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Der Most und sein Viertel

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In der Jungsteinzeit dürfte die Herstellung von Alkoholika aus Obst bekannt gewesen sein. Der Most wurde 1240 erstmals schriftlich erwähnt.

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In der Jungsteinzeit dürfte die Herstellung von Alkoholika aus Obst bekannt gewesen sein. Der Most wurde 1240 erstmals schriftlich erwähnt.

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Wer im Frühjahr auf den Landstraßen des niederösterreichischen Mostviertels unterwegs ist, dem bietet sich ein Anblick, der seinesgleichen sucht: Tausende und Abertausende von Streuobstbäumen, die meisten davon Birnbäume, sind voll mit schneeweißen Blüten,, die von summenden Schwärmen von Bienen und anderen Insekten bevölkert werden. Was zu dieser Zeit so üppig blüht, das wird im Herbst zu jenem erfrischenden, goldgelb glänzenden Getränk gepreßt, dem dieser Landstrich seinen Namen zu verdanken hat: Das Mostviertel, auch das Viertel Ober dem Wienerwald genannt, reicht von der Traisen bis zur Enns und wird durch die Donau im Norden und die Landesgrenze zur Steiermark im Süden umschlossen.

Durch pflanzengenetische Untersuchungen läßt sich nachweisen, daß das Alpenvorland zwischen Traisen und Hausruck der europäische Entstehungsmittelpunkt der Holz- oder Mostbirne ist. Jahrmillionenalte Meeresablagerungen aus der Zeit der Entstehung der Kalkalpen, die Geologen nennen sie Flyschmolasse, ließen hier äußerst fruchtbare und schwere Böden entstehen. Mit seinen enormen Wurzeln ist ein Mostbirnbaum in der Lage, die nährstoffreichen und aromatischen Lehmschichten zu erschließen. Ein Mostbirnbaum erreicht erstaunliche Dimensionen, wird an die 200 Jahre alt und wirft bis zu tausend Kilo an Früchten ab.

Ab der Jungsteinzeit dürfte die Herstellung von Alkoholika aus Obst dem Menschen geläufig gewesen sein. Sicher falsch ist jedenfalls die Annahme, daß die Römer - unsere in so vielen Bereichen kulturellen Lehrmeister - die Mosterzeugung einführten. Die in den Augen der Römer so barbarischen Germanen kannten schon längst vor ihnen Obstwein, den sie „lit“ nannten. Diese Wortsilbe findet sich im bayerisch-österreichischen Sprachgebiet in Komposita wie „Leitgeb“, was soviel heißt wie Wirt, oder „Leithaus“, ein Wort für Wirtshaus, das sich bis ins 19. Jahrhundert er-halten hat. „Leitgeben“ hieß im Mittelalter Alkohol ausschenken.

Germanische Volksstämme, die im achten Jahrhundert in das österreichische Alpenvorland kamen, lassen auf eine früh vorhandene Obstpflege und damit verbundene Verar beitung schließen. Die Forschung verweist auf viele Orts-, Flur- und Hofnamen, die auf diese Frühzeit der Mosterzeugung zurückgehen: Baumgarten, Baumgarthof, Bierbaumdorf, Möstlbauer; Namen, die heute noch in Gebrauch sind.

Das Wort Most ist mit dem Vokabular des Weinbaus aus dem Lateinischen entlehnt worden und bedeutete ursprünglich unvergorenen Traubensaft. Ein sogenannter „vi- num mustum“ war ein junger spritziger Wein. Man unterschied im Mittelalter zwischen einem leichteren „birnenmost“xund dem stärkeren, länger als ein Jahr haltbaren „apfeltranc“.

VERSE AUF DEN MOST

Welch edles Getränk der Most ist, hat schon der Minnesänger Neid- hardt von Reuenthal, Mitte des 13. Jahrhunderts, gewußt. Oft zu Gast bei den Bauern der Gegend, hat er von einer holden Mostviertlerin einen Krug voll Birnenmost gereicht bekommen. In seinem Lied bekennt er, daß ihn dieser Trank erfreute und labte: „Do bat mich diu vil minnecliche singen den minen sang: si schankt mir mit dem kruoge / daz mir diu kel / wider wurde heiter unde hei. / Ir birnenmost den trane ich also swinde: / des was si fro.“

Diese womöglich gleich nach dem Liebestrunk um 1240 entstandenen Verse, stellen die früheste schriftliche Erwähnung dieses Getränkes in Mitteleuropa dar. Einige Jahre später lobt der Niederösterreicher Peter Suchenwirt in einem nicht ganz ernst gemeinten Gedicht die heilen de Kraft des Mostes: Der Ritter Gu- nolf Lappen ist unerwartet in Ohn- . macht gefallen, doch nach einem „chrug äpheltranc“ erlangt er wieder das Bewußtsein. Wissen wir auch nicht sicher, ob dem armen Ritter der Most nicht bloß über sein wertes Haupt gegossen wurde, so gilt der Most, ob seiner Naturbelassen- heit, seit jeher als „Gesundbrunnen“. Als uraltes Volksheilmittel hat er sich bei nervösen und funktionellen Störungen des Magens und der Darmwege bestens bewährt.

Most und Mostobstsäfte enthalten Vitamin C (30 bis 250 Milligramm je Liter) sowie in geringen Mengen auch Vitamine der'A- und B-Grup- pe. Der Mineralstoffgehalt von zwei bis drei Gramm je Liter stellt jedes Mineralwasser in den Schatten. Besonders Menschen mit Kaliummangel sollten öfter Most trinken; in einem Liter sind rund ein Gramm des für die Muskeltätigkeit so wichtigen Mineralstoffes.

