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DER MEISTER DES GERICHTS

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Wer die Benediktinerabtei Admont im steirischen Enns-tal, umrahmt von einer gigantischen Gebirgsszenerie, besucht, ist vor allem fasziniert von der majestätischen Pracht des Prunksaales der Stiftsbibliothek, welche die ganze Hälfte des Osttraktes einnimmt. 130.000 Bände birgt dieser Raum, davon 1050 Handschriften und 610 Inkunabeln. Nur diese wundervolle Bibliothek mit den Handschriften und Inkunabeln blieb vor dem Brand verschont, der vor hundert Jahren das Stift verwüstete — die unbegreifliche Rachetat eines Bäckers.

Den plastischen Schmuck dieses mächtigen Raumes schuf der Bildhauer Josef Thaddäus Stammel, der als der bedeutendste österreichische Holzschnitzer seit der Gotik bezeichnet wird. Er wurde vor zweihundertsiebzig Jahren, am 9. November 1695, in Graz geboren, als Sohn des Bildhauers Josef G. Stämbl. Stammel — dies war die Schreibform des Namens, deren sich der Sohn zeit seines Lebens bediente — kam schon in früher Jugend nach Admont und wurde für das Stift gewonnen, das ihm auch einen Studienaufenthalt in Rom ermöglichte, wo er sich vor allem durch die gewaltigen Figuren Lorenzo Berninis inspirieren ließ. Die herrliche Landschaft des Ennstales mit ihren Bergen und Menschen, unter denen sich so manches Original befand, lieferte ihm viele Vorbilder für seine Plastiken.

Stammel ist ein Meister der Holzschnitzerei, dem Urwüchsigkeit, Ernst und Humor gleicherweise zu eigen waren. Die bedeutendsten Plastiken Stammeis befinden sich im Mittel-raum des Prunksaales. Sie stellen die vier Letzten Dinge dar. Jene Gruppe, in welcher der Mensch, als Erdenpilger dargestellt, vom Tod ereilt wird, ist von dramatischer Wucht. Freund Hein, in der Gestalt eines menschlichen Skelettes, hält die hoch erhobene Rechte mit der Sanduhr über den Wanderer. Die Linke umfaßt den Todespfeil, denn „rasch tritt der Tod den Menschen an“. Der Pilgerstab entsinkt seiner Hand, das Gesicht zeigt einen ernsten und erschreckten Ausdruck, der Körper macht eine schwach ausweichende Bewegung. Zu Füßen des Pilgers läßt Stammel einen seiner kleinen Engel (über die noch zu sprechen sein wird) nach Kinderart mit Seifenblasen spielen — die Kürze menschlichen Glücks und irdischer Freude symbolisierend —, während ein zweiter Engel eine zerbrochene Kerze und ein leeres Schneckengehäuse — die Symbole des Todes und des entseelten Körpers — in Händen hält.

Wenden wir uns der wichtigsten Plastik des Raumes, dem Gericht, zu: Ein schöner Jüngling erwartet den Ausgang des Streites zwischen Himmel und Hölle, der um seine Seele geführt wird. Der Höllenbote ist mit humorvoller Drastik charakterisiert. Auf dem Rücken das Schuldbuch, in der Rechten einen Federkiel tragend, einen Zwicker auf die Nase geklemmt, so kauert er zu Füßen des Menschen. Ein Putto meldet mit der erhobenen Rechten seine guten Taten.

