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Der Mond deckt den Rückzug

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Der Mann am Mond ist Amerikaner, der Amerikaner in Asien versucht die günstige Situation auszunützen und sich im gleißenden Mondlicht — und dennoch scheinbar unbemerkt — abzusetzen. Richard Nixon weiß die Zeichen der Zeit und die Gunst der Stunde offenbar richtig zu verwerten. Unter dem Motto „Asiens Kriege den Asiaten“, wenn auch viel vorsichtiger formuliert und hinter wohltönenden Phrasen versteckt, bereitet der USA-Präsident die Epoche des stillen Amerikaners in Fernost vor. Und nützt geschickt den Glorienschein wissenschaftlich-technischer Färbung, der nun über dem Sternenbanner und dessen Repräsentanten schwebt. Wenn Nixon etwa in Djakarta von einer „Zusammenarbeit mit der indonesischen Republik auf der Grundlage gemeinsamer Tugenden und Ideale und nicht auf der Basis von Bündnisverpflichtungen“ spricht, wenn er an die Japaner appelliert, sich ihrer Rolle als führende Industriemacht bewußt zu werden und gleichzeitig seinen Staatssekretär Rogefrs mit der heiklen Mission be-trauit, in Seoul, Taiwan, Canberra und auf Neuseeland Verständnis für die künftige Rückzugspolitik der USA zu erheischen, gibt er Pekings „Papiertigerthese“ kräftige Nahrung und läßt Hanoi den Traum von einem bald vereinten Rotviertnam konkrete Formen annehmen. Die Truppenreduktion in Vietnam, aber auch in Thailand, Vorstufe zu der von Nixon angestrebten militärischen Autonomie der durchwegs instabilen Staaten Südostasiens, fällt zusammen mit der von Generalstabschef Earle Wheeler prophezeiten Augustoffensive von „Charlie“, der die Bezeichnung „Victor“ dann endgültig verdienen will. So sprach Wheeler, gleichsam als Kommentar zu der lakonischen Meldung, daß der 1240. US-Hubschrauber der roten Flak zum Opfer fiel, von einer „Stille vor dem Sturm“. Die Ankündigung, daß der Welt-polizist um seine vorzeitige Pensionierung angesucht hat, stärkt natürlich das Selbständigkeitsstreben in jenen Ländern, die bis dato unter dem Trauma der Bevormundung lebten. Und stärkt wahrscheinlich auch das Selbstvertrauen von Pekings Agenten, ihr Liebeswerben um so nachdrücklicher fortzusetzen. General Suharto in Djakarta weiß davon zu berichten, in Rawalpindi spielt man bereits seit geraumer Zeit mit dem roten Feuer, und der hilflose Gigant Indien wird auf der Suche nach einem eigenen Weg noch leichter stolpern.

Aus Laos erklingit der fenmer lauter werdende Hilferuf Souvanna Phoumas, dessen Truppen von 60.000 Nardvietnaimesen der Atem abgeschnürt zu werden droht; der von seinem Halbbruder Souphan-nouvong hart bedrängte neutralistische Premierminister hat von Nixons Erklärung, daß die Vereinigten Staaten eine „pazifische Macht“ bleiben würden, nicht einmal eine moralische Stütze. Mit der in Manila abgegebenen Versicherung, Asien in Hinkunft vor allem „materielle Hilfe“ leisten zu wollen und auf personelle Unterstützung weitgehend zu verzichten, sprach der US-Präsident ganz nach dem Geschmack der zahlreichen korrupten

Spekulanten, für die eine neue Blütezeit anzubrechen verspricht. Wenn Nixon, der „nach Asien gekommen ist, um den Frieden zu suchen“, seine Zickzackpolitik — Zugeständnisse und gleich darauf gemachte Abschwächungen — als geeignet ansieht, „durch Reisen auf der Erde eine bessere Welt aufzubauen“, so ist der Wunsch der Vater des Gedankens, den hoffentlich die asiatische Wirklichkeit nicht ad absurdum führen wird. Dies alles wird verdeckt von den überwiegend positiven Kommentaren in der westlichen Presse, die ebenso wie Nixons außenpolitischer Mentor, Henry Kissinger, von der Dominotheorie recht wenig überzeugt ist. Oder zumindest angesichts der zu erwartenden Befreiung der USA von ihrer unerwünschtesten Last des letzten Jahrzehnts lauter klingen als die wenigen Kassandrastimmen. Unter ganz anderen Vorzeichen als die Blitzbesuche in sechs asiatischen Staaten, die kaum zu sogenannten Arbeitsgespräohen führen können, steht der Sondierungsversuch bei des Warschauer Paktes eigenwilligstem Mitglied. Während aus des Kremls schelen Augen — sieht man von der Absage des geplanten sowjetischen Besuches in Bukarest ab — noch keine artikulierte Reaktion abzulesen ist, polterte Fidel Castros whiskytremolierende Stimme von einer „Spaltung des sozialistischen Lagers“, dementiert Washington verbissen den sowjetischen Flottenbesuch vor Kuba als gezielte Reaktion der UdSSR, beteuert Nixon, daß keineswegs eine antisowjetische Geste vorläge.

So geht auch die allgemeine Meinung dahin, daß der amerikanische Präsident lediglich einen Versuchsballon starten, einen Seismographen, der hoffentlich präziser arbeitet als derjenige auf dem Mond, aufstellen möchte. Sensationen dürfen jedenfalls von dieser außenpolitischen Pioniertat keine erwartet werden, wenngleich der von einem russischen Diplomaten zitierte osteuropäische Volksspruch: „Hier ein funkelndes Nichts, greif gut zu und halte es fest!“ Ausdruck eines gewissen ratlosen Understatements oder lauerndes Abwarten sein soll. Auf der Tagesordnung wird politische Schonkost serviert; die Aufzählung umfaßt ewige Gemeinplätze der Weltpolitik; etwa „die allgemeine internationale Lage“, „die Probleme des Friedens“, selbstverständlich „die Ost-West-Beziehungen“ sowie „bilaterale wirtschaftliche Relationen, wie wir sie sehen“, hört man von maßgeblicher Seite aus Washington. Dennoch entbehren auch diese vagen Programmpunkte keineswegs jener politischen Brisanz, die dort aufzutreten pflegt, wo gegensätzliche Meinungen um einen gemeinsamen Nenner ringen. Darüber hinaus wird man um die Deutung, daß es sich bei Nixons angedeuteter Ostoffensive um eine zwar späte, dafür aber umso notwendigere Antwort auf die Breschnjew-Doktrin handelt, wohl nicht herumkommen. Auch nicht in Bukarest, wo man jedes Wort auf Moskaus Goldwaage legen wird. Ein gefährlich glattes Parkett, auf dem auch so gewiegten diplomatischen Tänzern wie Nixon und Ceausescu zu wünschen ist, daß ein etwa gewagter Sidestep zu keinen Komplikationen führen wird.

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