6549622-1947_34_08.jpg
Digital In Arbeit

Der Mut zum christlichen Theater

Werbung
Werbung
Werbung

Als der gottentfremdeten Moderne auch die Säkularisation der Kunst — scheinbar für immer — gelungen war, wurde diese, wie vorher schon die Philosophie, zum Sport vor einem geistig hochentwickelten, seelisch aber völlig verbrauchten Publikum von „Kennern“. Am erschütterndsten war die Entwicklung beim Theater, weil die religiöse Bindung am stärksten gewesen und ihr Fehlen nun am nachhaltigsten zu spüren war. Verflachung und Nachahmung fremder, vor allem filmischer Mittel, snobbistischer L'art-pour-l'art. Standpunkt, abstrakte Gedankenspielerei bezeichneten den Verfallsweg.

Das spärliche Publikum jener wenigen Bühnen, die sich durch nichts davon abhalten ließen, wenigstens die Tradition zu wahren, indem sie recht und schlecht die Alten spielten, bildete die Jugend. Diese Jugend, und hier im besonderen die konfessionelle, war es auch, die nun begann, in ihren Bünden, im Heim und auf der Fahrt, ihr eigenes Theater zu spielen. Es hatte kein Beispiel und Vorbild in der Gegenwart oder in der nahen Vergangenheit. Es fing von vorne an. Dafür war es aber auch so ursprünglich, wahrhaft religiös — und echtes Theater. So blieben über die Zeit des Stillstandes hinweg dem Schauspiel Künstler und Zuschauer erhalten.

Zwei Katastrophenkriege gingen über die Menschheit hinweg. Nach leiblicher und innerer Not ist diese Jugend das fragende und fordernde Publikum des neuen Theaters geworden. Ist dieses Theater „neu“? In gewissem Sinne: ja. Es ist aufgerüttelt aus seiner Entartung, es setzt sidi wieder mit zeitlich und ewig gültigen F'roblemen auseinander. Aber: Gibt es Antwort? Geht es nicht vielmehr unter in Spott, Zynismus, Resignation und Ausweglosigkeit? Gewiß, wir sind des Gerichtes bedürftig und dieses gibt uns das Schauspiel von heute. Aber:Sind wir nicht nodi bedürftiger des Trostes und der Wegweisung? Von der Bühne herab aber antwortet unserer Frage nur Widerfrage und Verzweiflung.

Da aber entsteht aus den Wurzeln der Tradition, der Jugend und der Sehnsucht der Mut zum religiösen Theater. Es steckt in den Anfängen, aber diese sind vielversprechend. Wien durfte den Plan, die Verwirklichung, die ersten tastenden Versuche und ersten erhebenden Erfolge einer katholischen Bühne sehen: der Stephansspieler. Sie treten nadi ihrem sommerlich sauber unterhaltenden Interludium in die zweite Spielzeit. Aus diesem Anlaß diese kurzen Bemerkungen über katholisches Theater in der Zeit.

Diese Jetztzeit fordert nicht nur Probleme auf der Bühne, sie fordert unerbittlich Aktualität. Aktualität in einem höheren Sinne freilich als in dem von Sarkasmus und Rachsucht. Die Probleme unseres Theaters müssen zeitnah und doch gültig sein in ihrer Beziehung auf das menschlich Bleibende und ihrer symbolischen Deutung auf das Göttliche hin. Hier bietet die Besinnung auf die Tradition christlichen Theaters manche verwertbare „Erfahrung“. Damit gewinnt die Reminiszenz an Mysterienspiel, Jesuitendrama, Passionsspiel und Schauspiel der Jugendbewegung eine über das Historische hinausgehende Bedeutung.

Über den kultischen Ursprung des Schau-Spieles gibt es heute nur eine Meinung. Auch über den Zusammenhang zeremonieller kirchlicher Handlung mit dem Dargestellten ist schon sehr viel, zum Teil Richtiges gesagt worden. Vergessen aber wird immer wieder, daß die Wiedererweckung des Theaters im Mittelalter nach langem Stillstand — seit der Hoch-Zeit in der Antike! — ein Werk der angeblich so theaterfeindlichen Kirche war.

Die lebensvolle, mächtige Auferstehung des Dramas in den Mysterienspielen war eine Überraschung. Ihre Wirkungskraft bezogen die Spiele aus der unverbildeten reichen Pha ntasie von Zuschauern und Gestaltern. Und dies gerade ist und muß die Stärke unseres Theaters sein: Volkstheater zu sein im weitesten und besten Sinne. Das heißt aber, sich nicht an tiberzüchtete Geistigkeit, sondern an Sinnenfreude, Gefühl, Wärme und Menschlichkeit zu wenden.

Das aber kann wieder nur echtes und zeitnahes Theater wie einst (1555 fand die erste große Aufführung im Wiener Profeßhaus statt), das bunte, vielseitige, blutvolle Drama der Jesuiten. Es stand bewußt und sinnenfreudig im Barock. Und nur so konnte es zu diesem wirkungsvollen Instrument der Umwandlung des modernen Lebens in katholischem Sinne werden, weil es, wie einmal treffend bemerkt wurde, „nicht predigte, sondern überzeugte, indem es erwärmte.“ Und wiederum noch eines: es bemühte sich, immer volksnäher zu werden — in der Stoffwahl sowohl als auch in der Sprache. Dieses Bemühen wurde gekrönt durch die Einführung der deutschen Sprache — welche Revolutionierung! — auf der großen Bühne.

So geht von und zu dieser hohen Kunst eine gerade Linie zu den alpenländischen Passions- und Weihnachts-, den Herodes-, Dreikönigs- und Prophetenspielen. Dieses Laientheater war auf einem hohen Stand. Davon legt die St.-Lambacher Spielanweisung aus dem 12. Jahrhundert Zeugnis ab oder etwa das Osterspiel der Wiener Handschrift aus dem 14. Jahrhundert. Das sind nicht mehr allein gesungene oder gesprochene Bibelgespräche und Zwischentexte. Das ist Vergegenwärtigung, Handlung, Entwicklung. Im Gmundner Hirtenspiel wehrt sich Maria aus dem Leidwissen ihrer Menschlichkeit heraus lange gegen den übermenschlichen Auftrag, bis sie sich stolz und demütig beugt: „Siehe, ich bin des Herren Magd, mir geschehe, wie du sagst.“

Diese Traditionen leben noch, wenn auch oft nur in spärlichen Überresten oder Umrissen. Heute noch gilt von diesen bäuerlichen Spielen, was Lewinsky von den Ober-ammergauern sagt: „Und woher diese höchste Wirkung, welche gedacht werden kann? Weil die Person keine Täuschung beabsichtigt und jeder des Glaubens voll ist: In Jerusalem ist's gerade so gewesen, und weil er darin vollkommen recht hat.“

Diese naive Hingabe i s t in dem Schauspieler, diese naive Empfänglichkeit in dem Zuschauer von heute! Sie muß nur angesprochen und geweckt werden.

In diesem Zusamenhang sei an drei theatralische Erlebnisse der beiden letzten Spieljahre erinnert. Da war einmal die Aufführung von M e 11 s „A p o s t e 1 s p i e 1“ durch ein Ensemble von Studenten, deren rührend ursprüngliche Gläubigkeit von Spiel und Darstellern zum nachhaltigen Erlebnis wurde. Ganz anderen Wurzeln entsprang die Wirkung der Aufführung von Claudels „Bürge n“ in der „Insel“ — aus der zeitlosen Gültigkeit und dem zeitnahen Anruf gekonnten Theaters. Das dritte Erlebnis — wenn man eine Anzahl von theatralischen Eindrücken so bezeichnen darf — war eine Reihe von Aufführungen der Stephansspieler. Einmal gab das eine, dann das andere Element der Aufführung das Profil. Und dementsprechend verlagerte sich das Gewicht des Eindruckes. Immer mehr aber scheint sich das junge, strebsame Ensemble dem Ideal der Vereinigung von ursprünglich-realistischem Bemühen und theatralisch-symbolischem Können zu nähern. Es gilt nur, dieses Ziel immer klarer zu erkennen und das einander scheinbar Widerstrebende zur Vollendung zu vereinen.

Aus diesem Erleben und Erkennen heraus erwachsen unsere Wünsche für die kommende Spielzeit der Stephansspieler: sie mögen der Tradition jenes Theaters nicht vergessen, das allein ein echtes ist, weil es zu dem Nährboden, dem es entsproß, und dem Ziele, dem es von Anbeginn an zugeordnet war, wiedergekehrt ist. Und sie mögen deshalb von jenen Dingen reden und spielen, die wir als das Heute auf der B'“hne fordern: vom Gericht der Zeit, aber auch ihrem Trost, Verstehen, Menschlichkeit und Glauben; sie mögen uns hinführen zueinander, zu uns selbst, zu den verborgenen Wirklichkeiten in allem und so in bestem Sinne „expressionistische Kunst“ sein; sie mögen nicht schweigen vom Leide und nicht meiden die Freude der Welt; sie mögen das Böse zeigen, daß wir lieben und helfen lernen; sie mögen nachspüren allem Schönen und Guten der Erde, dem ewigen Symbol und Gleichnis des Göttlichen; sie mögen endlich des Theaters nicht vergessen, nicht abstrakt und moralisierend werden, nicht unreal und nicht verzweifelt, kurz: sie mögen leben-d i g bleiben!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung