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Der Mensen Job redet zu Gott

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Herr, Du bist wie eine Sonne, die dunkle Geheimnisse ausstrahlt. Alles, was Du bescheinst, wird zum Geheimnis. So bin ich, um Deinetwillen, mir selbst zum Rätsel geworden. Daß ich auch von mir selbst nichts mehr weiß, ist das ein Zeichen, daß ich Dir schon sehr nahe gekommen bin?

Ob mein Leben einen Sinn hatte? Es ist ja mein einziges, unwiederbringliches Leben. Und wie habe ich es geliebtl Und ich liebe es noch. Ich war bekümmert um jede Stunde, die mir ungenützt zu verrinnen schien. Ich bin doch immer geizig gewesen. Wenn ich von köstlichem Wein einen Tropfen verschüttet hatte, war ich traurig; und wenn ich eine Stunde oder einen Tag meines Lebens verschüttet zu haben glaubte, war ich schier untröstlich. Aber warum lebte ich eigentlich dieses Leben? Weißt Du es? Es wäre mir genug, übergenug, o bis zum Herzbrechen würde ich frohlocken, wenn mein Leben den Sinn gehabt hätte, den Du ihm gegeben von Anfang an, und wenn Du darum weißt. Ich weiß es nicht.

Wußte ich denn selbst, was ich überhaupt wollte? Alle meine Ziele lösten sich in nichts auf, entblätterten sich wie eine überreife Blume; ein Blütenblatt um das andere flattert haltlos weg. Meine Ziele wurden immer weniger, immer einfacher und immer bescheidener. Eines nach dem andern habe ich selbst preisgegeben. Habe ich irgendeinen Kern in den Händen behalten?

Nein, ich wußte nicht, was ich eigentlich wollte. Schon die Stimmungen meines Herzens waren mir rätselhaft. Diese ewige Unrast! Dieses unstillbare Sehnen! Dieses Fortwollen! Von Sterbenden habe ich gehört und gesehen, daß sie immer fort wollten. War ich denn mein Leben lang ein Sterbender? Immer wollte ich anderswohin, irgendwohin. Wenn ich zu den Menschen ging, trauerte ich schon auf dem Weg um meine verlorene Einsamkeit. Und wenn ich allein saß, hatte ich Heimweh wie nach einem verlorenen Geliebten.

Ich wollte den Menschen dienen, wenigstens einigen. Ja, das wollte ich. Das war ein Lebensziel, an das ich mich bis auf den heutigen Tag geklammert habe. Ich hielt es für wertvoll. Aber habe ich ihnen wirklich gedient mit meinem Dienst? Ich wollte die Gebundenen zur Freiheit führen, wußte aber selbst nicht recht, ob ihnen die Freiheit gut tue. Wenn ich ihnen wohlgetan hatte, sah ich, daß sie davon nur verwöhnter und anspruchsvoller geworden waren. Und wenn ich streng und abweisend gegen sie war, fühlten sie sich gekränkt, glaubten sich um ihr Vertrauen betrogen und schlugen ihre Türen vor mir zu. Sie wurden schlechter durch meine Strenge und sie wurden unfreier durch meine Güte. Was war nun das Richtige?

Es schien mir in Stunden der Helligkeit der inneren Freude und der Erleuchtung, wie ich glaubte, daß Deine Liebe meine Mission sei und die Sendung, die Du mir gegrben. So wie Du sie Deinem Sohn gegeben hatte, den Du gesandt hast. Und ich meinte, daß Du mir auch die Gnade und die Kraft zur Liebe gegeben hast. Es gab auch wirklich Menschen, die mir dankten und mich gut nannten und sich freuten über mein Kommen und weinten ob meines Fortgehens. Sie sagten, ich sei ihnen zu einem Licht und zu einem Lebenscruell geworden. Aber es gab auch andere, die mich scheuten oder gar verabscheuten oder verachteten, Wer hatte nun recht?

