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Der Mann der Ökumene

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WAS LUTHEB WIRKLICH SAGTE Von Gott- verständlich steht auch die mLZL* SSZZTJT ™deme

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WAS LUTHEB WIRKLICH SAGTE Von Gott- verständlich steht auch die mLZL* SSZZTJT ™deme

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In der Tat, es wäre interessant, Wirklich zu wissen, was Luther gesagt hat. Man weiß zu wenig, darüber. Vielleicht, daß er das Papsttum — in jenen Zeiten Inbegriff einer wahrhaftig reformbedürftigen, sich zugleich aber hartnäckig allen Reformen widersetzenden Kirche — mit groben Worten beschimpft hat. Vielleicht, daß er über die Juden in einer Art geschrieben hat, daß es sogar der „Stürmer“ abdruckte. Vielleicht auch noch, daß er den ehelichen Verkehr zweimal in der Woche für schadlos erklärte, was wiederum unter dem Thema Nr. 1 „Sex“ Illustrierte registrieren.

Man sollte mehr wissen. Gerade heute, wo die Frage nach dem christlichen Glauben von neuem radikal gestellt wird und wo der ökonomische Aufbruch nach der Ursache der Spaltung, nach der Berechtigung der Konfessionskirchen und nach dem Ziel der einen, sich wieder zusammenflndenden Christenheit fragen läßt. Kein anderer Name ist in der Konzilsaula so oft genannt worden wie der Luthers. Man sollte also im Bilde sein, was er wirklich gemeint und gewollt hat. Das ist nicht ganz leicht. Es ist mit ihm wie mit anderen großen und umfassenden Persönlichkeiten gegangen. Jede Zeit hat sich in bestimmter Weise in ihm wiedergefunden und hat darum ihr eigenes Lutherbild gezeichnet: Den „Aufklärer“, den Mann eines neuen frommen kirchlichen Establishments, den „teutschen Luther“ und so weiter. Selbstverständlich hat man für das alles in Luthers Schriften — es sind 450 Bücher, 3000 Predigten und 2600 Briefe — Belege und Bestätigungen gefunden oder zu finden gemeint, die im Grunde nur Selbstbestätigungen waren. Das war wohl nicht schwer. Denn es gibt kein Gesamtwerk eines Autors in deutscher Sprache, das auch nur annähernd so umfangreich und umfassend ist wie das Luthers. In der „Kritischen Gesamtausgabe“, der sogenannten „Weimarer“, ist der 100. Band in Großoktav erschienen.

Es war darum eine schwierige Aufgabe, aus dieser Fülle etwas zusammenzustellen, das in eine moderne Buchreihe paßt, wie sie der Molden-Verlag herausgibt: „Was sie wirklich sagten.“ Vielleicht ist Gottfried Fitzer gerade der richtige Mann, Luther selbst danach zu befragen. Der gebürtige Schlesier, evangelischer Theologe, seit 1950 Ordinarius für Neues Testament an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Wiener Universität, tritt dafür ein, daß wissenschaftliche Forschung und praktische Entscheidung Zusammengehen. Im Dritten Reich wurde er 1935 seiner Teilnahme am Kampf der bekennenden Kirche wegen verhaftet und verlor seinen Lehrauftrag. Auch In Österreich war er ln den letzten Jahren an der harten und wohl immer noch nicht ganz beendeten Auseinandersetzung um das, was eigentlich „Kir- chenieitung“ innerhalb der evangelischen Kirche ist, also an dem Ringen um ein Stück reformatorischen KirchenVerständnisses, stark engagiert Gottfried Fitzer hat das neue Lutherbuch nicht aus einem bestimmten Zeitverstfindnis heraus geschrieben. Natürlich, er hat Luthertexte ausgewählt. Wie sollte es anders geschehen? Aber er läßt Luther selbst ausgiebig und zu einer Fülle von Problemen zu Worte kommen. Durchschossen von kürzeren und längeren instruktiven und Informativen Zwischentexten. Selbst- historische Lutherforschung dahinter.

Das Buch beginnt mit dem irgendwie provozierenden Satz: „Luthers Thesenanschlag hat nicht stattge- funiden.“ Er geht damit von einer wissenschaftlichen Streitfrage aus, die kürzlich um die Art und Weise der ersten Veröffentlichung der berühmten 95 Thesen gegen den Ablaß und damit um den eigentlichen literarischen Anstoß zur Reformation geführt wurde. Es ist ein sehr lesbares und lesenswertes Buch daraus geworden. Das ist bei solch einem Unterfangen gewiß nicht selbstverständlich. Es wird dem Leser aber auch einiges abverlangt. So etwa in den ersten Abschnitten des Buches. Dort ist die Rede von der ganz persönlichen Erfahrung eines suchenden und ringenden Menschen, der in der geschenkten Zuwendung Gottes den Zugang zur Heiligen Schrift, zur persönlichen Gewißheit und zu einem neuen Glaubensverständnis findet. Hier entscheidet es sich auch, ob alles Weitere aus dieser eigentlichen religiösen Mitte heraus begriffen oder hoffnungslos mißverstanden wird. Und wo immer nun hineingegriflen wird in che Schriften Luthers, in seine grundlegenden reformatorischen Werke oder in kurze Briefnotizen, in die Fragen der bewegten Zeit und in die Entwicklung des Reformationsgeschehens, immer wird hier etwas von neuen Kategorien des Denkens, vom Anbruch einer kommenden Zeit, von der Geschichtsmächtigkeit der reformatorischen Erkenntnisse und auch ein Stück Menschlichkeit sichtbar.

Eines aber würde man hier vergeblich suchen: Luther als Kirchengründer, als Mann einer neuen Teilkirche der Christenheit, als Kämpfer für den Konfessionalismus. Das ist nicht drin. Weder in Luthers Kampf und Werk noch in seinen Schriften. Und darum auch hier nicht. Vielmehr ist Luther gerade darin der Mann der Ökumene, daß für ihn das Evangelium die erneuernde Kraft für die ganze Kirche Gottes ist. Er kommt überhaupt gar nicht auf einen anderen Gedanken. Darum sind Luther und die Reformation auch nicht eine Sache, auf die eine Kirche — etwa die evangelische — die Hand legen dürfte und an der eine andere — etwa die katholische — vorübergehen könnte, sondern vielmehr eine Herausforderung für die ganze Christenheit. Das jedenfalls liest man aus diesem Buch heraus.

Im letzten Abschnitt kommt wenigstens am Rande auch Österreich vor. Luther stand mit dem evangelischen Adelsgeschlecht der Jörger im Briefwechsel. Als die Gegenwirkungen gegen den evangelischen Glauben hier stärker wurden, schrieb er ihnen das schöne, mutige und ganz modern klingende Bniefwort, mit dem das Buch schließt, daß in den Dingen des Glaubens und der Freiheit jeder „sich selber wagen und sein eigenes Abenteuer bestehen“ muß.

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