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Der Maler der Schrecksekunde

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Ein erregendes und erschütterndes Ereignis: das seit 75 Jahren fast vergessene Werk eines großen Malers taucht auf — aber keinem Betrachter, auch nicht dem geschulten Kunsthistoriker, gelingt es, diese unbekannten Bilder, ihr Eigentliches und Einmaliges, wirklich zu „sehen“. Die Zeit hat zwischen sie und den Betrachter Assoziationen und Erinnerungen geschoben, die sie verwischen und verzerren; man denkt vor den Bildern Romakos an Goya und Manet, die er vielleicht gekannt hat, aber man wird auch verwirrt, wenn man abwechselnd Ähnlichkeiten mit Hodler, Münch oder Schiele gewahrt, die Romako nicht gekannt hat, weil sie lange nach ihm erst auftraten. Romako hat manches vorweggenommen, was an Späteren neuartig schien — aber weil man das erst jetzt erfährt, verschiebt es den Winkel, aus dem seine Bilder erblickt sein wollen, und läßt ihn mehr als den bloßen Vorläufer erscheinen denn als den Einzigartigen, als das Phänomen, das er in Wirklichkeit war. Man wird noch oft und oft seine Werke zu Gesicht bekommen müssen, ehe man sie richtig einzuschätzen gelernt hat.

Und doch ist das Eigentümliche in Romakos Oeuvre mit keiner anderen, früheren oder späteren Malerei zu vergleichen. Er hatte in seinem Jahrhundert Verwandte, aber sie waren nicht Maler, sondern Dichter. Poe wäre hier zu nennen oder seine französischen Nachfahren, jene „poetes maudits“, die „verdammt“ waren — nicht weil sie sich des Heils begaben, sondern Weil sie als erste unter Blinden kommendes oder gegenwärtiges Unheil sahen; ihnen könnte sich Romako wohl als „peintre maudit“ brüderlich zugesellen. Denn wie sie die „Dichter der Schrecksekunden“ waren,, so ist Romako der wahre Maler der Schrecksekunde — seine unmittelbarsten und packendsten Bilder sind in Augenblicken des Schreckens gesehen, eines Schreckens, der alles erstarren läßt, auch die eigenen Augen, die wie gebannt, starr, hypnotisiert am Objekt hängenbleiben, das in schmerzender, überraschender Schärfe plötzlich vor ihnen steht. Das vollendetste Historienbild der Moderne, „Tegetthoff bei Lissa“, ist die Darstellung einer solchen Schrecksekunde, „ein kleines Historienbild, voll der weltgeschichtlichen Tollheit eines Augenblicks“ (Hevesi).

Wer dies begriffen hat, kann den Bildern Romakos gerecht werden. Auch den Porträts, die in seinem Lebenswerk an Zahl und Bedeutung überragen. Da gibt es beispielsweise das Porträt einer Gräfin Kuefstein (Nr. 41 der Wiener Ausstellung): ein pastos gemalter Vorder-, ein impressionistisch aufgelöster Hintergrund, dazwischen das Bildnis, hart, scharf, wie gezeichnet. Uneinheitlich-keit? Nicht bewältigter Stilpluralismüs? Nein; alles auf diesem Bilde verrät höchste Bewußtheit, aber auch stärkste innere Anteilnahme. Das Auge des Malers — und also auch des Betrachters — bleibt auf dem Gesicht, das sehr un-impressionls tisch der hellste und schärfste Teil des Bildes ist, haften; Vordergrund' und Hintergrund, nicht durch plastische, kaum durch Hell-Dunkel-Werte unterschieden, sind so gemalt, wie das fest auf einen dazwischenliegenden Punkt fixierte, nicht akkomodierende Auge sie wahrnehmen würde. Es muß, es darf nur an dem Gesicht hängen — und wiederum stellt sich sofort das Gefühl des erstarrten Gebanntseins ein —, man sieht das Antlitz in einer Sekunde des Erschrek-kens. Es zieht den Blick unwiderstehlich an sich, läßt ihn nicht abgleiten, verwandelt sich in ihm, gewinnt geisterhaftes Leben, taucht wie eine Meduse aus den grünlichen Schleiern des Hintergrunds hervor.

Die Porträts der achtziger Jahre sind, mit Variationen, alle so gemalt, daß pastose, zeichnende und impressionistische Farbsegmente in der Fläche zugleich auch die Raumschichten bezeichnen — eine sehr ungewöhnliche Methode, Raum und Fläche zu vereinigen, der psychologischen Darstellung weitesten Spielraum zu lassen und alle Stilmittel in eins zusammenzufassen. Die Methode der Schrecksekunde, Romakos Methode. Ihre Entwicklung beginnt, menschlich verständlich, kurz vor seiner Rückkehr nach Wien, genau in jenem Zeitpunkt, da sich alles in Romakos Schicksal zum Schlechteren wendete. Das Bild einer seiner Töchter (51) mag das erste Beispiel sein, die verwandte „Circe“ (1), der „Einzug Marc Aurels in Wien“ (86) und die „Nike“ (52) dürften chronologisch folgen. Es sind das im übrigen Traumbilder, wie sie Romako von Zeit zu Zeit malte —, aber solche, in denen persönliches Leid ins Alptraumhafte transponiert und mit blutiger Selbstironie verätzt wie in jäher Hellsichtigkeit erkannt und verspottet wurde; das erinnert von ferne an Goya — für manche Künstler der neueren Zeit scheinen gewisse Perioden ihres Lebens nur in Form wenn auch furchtbarer Träume zu ertragen zu sein.

Es ist zu begreifen, daß Romako in einer Gesellschaft, die an die Verherrlichung durch Makart gewöhnt war, keine Anerkennung fand. Denn seine Porträts sind Desillusiortierungen; die Menschen auf ihnen wirken — nein, nicht als entartet, nicht einmal als dekadent — als irgendwie gefährlich bedroht, so, als ob sie sehr bald zu Staub zerfallen könnten, als genießerisch hochgezüchtete, luxuriöse Kreaturen, die ein Hauch verschwinden lassen müßte. (Zu dem „Interieur“ hat man klug bemerkt, daß es eine Illustration zu Kubins „Stadt Perle“ sein könnte.) In seinen letzten zwei Lebensjahrzehnten sieht Romako alles mit einer Art von zweitem Gesicht, in Wachträumen und wiederum in Schrecksekunden. Selten nur mehr wird er in ihnen vom Angenehmen überrascht, wie in der „Barcarole“ (4) von 1883 oder in einigen hellen Landschaften. Ein friedliches Bild wie das „Frühstück der Familie im Freien“ (69) — auch es in die

Gattung der „Traumbilder“ einzureihen — taucht nicht mehr auf.

Das Schicksal des Menschen Romako: schneller, glanzvoller Aufstieg und langsamer, qualvoller Untergang. Als Fünfundzwanzigjähriger kam er nach Rom, heiratete, führte ein großes Haus; seinen Ruhm in diesen Jahren beweist nichts besser als die Tatsache, daß sich Pius IX. von ihm malen ließ. 1876 kehrte Romako, von seiner Frau verlassen, nach Wien zurück; das weitere hieß Verständnis-losigkeit der Öffentlichkeit, immer unerträglicher werdende materielle Bedrückung, Krankheit, Selbstmord zweier seiner Töchter. Er starb 1889, nicht durch eigene Hand, welche Legende Änkwicz-Kleehoven schlüssig widerlegt hat, wohl aber als gänzlich Verarmter, der buchstäblich nur drei Kreuzer mehr besaß. Eine tragische Biographie, wahrhaftig; es wirkt wie Hohn, wenn man sagt, daß Romako als Maler seine besten Werke in den Jahren seines menschlichen Zusammenbruchs hervorbrachte.

Die Vorstellung, die man von der österreichischen Malerei des vergangenen Jahrhunderts hatte, erfährt jetzt, nicht zuletzt dank der Wiederentdeckung Anton Romakos, beträchtliche Korrekturen. Sie war nicht so ausschließlich, wie es selbst neuere kunstgeschichtliche Sammelwerke noch glauben lassen, eine Malerei der Heiterkeit und biedermännischen Freundlichkeit, der sonnigen Waldmüller-Landschaften, klassizistischen Kompositionen und Ma-kartschen Repräsentativgemälde. Es gab in ihr eine dunklere und gefährlichere Schichte, die später, um die Jahrhundertwende, offen zutage trat — eine Schichte, in der das Kommende sich mit leisen Erschütterungen anzeigte und die Seelen und Nerven sehr Empfindlicher schon unter der Ahnung zukünftiger Katastrophen, Desillusionierungen und Existenzängste zu vibrieren anfingen. Dieser Schichte entstammte vielleicht der Sonderling Michael Neder, dessen Bilder gleichfalls erst in der jüngeren Vergangenheit zusammengetragen wurden, sicher aber der freilich ungleich größere Anton Romako, dessen Werk an Bedeu-' tung nicht verlieren, sondern noch gewinnen wird. Von Romako über Schiele und Kokoschka bis zu Kubin und von Kubin bis zu einzelnen der österreichischen Graphiker der Gegenwart, Fronius oder Moldovan, lösten die Maler und Zeichner der Problematik und der Gefährlichkeit einander ab. Gewiß, dies ist nur eine Seite der österreichischen Kunst, und in den Sälen, in denen diese Bilder gleich Landkarten nicht ohne Furcht erschlossener und nur unter Bedrohungen zu betretender Gebiete hängen, schließen sich viele andere an, in denen gemäßigtere Temperaturen herrschen. Welche für die Gegenwart die wichtigeren sind, bleibe unerörtert; das ist Sache der Diskussion, nicht des Berichts, der nur mit Genugtuung jeden Zufluß an Macht und Fülle zu verzeichnen hat, den die Kunst unseres Landes erfährt.

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