Ich sah auch selbst immer wieder die Leere meines Herzens. Daß es tot war und daß keine Liebe darin blühte, außer für ein paar Menschen, die Du mir besonders ans Herz gelegt hattest, die zu lieben Du mich gezwungen hattest durch die Gewalt Deiner heiligen Einsprechung. Ja, es gab wirklich Menschen, die ich liebte — das weißt Du. Und ich darf es vor Dir bekennen. Das war echt und gut. Aber alle übrigen waren mir eigentlich gleichgültig, ja die meisten habe ich gefürchtet wie eine Gefahr. Ich floh sie und ging ihnen aus dem Wege. Das hielt ich für sehr klug und weise. Dann zog ich auch, die mir lieb waren, hinweg aus der allzu großen Nähe der menschlichen Flut. Sie konnten darin ertrinken. Das ewige Leid und das endlose Hilfegeschrei der Menschen hat mich schließlich ermüdet, und ihre Kümmernisse, denen ich so ratlos und ohnmächtig gegenüberstand, bedrückten mich. Ich hätte sie wohl geliebt, wenn sie alle fröhlich und gesund und glücklich gewesen wären, wenn sie einen Schein von Sonne auf mich geworfen hätten. Ja auch einen Schein von Herrlichkeit und Ehre und Erfolg. Das merkte ich wohl. Dann schalt ich mich selbstsüchtig, habe es aber nicht geändert. Ich habe mich selbst abscheulich gefunden und wußte doch, daß ich nie anders sein werde. Daß ich vielleicht gar nicht anders sein dürfe. Denn hätte ich mich den Menschen so hingegeben, wie sie es wollten und brauchten, hätte ich mich einer maßlosen Unklugheit schuldig gemacht. Ich mußte doch die Liebe, die Du mir für sie gegeben hast, tropfenweise verteilen, in kluger Berechnung. So habe ich den Hunger und Durst der Ärmsten vermehrt, statt gestillt. Hätte ich aber mehr gegeben, wären sie trunken geworden und hätten getobt wie Betrunkene. Hätten mich in ihre trunkenen Arme gerissen und mich hinabgezogen in eine Tiefe, wo überhaupt keine Güte mehr möglich ist.

Ich weiß es nicht. Was wohl meine innerste Gesinnung taugt? Wenn ich auf meinen Weg zurückschaute, von mir aus, von dem Punkt aus, Wo ich allemal stand, dann war es ein Weg ohne Dich, ein Weg von Dir fort, ein Abweg und ein Irrweg. Aber wenn ich von Dir aus zurückschallte über meinen Weg hin, den ich gegangen, dann war es ein Gehen an Deiner Hand. Es war, als ob ich von Deinem Spiegelbild weggegangen wäre, nach rückwärts. Es schien mir, als ob ich mich von Dir entferne und kam Dir doch immer näher, rückwärts gehend. Ich habe gesündigt und war doch Dein Werkzeug, ich war Dein Bote auch in meiner Lüge. Du hast in mir gewirkt, auch wenn ich mich herausnahm, was unmöglich von Dir sein konnte — wie man mir sagte.

Von einer Seite gesehen, ist alles, was ich tat, lau und träge, schlecht, selbstsüchtig, eitel und genußgierig. Aber von der anderen Seite gesehen, war es Fleiß, Tätigkeit, Opfer, Güte und Erbarmen. Welches ist nun die richtige Schau auf mein Leben? Es kam mir schon der verwegene Gedanke, daß Du einen Menschen führst — entgegen Deinen eigenen Weisungen. Es war mir zuweilen, als ob Du die Unlauterkeit meines Herzens gewollt hättest, weil Du sie brauchtest, um Lauteres daraus zu machen. Ich habe den Aussprüchen und Meinungen meines Gewissens zuwidergehandelt, zitternd und zagend — und habe es doch getan. Und nachher fand ich, daß ich recht gehandelt hatte, daß ich etwas Gutes gewirkt hatte. Wenn ich aber je versuchte, ganz getreulich und pünktlich und folgsam zu sein wie ein wohlerzogenes Hündchen, dann erwies sich mein Tun oft als unfruchtbar und dürr und leer, wie gedroschenes Stroh. Ich war ängstlich und habe mich doch über meine berechtigten Bedenken hinweggesetzt. Ich war kühn und verwegen und hatte dabei nicht den kleinsten Mut zu mir selbst und am allerwenigsten vor Dir.

Hast du je in mir gebrannt wie ein Feuer? Habe ich je von Dir geglüht wie von einer zehrenden Flamme? Bin ich je einen Schritt aus mir hinausgegangen, aus Liebe zu Dir, ein Verschwender und ein Tor um Deinetwillen, wie Liebende es zu sein pflegen? Ja, ich wollte es sein, immer, aber ich war auch dafür allzu geizig. In immer neuen Gestalten bist Du mir erschienen, und ich habe nach allen die Arme ausgestreckt — und doch hatte ich immer eine heimliche Scheu, Dich wirklich zu finden und Dir allein mich auszuliefern. Immer neue Wege zu Dir hast Du mir gewiesen, aber wenn ich sie wirklich einmal ging, führten sie mich weiter von Dir fort — wie es mir schien. Habe ich das gewollt oder hast Du es so gefügt? Ich bin kälter und kälter geworden in meinem Herzen, aber die Leidenschaft zu Dir barg sich unter der Asche und ward immer heißer und heißer. Ich kann nur noch bange sein, wenn ;ch an Dich denke. Ich weiß doch nicht, wie alles gewesen ist.

Und wie denkst Du über mich? Ich weiß auch das nicht und das am allerwenigsten. Bin ich je so gewesen, daß

Du mich lieben konntest? Zuweilen schien es mir, daß Deine Hand mich leite und daß Du mich wohl gebrauchen könnest. Aber Du hast schon manches erlesene Werkzeug gebraucht und dann doch zerbrochen und weggeworfen. Was wirst Du mir also sagen, wenn ich zu Dir komme? Wie werde ich bestehen vor Dir? Ach, so lange hast Du geschwiegen! Wenn Du nun endlich einmal redest! Was hat in so langem Schweigen sich vorbereitet? Ein Gewitter und ein brennender Zorn oder eine heiße Sonne und ein schöner Morgen? Immer bist Du in der Ferne gestanden, hinter den Dingen. Wenn Du nun einmal mir entgegentrittst, von Angesicht zu Angesicht...!

Ich kann den Gedanken nicht fassen, daß ich je ewig von Dir gehen soll. Aber wenn Deine Heiligkeit und Gerechtigkeit es verlangt---ich werde in alle

Ewigkeit darüber weinen, wenn ich Dir ewig mißfallen sollte. Aber Deiner Weisheit und Güte wird auch so Genüge geschehen. Deine Engel und Heiligen, die mich in der Ferne und Finsternis irren sehen, werden sagen: Heilig bist Du, o Herr, heilig, heilig! Und gerecht sind Deine Gerichte. Und kein Unwürdiger darf Dir nahen.

Heute und morgen und solange ich noch einen Atem habe, will ich Dir sagen: Dul Mein Dul Mein Gott! Um Dich bin ich gelaufen. Sollte ich Dich doch verlpren haben? Du warst mein Anliegen allezeit, aber mein Herz war schwach und vermochte Deine Last nicht zu ertragen. Du aber hast mich getragen, allezeit, Du Erbarmenderl Ich habe mich oft verlaufen, Du aber hast mich immer wieder gefunden. Du kennst doch alle meine Wege, die ich lief, und alle Schluchten, in die ich stürzte.

Ich kenne mich nicht. Mich selbst habe ich ganz gewiß verloren. Aber Du wirst mich wiederfinden, wo immer es sei.

Du bist, der Du bist. Der Notwendige, der Allgütige und Ewige. Auf Dich allein kommt es an. Und ich sage dazu Amen! So sei es! Du sollst sein, Du sollst sein, der Du bist.

Und alles, was in Dir ist, Dein Geheimnis, Deine Unbegreiflichkeit, Deine unabsehbare Weite, Dein unnahbares Licht und Deine Nacht: Amenl Es seil Du bist groß und mächtig, alles vermagst Du, weil Du der Liebende bist — Amenl Aber Du bist auch fern und schweigend, Du bist heilig und fruchtbar. Ich sage Amen zu allem, was Du “bist. Du sollst es sein, auch wenn ich davor zittere und wenn ich weinen möchte, daß Du so bist.

Ich neige mich vor dem Gesetz Deines Wesens, ich falle auf mein Angesicht, wo immer ich mich vor dem Gebirge Deiner unerbittlichen Majestät finde. Du reichst in Höhen, die ich nie ersteigen werde, und in Fernen, die nicht enden, die immer weitergehen. Aber ich sage: Amenl Amenl Es seil Du mußt sein, der Du bist!

Aus Der Mensch Job redet mit Gott, Verlag Ars sacra, München.

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