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Der Kunstler und der Techniker

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Giorgione Petrucci, mein Großvater, war ein einfacher Bauer, der so ziemlich alles auf dieser Welt gleich groß und gut, gleich wahr und schön fand. Mich liebte er ganz besonders und ich habe oft als Kind durch ewiges Fragen seine große Geduld auf harte Proben gestellt. „Nonno, was ist das? Wie ist das? Wie wird das?“ Der Künstler bleibt immer Kind. Großvater Giorgione ist längst schon tot; aber der Frager in mir lebt stärker denn je. „Ist das Große auch wirklich groß? Ist das Gute auch wirklich gut? Das Schöne schön? Das Wahre wahr?“ Der Künstler fragt und fragt, und sein Wesen ist Mißtrauen. Mit seinen Zweifeln und seinen Fragen stürmt er gegen alles an. Er will Welten auftürmen, Welten der Schönheit, der Wahrheit und des Glaubens. Aber immer wieder treffen die schwanken Lichter der Brandfackeln dest Zweifels seine Geschöpfe. Auf der einen Seite sind die Freunde, die ihn lieben, die ihm helfen, auf der anderen die Feinde — ach ja, liebe sie wie dich selbst! —, die ihn hassen und seine Zweifel immer wieder verstärken. Also überall Kampf!

„Kein Künstler je errang sein letztes Ziel“, schrieb schon Dante und heute noch hat dieser Ausspruch für jeden Künstler volle Geltung, denn um mit Leonardo da Vinci fortzusetzen: „Die größten Flüsse fließen unter der Erde .. .“ Nun, es ist wohl so. Viele große und unvergängliche Werke wurden schon geschaffen, die größten, die unvergänglichsten harren aber noch des Erlösers. Wie gerne möchte auch ich ein Erlöser der Kunst, ein Bildhauer sein! Aber wie soll ich es fertigbringen? Ich weiß ja nicht einmal, was Kunst ist. Ich habe schon kluge Aufsätze darüber gelesen, habe dickleibige, bebilderte Bücher zu studieren begonnen, umsonst, ich habe nie erfahren können, was sie wirklich ist, die Kunst. Sie ist wohl das große Geheimnis, die ewige Sehnsucht des Menschen nach den un-erforschlichen, göttlichen Kräften. Und so geht man ihr eben intuitiv nach, der Künstler, der die Kunst gewissermaßen als Beruf ausübt, und der Erwerbsmann, der seinen Beruf als Kunst erlebt. Und beide sind Menschen mit allen Menschlichkeiten, sie können unzuverlässige, berechnende, hämische, geizige und neidige Kerle sein, aber was sie auf Befehl jener mystischen Kraft hervorbringen, packt und zwingt die anderen, ihnen Achtung entgegenzubringen „Die Moral eines Menschen sei für die Qualität seiner Prosa nicht maßgebend“, sagte schon Oskar Wilde. Ich möchte gerne Bildhauer sein, denn ich bewundere viele Bildhauer von einst und von heute. Sie haben alle den allgemeinen Zug ins Große und den ausgeprägtesten Formwillen, der dekorative Fertigkeit nie zu leerer Gestikulation und erkünsteltem Pathos führt. Aber noch lieber, viel lieber, möchte ich doch schöpferischer Techniker sein, denn meine Bewunderung für diese ist grenzenlos. Der Techniker befaßt sich auch mit mystischen Kräften wie der Künstler, Schwerkraft und chemische Affinität sind nicht minder unerklärlich als die künstlerischen Fähigkeiten. Aber der Techniker muß weniger an sein eigenes Ich denken als der Künstler, der Techniker ist ganz mit der idealen und verantwortungsvollen Aufgabe verwachsen, mit dem Werk, das wieder mit dem Leben von Tausenden, ja Millionen von Menschen zusammenhängt. Der Bildhauer kann wohl viel Schönes schaffen, aber was ist das alles, verglichen mit den magischen Kräften des Technikers, der heute schon durch die Elektrizität Welten bezwingt, Atomkräfte freimacht und morgen vielleicht zu den Sternen gelangen kann. Die Bildhauerei ist alte Romantik, die durch Jahrtausende gleichgeblieben ist, die Technik ist neue und märchenhafte Romantik aus Tausend und einer Nacht, die Wirklichkeit geworden ist. Bildhauern und Technikern ist gemeinsam, daß sie zu den Menschen von innerem Wert gehören müssen, um Erfolg zu haben, und jeder Mensch von innerem Wert muß irgendwie ideal veranlagt sein, um sich des Menschennamens würdig zü erweisen.

Das furchtbare Erlebnis des soeben beendigten Krieges hat auch den Künstler erschüttert, und geläutert. Aus rauchenden Ruinen wird Menschengeist wieder große Werke schaffen. Ein neuer Zeitgeist bricht heran, Tempo, Taumel, Mechanismus und Hetzjagd werden sich mit ihm wieder einstellen. Der zeitgenössische Künstler, der fest auf dem Boden der Wirklichkeit steht, muß vorwärtsschauen, er weiß, das goldene Zeitalter liegt vor uns! Er liebt und bewundert die Pyramiden Ägyptens, die griechischen Säulentempel, die römischen Kolosseen, die gotischen Burgen und Dome, die Kirchen der Renaissance, die Theater und die Paläste des Barocks. Aber diese Formen sind Vergangenheit, wenn auch erhabene Vergangenheit. Es fällt sicherlich keinem heutigen Künstler ein, denn Spinnen, die dort ihre maßgerechten Gewebe verankern, gram zu sein. Mit dem unsymmetrischen Gewebe dieser Zeit läßt sich auch wirken. Im technischen Zeitalter kann der Künstler getrost, wo es notwendig ist, sich der Technik zur Formung neuer Werke bedienen. Überall sind die politischen Baumeister emsig am Werke, eine neue Welt, einen neuen Zeitgeist zu formen. Darf da der Künstler zurückstehen? Es geht natürlich nicht mehr an, nur museale Dinge, wie Kleider und Schuhwerk aus Bronze oder aus Stein, die wohl dauerhaft, aber unwesentlich sind, geistlos nachzuahmen. Die Aufgabe des Künstlers ist, nicht nur Formen in die Welt zu stellen, sondern auch die Welt, diese neue Welt, diesen neuen Zeitgeist, in der Form zu fassen. Vor der Vision der Form aber soll die Sinngebung zu der jeweiligen Aufgabe stehen. Freilich, das Technischhandwerkliche als Dienerin jeder Kunst, muß treu und verläßlich sein. Das ist die unvermeidliche Voraussetzung für jede künstlerische Gestaltung. Die Freude und das Leid, die den Künstler zutiefst bewegen, wenn er in der Abgeschiedenheit seiner Werkstatt, sich mit dem Schöpfer und der Unendlichkeit auseinandersetzt, diese wundervollen Stimmungen, oft so zart und spinnwebefein, daß er den Atem anhalten muß, um sie nicht zu zerstören, können ihm weder durch Lob noch durch Tadel geschmälert werden. Immerfort lautet die Parole: schaffen und arbeiten, unentwegt, an sich und am Werk, einerlei ob man Widerstand“ überwinden muß und der eingeschlagene Weg noch so steil sein mag. Schaffen und arbeiten und nie mehr verzweifeln, das Ziel ist groß, schön und erstrebenswert!

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