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Der Mondregenbogen

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Es war eigentlich nur eine arme, dürftige Hütte, die Freund Karl sein eigen nannte, und der rundherum angelegte kleine Garten bot keinerlei Blumenpracht und verströmte keine süßen Düfte, aber das Kraut gedieh prächtig darin und auch die Erdäpfel brachten eine reiche Ernte. Trotzdem fanden wir uns, wenn er uns hin und wieder einmal ein- hid, gerne bei ihm ein und verbrachten einen gemütlichen Abend in seinem Garten oder in seiner Hütte.

Meist waren wir zu viert. Wir kannten uns von Jugend her, aus unserer goldenen Lausbubenzeit, die wir noch nicht ganz vergessen und — auch noch nicht ganz verloren hatten. Eben weil wir Männer geworden waren.

Es konnte uns auch gar nichts ausmachen, wenn es der Wettergott einmal nicht gut meinte, wenn er ein solches Zusammentref fen mit einem kalten Nordsturm anblies und zeitweise seine Regenschleusen öffnete.

„ Auch heute war es wieder einmal so. Die Hütte wackelte unter den Sturmstößen und hin und wieder prasselte ein Regenschauer auf das Dach. Karl zündete in dem kleinen Kanonenofen ein Feuer an, das kräftig rauchte und uns so die Einbildung gab, daß es auch wärme. Da konnte man wieder einmal erkennen, was eine gute Einbildung wert ist. Als es dann schließlich dämmerig wurde und Karl die ebenfalb qualmende Petroleumlampe anzündete, fühlten wir uns so behaglich und gemütlich wie einst einmal, wenn wir uns als Buben an solchen Abenden irgendwohin verkrochen hatten und — Geschichten erzählten.

Und dies taten wir auch heute noch. Wenn wir aber damals unsere Phantasie anstrengen mußten, um Geschichten zu erdichten, so hatte uns mittlerweile das Leben soviel'im Schicksalsland herumgeführt, daß wir uns nur an irgendein Stück etwas absonderliche Wirklichkeit erinnern brauchten und eine Geschichte war fertig, die es mit jedem Produkt der reinen Phantasie leicht aufnehmen konnte.

Heute war Erwin an der Reihe, zu erzählen. Gerade er konnte dies auch wie kein anderer von uns, trotzdem er ansonst der Schweigsamste und Verschlossenst war und lieber in Wort zuwenig als ine zuviel sagte. Er erzählte auch keine spannenden, aufregenden Geschichten, doch jede von ihm war von so einer seltenen Eigenart, so wirklich und doch unwirklich und so leise eindringlich, daß man sie nicht nur nie mehr vergaß, sondern nachher auch glaubte, sie selber erlebt zu haben.

Draußen schrie der Nordsturm, und hin und wieder prasselte ein Regenschauer auf das Dach. Der Ofen qualmte, die Lampe raudite, ihr müdes Licht machte nur die Schatten lebendig. Und Erwin erzählte:

„Es gibt Dinge, von denen man glaubt, daß es sie nicht gibt, auch dann noch, wenn man sie erlebt hat. Es ist jetzt schon wieder über sechs Jahre her, da lag ich alls Funker an der bretonischen Küste. Oben auf einem Berg hatten wir eine Hütte, ähnlich wackelig und armselig, wie diese da, und inwendig genau so wohnlich und behaglich.

Rund um diese Hütte war ein hohes Kak- tusdickicht, daß man sich hätte einbilden können, man lebte am Wüstenrand, aber wo der Kaktus aufgehört hat, dort ist ganz dunkelgrüner Ginster gestanden, der so goldgelb blüht, daß das ganze Land davon lichter und freundlicher wird.

Die Bretagne ist ein eigenartiges Land. Wenn du schaust, dann siehst du hundert Berge und auf den hundert Bergen hundertmal hundert Hecken. Jetzt triffst du auf einen blütenvollen Heckenrosenstrauch und zwanzig Schritt weiter auf einen Lorbeer- busdi, hier wächst der Liguster und gegenüber stehen glänzend hartblätterige Maho- niasträucher. Der Süden kommt weit herauf und der Norden ist emst und herb wie sonst.

Oben, an der Ecke von Brest, trifft sidi die kürzere Kanaldünung mit der langen, schweren Atlantikdünung, und den Golfstrom glaubt man manchmal als blaueren Streifen darin zu sehen. Nach Süden, der Bisnaya zu, sieht man an heiteren Tagen den Himmel immer blauer und tiefer werden. Die ganze Landschaft dort heißt ,Finis- terre', und hin und wieder hat man auch so ein Gefühl, als war man am — ,Ende der Erde . Früher einmal wird man das ja auch wirklich geglaubt haben.

Es war ein Tag, ähnlich wie der heutige. Von der Biscaya hat ein Sturm heraufgeblasen, daß man die Brandung kilometerweit gehört hat, und die zeitweiligen Regenschauer haben das Land flachgedrückt.

Zwei Mann sind am Funkgerät gesessen, zwei haben geschlafen und ich hab keine richtige Ruhe in mir gehabt. So niederträchtig schlecht das Wetter auch war, es hat mich irgendwie doch hinausgetrieben, obwohl es doch schon finster gewesen und die feuchte Kühle unangenehm in die Hütte hereingekrochen ist.

Als der Sturm sich irgendwo gerade eine Weile ausgerastet hat, bin ich hinaus vor die Hütte. Und ich hab es gleich im ersten Augenblick nicht bereut.

Unsere Hütte ist, wie ich schon gesagt habe, auf einer der dort zahllosen Bergkuppen oben gestanden. Muß einmal Meeresgrund gewesen sein, das ganze Land hier, denn bei aller Bergigkeit wirkt es doch geschleift, trotz aller Unebenheit irgendwie flach. Der Blick nach Westen hinaus war weit offen.

Im Osten ist in halber Himmelshöhe in voller, nur ein ganz klein wenig schiefge- sichtiger Mond gestanden, der ist zwischen zwei langen Wolkenbänken dahingeschwom- men, so gemütlich, wie wenn er ein Jahrhundert Zeit hätte.

Auf See draußen aber ist eine Regen wand gestanden, di war noch schwärzer als die Nacht, und das Meer darunter hat in Millionen und Abermillionen kleinen, bleichen Zuckungen geleuchtet. Der Kamm der Regenwand war ein gezackter Silbersaum, über dem, wie Funken aus ihm, einige Sterne gestanden sind.

Diese Nacht war ein Stück andere Welt. Im Kaktusdickicht war es ruhig, und nur im Ginsterrand hat es ganz, ganz leise gewispert. Der Mond hat eine geschwollene Backe gehabt und ist zwischen zwei Wolkenufern gemächlich zur Himmelsmitte heraufgeschwommen.

Da ist auf einmal draußen auf See etwas geschehen. Idi hab ine Weile gebraucht, bis idi draufgekommen bin, was eigentlich. An der Kimmung draußen ist zuerst das bleiche Leuchten erloschen, und dann ist es näher her vergangen, immer näher her — im Meer ist es Na ht geworden. Ein Regentuch hat sich auf sein Leuchten gelegt.

Aber vom Osten ist der Mond heraufgekommen, höher und höher, langsam und unaufhaltsam.

Und dann — — — Ober dem erloschenen Meer und hinter dem plötzlich wieder aufschreienden Sturm, unter dem Himmel voll verlorener Sterne, hat es zu leuchten angefangen, aber nicht ganz bleich, nicht kühl und fröstelnd, sondern weither, wärmer und mit einer Ahnung von Farben: rot, gelb, grün, blau und sogar eine Spur lila.

Ich hab geglaubt, idi träume. Und hab doch gewußt, daß idi wach bin, daß ich vor der Hütte eh und schau, und — seh einen breiten, aus dem dunklen Meer kommenden, sich zum Himmel hinaufwölbenden und wieder zum erloschenen Meer absin- kenden Lichtbogen.

Es war unwirklich, wenn es audi wirklich war. Es gibt doch keinen — Mondregenbogen. Und es gibt ihn doch! Ich habe ihn gesehen. In einer regengeschlagenen Sturmnacht in der Bretagne ist er über dem Meer gestanden. Vielleidit war es auch der Rand einer anderen Welt. Kurz darauf ist alles im Regen ertrunken, alles, Himmel, Erde und Meer, nur — nur diese Erinnerung an den — Mondregenbogen nicht.“

Draußen schrie der Nordsturm und Regen prasselte auf das Hüttendach. Solche seltsame Geschichten erzählt Erwin

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