Die effektvollste Plastik des Raumes ist zweifellos die Hölle. Sie ist durch die sieben Todsünden versinnbildlicht. Die Hauptfigur ist der Zorn. Ein Mann mit verzerrtem Gesicht zückt einen Dolch, in der Rechten hält er einen Schlangenring, das Sinnbild ewiger Verdammnis. Die Viper an der Brust wollen die einen als das Symbol des Zornes, die anderen als einen „Wurm, der nicht stirbt“, nämlich das Gewissen, gedeutet sehen. Der Mann reitet auf einem gehörnten Tier, das einem Ziegenbock ähnelt und die Sünde darstellt, mit fledermausartigen Flügeln, Sinnbild der Nacht. In kleineren Büsten erkennen wir die Vnmdßigkeit, die Hoffart, den Geiz und den die Zähne fletschenden Neid. „Denn hat das Glück ein Haus gebaut, Der gelbe Neid ins Fenster schaut Und siedelt sich daneben.“ Eine verkleinerte Nachbildung eines Nilpferdes auf dem Haupte eines Schlafenden bedeutet die Trägheit. Die Basis der Gruppe ist der Rachen eines Ungeheuers, aus dem die züngelnden Flammen hervorbrechen; der Höllenschlund, dem die Sünden entsprossen sind und in den sie hineinführen. Von charakteristischer Eigenart ist der Gesichtsausdruck der Gestalten und Büsten, zum Beispiel jener des Schlemmers, des Faulen und das geistlose Gesicht der Hoffart. So ist beispielsweise die Hoffart als Frauenbüste mit eitlem Schmuck um den Hals und auf dem Kopf einem Pfau, der ein Rad schlägt, als das Bild des Stolzes und der Eitelkeit dargestellt. Die Trägheit wird symbolisiert durch ein schlafendes Kind mit Nachtmütze und kleinem Nilpferd auf dem Haupt, der Geiz als ein Mann mit Hakennase und abgemagertem Gesicht, den Kopf mit einer Mütze bedeckt, die mit Dukaten geziert ist. Ebenso hängen um seinen Hals Geldstücke, als echter „Geizkragen“. Daneben der Neid als fledermausartiges, fratzenhaftes Tier, die Zunge herausstreckend und begehrlich auf die Goldmünzen des Geizigen schielend. Die Unmäßigkeit schließlich: ein Schlemmer mit versoffenem Gesicht, die Schnapsflasche zum Munde führend, während über seine Schultern Würste hängen. — All diese Sünderfiguren scheinen in den Rachen eines drachenähnlichen Ungeheuers zu stürzen, aus dessen Schlund die ewigen Höllenflammen emporlodern. Eine „Höllenfahrt“ voller volkstümlicher Symbole.

Stammeis Admonter „Gericht“ und seine „Hölle“ wurden in der Pariser Weltausstellung des Jahres 1937 gezeigt, was allein schon ihren hohen künstlerischen Wert dokumentiert.

Auch das Benediktinerstift Seitenstetten im westlichen Niederösterreich besitzt acht Reliefs Stammeis, von denen besonders Der Verrat des Judas hervorzuheben ist. Es handelt sich hier um eine höchst eigenartige Darstellung: kein ölberg, kein Engel mit dem Leidensbecher. Jesus steht mit Petrus und Judas im Vorhof eines prächtigen Gebäudes, wo auch ein Springbrunnen seinen Strahl emporsendet, im Hintergrund sieht man eine Phantasielandschaft, einen Meeresstrand mit einer Stadt, Felsengebirge mit einem Vulkan, auf dem Meer Schiffe und den Koloß von Rhodos. Von rechts ist aus einem Garten mit Zypressen eine Kriegerschar, geführt von einem Knaben mit einer Laterne, eingetreten. Jesus scheint zu fragen: Mit Schwertern und Knütteln rückt ihr gegen Mich aus wie gegen einen Mörder? Judas hat sich in demütig-heuchlerischer Haltung genähert. Petrus zieht mit einem fragenden Blick vom Leder. Seitwärts links drücken Jakobus und Johannes Angst, Furcht und Jammer aus und scheinen sich davonmachen zu wollen. Der Vordergrund zeigt uns eine Schafherde, links davon einen schlafenden Hirten, rechts einen wachehaltenden Hund. In der Ecke rechts hockt eine Gestalt, halb Tier, halb Mensch, mit gehörntem Sohweinskopf und Bockfüßen, in einer Hand einen Geldbeutel, in der anderen einen Spieß, eine Teufelsgestalt, ähnlich jener, wie man sie von einigen Dürerischen Holzschnitten kennt. Fledermäuse charakterisieren die Gestalt als der Hölle entstammend.

Auch die nahe von Admont gelegene Wallfahrtskirche Frauenberg birgt zwei weinende Grabesengel, über deren Entstehung man sich folgende Anekdote von Stammel erzählt: Er bemühte sich vergeblich, dem modellstehenden Knaben ein recht betrübtes Gesicht abzugewinnen. Endlich riß ihm die Geduld und er versetzte dem Buben eine mächtige Ohrfeige. Da habe der Knabe furchtbar geheult, der Meister jedoch hätte entzückt das Gesicht des Engels modelliert.