Seit dem Jahre 1586 soll die Ausschank von Most versteuert worden sein. Diese Art von Getränkesteuer (zwei Zehntel der Mostmenge) war sicher einerseits auf den steigenden Konsum zurückzuführen, andererseits aber auch auf eine Angst der Weinhersteller, oftmals Klöster, die eine Verzerrung des Wettbewerbs befürchteten. Eine Polizeiverordnung aus dem Jahre 1770 der Stadt Melk weist in diese Richtung: „Leutgeben des Biern-Most: Weilen durch das Leutgeben des Biern Most in denen Wirts-Häusern der Abgang des Weins und Bier geschmälert wird alß sole vermög ergangenem herrschaftlichen Befehl solches Mostleutgeben hinführo wie vorhin verbotten, doch einer ganzen Bürgerschaft zu einem Hauß-Trunkh Biem-Most hereinzubringen erlaubt seyn.“

Gerade in dieser Zeit des Physio- kratismus kam es zu einem enormen Zuwachs an Obstbäumen und der Veredelung dieser, mit Hilfe neugeschaffener Baumschulen.

Einen Höhepunkt erlebte die Mostkultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als auf großen Bauernhöfen an die 1.000 „Eimer“ (ein Eimer sind 56 Liter) gepreßt wurden. Ein Keller mit Mostfässern, galt als die beste Sparbüchse des Landwirts. Most wurde nicht nur an die Gasthäuser der näheren Umgebung geliefert, sondern auch nach Wien, Salzburg, ja bis nach Ungarn exportiert Ein Getränk wurde zur Quelle des Wohlstands.

DIE GEWINNUNG

Viele Vierkanthöfe erhielten zu dieser Zeit durch Aufstockung oder gänzlichen Neubau ihr heutiges Aussehen. Doch guten Most zu machen will gelernt sein. Nur ganz spezielle der weit über hundert verschiedenen Mostobstsorten sind für das „Einpressen“ geeignet. Für eine möglichst lange Haltbarkeit des empfindlichen Getränks sind neben Hygiene auch die Beschaffenheit des Kellers, seine Tiefe und die Temperatur von Bedeutung.

Schon lange vor der Ernte muß mit den Vorbereitungen begonnen werden. Zuerst müssen die Eichenfässer aus dem Keller transportiert und gründlich gewaschen werden. Die Fässer lagern nach einiger Zeit der Lufttrocknung bis zur Preßzeit in einem speziellen Teil des Schuppens, dem sogenannten „Faßlbo- den“. Größere Fässer werden im Keller belassen und ausgeschwefelt. Vor der Füllung der Fässer wird ein letztes Mal alles gründlich durchgewaschen, erst dann beginnt der Bauer mit dem mühseligen händischen Klauben der Äpfel und Birnen.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde der gesunde Rohstoff in steinernen Rundgängen noch mit einem Ochsengespann, das einen großen Mahlstein im Kreis zog, zerrieben. Mitt lerweile erledigt dies eine motorbetriebene Birnenmühle. Die alten Mostpressen, in denen das zerkleinerte Obst, „die Maische“, ausgepreßt wurde, sind aus Eichen-, Eschen- oder Birkenholz gebaut worden. Eine ganze Schar von Zimmerleuten arbeitete einige Wochen lang an der Herstellung einer solchen neuen Druckbaumpresse. Meist auf dem Hof des Auftraggebers, da der Transport der imposanten Stücke zu beschwerlich gewesen wäre.

Die mit Schnitzereien oder sinnigen Sprüchen verzierten Mostpressen waren vier bis sieben Meter lang. Gemeinsam mit der Obstmühle oder Obstreibe stehen sie oft noch heute im Preßhaus oder in der Rei(b)m, wie es im Volksmund heißt.

Da der Most stets das billigste Getränk war, erfreute er sich in wirtschaftlich schlechten Zeiten besonderen Zuspruchs. So war auch der größte Mostkonsum in den zwanziger und dreißiger Jahren zu verzeichnen. Nach dem Krieg wurde das „Arme-Leute-Getränk“ Most immer mehr vom besser lagerfähigen Bier und anderen Getränken verdrängt. Leider reagierte die Landwirtschaft darauf mit derart großflächigen, teilweise sogar staatlich geförderten Rodungsaktionen, sodaß es im Jahr 1980 von rund einer Million Apfel- und Birnbäumen nur noch 300.000 an der Zahl gab.

Der niedrige Preis der Genossenschaften, die die Bauern für ihr abgeliefertes Obst erhielten, weniger als ein Schilling pro Kilo, macht das schwindende Interesse der Erhaltung der Obstbäume auch teilweise verständlich. Für viele war der kulturelle Wert verloren gegangen.

Heute wird der Birnbaum wieder als ökologisch und ästhetisch unverzichtbarer Bestandteil dieser Kulturlandschaft geschätzt. Längst nicht nur mehr Gesundheitsjünger haben den Weg zum unverfälschten Naturprodukt Most gefunden. Bauern, Interessenvertretungen, Vertreter von Landwirtschaftsschulen und Tourismusverbänden haben sich in letzter Zeit zusammengetan, um durch die Imagewerbung für die einzigartige „Landessäure“ der ganzen Region neue Impulse zu geben. Die „Toskana Österreichs“, das weltweit größte geschlossene Gebiet mit Mostbirnbäumen, umwirbt seither mit immer mehr Erfolg Städter und Touristen.

Eine herrliche Landschaft, ein Glas Most zur guten Jause und rundherum selige Ruhe. Neidhardt von Reuenthal Kat schon gewußt, warum er immer wieder in diese Gegend gekommen ist ...

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