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Der letzte fahrende Geselle

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H. C .Artmann, österreichischer Autor von Rang, erhielt unlängst den Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

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H. C .Artmann, österreichischer Autor von Rang, erhielt unlängst den Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

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Peter 0. Chotjewitz hat einmal gesagt: „Es üt immer Artmann. Aber wer ist Artmann?” Das heißt, es gabt etwas Spezifisches, an dem man ihn erkennt, das aber gar nicht so leicht zu benennen ist, eben weil es in so vielen Formen und Verkleidungen auftritt Was wäre dieses spezifisch Artmannsche?

Kl AUS REICHERT: Das spezifische Artmannsche ist, daß er immer erkennbar ist als Artmann. Da ist eine Unverwechselbarkeit seiner Texte, an der man sofort erkennen kann, es muß sich um einen Artmann-Text handeln, ohne daß man genau sagen könnte, woran das liegt. Ich meine, es ist ja kein Zufall, daß es im Grunde, im Unterschied zu anderen, kaum eine Literatur, eine ernstzunehmende Sekundärliteratur über ihn gibt. Man kann sehr hübsch über sein lieben erzählen, dieses abenteuerliche vagabundierende Poetenleben. Er ist der letzte Typus eines fahrenden Gesellen, wie wir sie aus dem Mittelalter kennen oder aus der Antike oder noch in der Benaissance. Aber spezifische Analysen des Werkes gibt es eigentlich kaum, weil er sich immer wieder entzieht. Er ist immer er selber, in welcher Maske auch immer er auftritt. Ich glaube, die Maske oder, wie er es einmal genannt hat, die Pose, ist eine ganz wichtige Erscheinungsform seiner Poesie. Also es ist eigentlich immer eine Art von Bollenprosa, in der er auftritt als ein Kasperl oder als eine Figur aus der Commedia delT arte oder als ein schwarzer Bänkelsänger im Paris des 14. Jahrhunderts. Aber der Dichter H. C. Artmann, der eine bestimmte Biographie hat, ist darin nicht erkennbar. Er redet immer nur sozusagen durch die persona, also durch eine Maske hindurch. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Kriterium. Es gibt keine Bekenntnislyrik oder Erlebnislyrik oder so etwas, durch die man rückschließen könnte auf die Person H. C. Artmann, geboren am 12. Juni 1921 in St. Achaz am Walde oder in Wien oder wo immer. Diese Bückschlüsse können Sie aus dem Werk nicht ziehen, wie Sie das in der Regel bei anderen Autoren schon können. Eine stilisierte Figur in diesen Texten, immer ganz Artmann, und gleichzeitig ist Artmann überhaupt nicht da als biographische Figur, und das macht ihn einzigartig unter den Dichtern in diesem Jahrhundert.

Frist ja ein großer Prosaautor, aber eigentlich auch kein Erzähler, weil er nicht, wie Sie geschrieben haben, auf Außersprachliches rekurriert, weil seine Texte selbstreferentielle Systeme sind, und weil er schwer narrative Strukturen durchhält REICHERT: Er hält sie nicht durch, weil sie ihn nicht interessieren. Seine Form, kann man vielleicht sagen, ist eigentlich die Arabeske oder die Groteske im Sinne des 16./17. Jahrhunderts. Das heißt wunderbar ausgeführte Details, die ihn interessieren, aber nicht etwa ein narrativer Fortgang. Es ist auch kein Zufall, daß seine liebste Form, wenn er spricht, die Anekdote ist oder der Witz. Das sind Kleinstformen, in denen er sich bewegt, und das narrative Problem für ihn ist, wie er das dann in irgendeinen narrativen Ablauf überträgt. Der einzige größere Roman, den er geplant hatte, „Der aeronautische Sindtbart”, ist ja nicht zufällig Fragment geblieben. Er setzt zu erzählerischen Formen an, aber er verliert sie aus dem Blick, weil sie ihn nicht interessieren. Weil er an der Ausfüllung einer Arabeske interessiert ist. Er folgt sozusagen den Strichmöglichkeiten, wohin eine Arabeske ihn führen kann, und das ist dann ganz etwas anderes. Im Grunde ist das etwas, was vor ihm Shakespeare probiert hat, in seinen häufig kritisierten Metaphern, in diesen gemischten Metaphern. Shakespeare fängt irgendwo an, eine Metapher zu bilden und verliert sie dann immer aus dem Auge. Er wechselt also während der Metapherbildung ständig die Pferde. Etwas ganz Ähnliches macht H. C. Artmann. Das Interessante sind eben diese Fixierungen von Details oder eben von Arabesken, von Groteskformen, die das Wichtigere sind gegenüber dem erzählerischen Ablauf.

Es gibt bei ihm auch ein ganz eigenes Desinteresse am eigenen schriftlichen Werk Wir haben ja manches nur, was Freunde aufbewahrten, ihm entrissen haben. Sie hatten wahrscheinlich keine geringe Mühe, bei der Zusammenstellung, überhaupt aller Texte habhaft zu werden. REICHERT: Er hat eine Laxheit gegenüber seinen Skripten gehabt. Er hat sie verloren, liegengelassen. Es tauchen immer wieder Sachen auf, die zufällig Freunde irgendwo gefunden haben. Er hat nicht, wie andere Dichter das machen, die Besessenheit alles aufzubewahren, alles schön abzulegen, zu ordnen usw. Es interessiert ihn das, was er im Augenblick schreibt, die Maske, in die er sich im Moment hineinbegeben hat. Das ist es, was ihn interessiert. Was er früher einmal geschrieben hat, ist ihm eigentlich egal.

Sie kennen ihn sehr lange. Kqnnen Sie auch etwas zum Menschen H. C. Artmann sagen? Bei ihm sind ja Werk und Mensch auf eine sehr spezifische Weise verbunden. Beici IERT: Es scheint verbunden, aber es läßt sich die Figur Artmann im Grunde nicht finden. Das Werk zeigt bestimmte Masken, und die Person ist dann eine ganz andere. Ich kenne ihn sehr lange. Er hat oft bei uns gewohnt in der Zeit, als er tatsächlich so als ein Vagant durch die Lande zog. Eines Tages klingelt es an der Tür, und er steht davor mit seinem kleinen Köf-ferchen und seiner Reiseschreibma-schine und bleibt dann da, häufig mit einer Freundin, schreibt, und dann zieht er wieder weiter und schreibt ir-gendwoanders. Diese wunderbaren Prosastücke „Fleiß und Industrie” zum Beispiel. Die hat er fast ganz in Frankfurt in meiner Wohnung geschrieben. Mit einer äußersten Disziplin. Man denkt ja immer, er sei so ein genialischer Autor, der schnell etwas hinwirft, dann alles liegen läßt und weiter zu anderen Ufern geht. Nein, er ist jeden Morgen früh aufgestanden, brummig, nicht ansprechbar, hat bis zu Mittag einen dieser Texte geschrieben, dann das Mittagessen in sich hineingeschlungen, ebenso brummig und unkommunikativ, hat sich den Nachmittag über wieder hingesetzt, den zweiten Text geschrie ben. Am Abend war er dann frei. Da konnte man reden. Er erzählte seine Anekdoten. Man redete über seine Filmhelden Erich von Strohhalm oder über amerikanischen Film oder über Lovecraft oder über grammati sehe Probleme. Es gibt niemanden, mit dem man sich schöner unterhalten kann über irgendwelche Finessen des Sanskrit oder die Pluralbildung im Altnordischen oder so etwas. Am Abend war er frei, las beiden Texte vor, die er geschrieben hatte. Aber während des Tages, und das war für mich so erstaunlich, weil ich manch mal dachte, er sei der undisziplinierte Vagant, arbeitete er ganz konsequent an den 'Texten , sehr, sehr lange.

Das Gespräch führte

Cornelius Hell mit Klaus Reicherl, dem Lauda/or von H.C.Arlinunn. editorial

Das vorliegende Dossier, liebe Leserinnen und Leser, ist eine Koproduktion. Sie wird vom Literatur-Fachmedium „Zeit im Buch” und der FURCHE, die laut Umfragen von außergewöhnlich vielen Bücherfreunden gelesen wird, verantwortet. Was unsere Bezensen-ten in jüngster Zeit Seite für Seite erlesen haben, wird in einer repräsentativen Auswahl vorgestellt. Wesentliche Neuerscheinungen aus der Welt der Belletristik und des Sachbuchs, insbesondere mit historischer oder religiöser Thematik, sind hier zu finden. Dem Cartoon isten Cork, den FuRCHE-Lesem meist schon bekannt, verdanken wir die trefflichen Illustrationen. Ein Aspekt dieses Dossiers sei nicht verschwiegen: In einer Zeit, in der Bilder regieren, müssen Printmedien versuchen, zum lesen zu verführen ...

Heiner Boberski Chefredakteur, Die Furche editorial

Literatur kritisch zu betrachten und öffentlich zu präsentieren, ist eine immer neue Herausforderung für die Kulturredaktionen von Zeitungen und Zeitschriften. FURCHE und „Zeit im Buch” haben ihre personellen Ressourcen und Kapazitäten zusammengeführt, um einmal gemeinsam einem größeren Leserkreis interessante Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt vorzustellen und Lust auf die Lektüre von Bomanen, Gedichten, historischen Werken et cetera, zu machen. Ein Interview über einen der bedeutendsten österreichischen Sprachkünstler, H. C. Artmann, und ein Essay über die religiöse Sprache (Seite 28) sollen auch den „Stoff” und den „Raum”, aus dem Literatur schöpft, zur Geltung bringen. Hoffentlich macht Ihnen das für Sie Erlesene Freude!

Erika Schuster Chefredakteurin, „Zeil im Buch”

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