Einen eigenen Reiz üben mehrere von Stammeis Werken durch den Humor auf den Beschauer aus, mit dem er da und dort eine Gruppe zu beleben weiß. So hat er zum Beispiel ein streitendes Brüderpaar im Konvent, Amadeus und Willibald Grißenböck, mit Anspielung auf den Namen durch stoßende Böcke verewigt. Auch die Porträtstatue des Zwerges Oswald Eibegger soll nicht unerwähnt bleiben. Ein geniales Stück voll shakespearsohem Humor ist der in der linken Ecke der Sakristei kauernde und vor Vergnügen grinsende Hirte, einer jener seligen Armen im Geiste, deren man damals in Admont sicherlich mehr finden konnte al heutzutage.

Stammel dürfte in der Zeit, da er sein Atelier in Frauenberg aufgeschlagen hatte, die steinernen Heiligenfiguren des St. Joachim und St. Benedikt, die in der Allee zum Kal-varienberg stehen, geschaffen haben. Auch auf die zwei anmutigen kleinen Engel beim Heiligen Grab, wovon der eine weinend ein Taschentuch vor das Gesicht hält, sei in bezug auf die früher erwähnte Anekdote hingewiesen.

In die nächste Zeit fällt die Restaurierung der Kirche in St. Martin bei Graz, der Heimat des Künstlers, wo Stammel Gelegenheit erhielt, den Einfall Raphael Donners, auf den Hochaltar des Domes zu Preßburg eine Kolossal-Reiter-statue zu setzen, dadurch zu übertrumpfen, daß er gleich drei Rösser anzubringen wußte, so daß bei deren Anblick ein hoher Kirchenfürst ausgerufen haben soll: „Bin ich denn in einen Roßstall geraten?“

Eine reiche Ausbeute für den Stammel-Forscher bietet die Kirche zu Kallwang im Kaltental. Hier sei vor allem auf die reizende Weihnachtskrippe, die man als Vorarbeit für die größere Admonter Krippendarstellung ansehen kann, hingewiesen. Ferner fesseln zwei Kreuzwegstationen die Blicke des Betrachters. Nahe dem Ausgang des Kaltentales, in St. Lorenzen, haben sich noch zwei kleinere Arbeiten des Künstlers erhalten. Eine Vision des heiligen Bernhard, die, ähnlich wie bei Murillios „Engelküche“, ein Mönch belauscht, die andere die Legende des heiligen Franziskus von Assisi darstellend, wie der Gekreuzigte mit einem vom Kreuz losgelösten Arm den andächtig wartenden Mönch empfängt. Dieser wird manchmal auch als St. Benedikt angesprochen.

Das letzte datierte und mit dem Monogramm Stammeis versehene Werk ist eine Geburt Christi, welche jetzt an der Mensa des Altares der Betchor-Kapelle in Admont angebracht ist. Es sollen vier solcher Reliefs vorhanden gewesen sein, wovon eines die Hochzeit zu Kana darstellt. Drei davon sind seit 1865 verschollen. Vielleicht sind sie beim großen Brand zugrunde gegangen oder verschleppt worden. Auch das noch Erhaltene war in Stücke zerbrochen. Es trägt die Jahreszahl 1764, stammt also aus dem vorletzten Lebensjahr des Künstlers und zeigt eine bedenkliche Abnahme der Phantasie und des künstlerischen Geschmacks.

Ein großer Schätzer der Kunst Stammeis, der Schriftsteller Rudolf Jeremias Kreutz, hat Leben und Wirken dramatisch gestaltet, und diese Diohtung harrt noch immer ihrer Uraufführung. — Die Sterbematrikel nennt Stammel einen famosus statuarius in monasterio nostro, einen ausgezeichneten Bildhauer unseres Klosters. Zu seiner persönlichen Eigenart passen die Verse, die ihm ein Zeit- und Stiftsgenosse gewidmet hat:

Eß ist erlaubt in schertz, waß wahr ist, vorzubringen, durch vorwitz, in daß hertz, was nützlich, kan eintringen. Wer recht suecht, alles findt, lieb der tugent, haß der sint. Dan wer dieseß alleß hat, lebt und stirbt in Gotteß gnad.

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