pfarrers die Madonna aus ihrem Haus in den Armen und eine Kerze in der Hand. Es war rührend anzusehen, dieser Zug von Hunderten von heiligen Jungfrauen, die ihre verlorene Schwester suchten.

Die Prozession war so lang, daß Anfang und Ende sich berührten. Sie zog jeden Tag dreimal um den Beginenhof herum, und jedesmal kam sie an den zwölf Pappeln vorbei, wo fortwährend von hundert Kähnen aus anderen Städten gefischt wurde, für jeden Zug zehn Franken, die die Schutzleute in Empfang nahmen. Es wimmelte von Wagen, die

Der Pfarrer kam heran, empfing das Bild, führte es an die Lippen und gab es dem Küster, um Speckzehes Beichte zu hören.

Und während sich das Volk auf den Küster zuwälzte, um die Madonna zu sehen, die er mit dem Taschentuch auf das Kreuz gebunden hatte, das er in die Höhe hielt wie eine silberne Flamme — während die Menge kniete, beichtete Speckzehe, in des Pfarrers Arm gebettet, und erzählte seinen Diebstahl und seine Reue.

Der Pfarrer vergab ihm seine Sünden, brach ein Stückchen der glorreichen Hostie aus der Monstranz und gab es ihm als Zehrung.

Dann starb Speckzehe, dessen Tat ewig, unentdeckt blieb durch das Geheimnis der Beichte.

Und siehe da. Während die Menge dort betete, um die wiedergefundene Madonna herum, während Speckzehe weggetragen wurde, mit einem Taschentuch über dem toten Haupt, zogen die Fischer ihre Netze in die Höhe, und es war nichts darin! Gar nichts! Nicht einmal ein Fischlein so groß wie diese Schreibfederl

Die Muttergottes wurde triumphierend durch die Straßen getragen. Und wenn die Leute das Bild gesehen hatten, liefen sie an die Nehte, um die Fischer leere Netze heraufziehen' zu sehen. Es war nichts mehr zu sehen, aber gerade dieses Nichts wollten sie nun betrachten.

Am selben Abend zog die liberale „Harmonie“ höhnisch vor den „Delphin“, wo die Mitglieder der neuen G. m. b. H. mit wenig Appetit an der Festtafel saßen, und spielte ununterbrochen das Liedchen; Alle Fische schwimmen, alle Fische schwimmen, Nur der kleine Backfisch nicht..,

Am nächsten Tag erschien im Staatsanzeiger der nun ins Wasser gefallene Vertrag der „Gesellschaft mit beschränk; ter Haftung zur Ausbeutung des Zwölf-psppelnnethewasserfischfangs“. Aus dem Buch „Das Licht in der Laterne“, Insel-Verlag, Leipzig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung