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Der nächste Schritt

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Als man im Unterrichtsministerium vor nunmehr mehr als zehr Jahren die Idee aufgriff, sich mi unseren östlichen Nachbarländer! mehr zu beschäftigen, wurde sie verlacht oder als kommunistenfreund- lieh angegriffen. Man hat die Weltgegend mit der Weltanschauung verwechselt und man hat Geopolitik mi‘ Parteipolitik durcheinandergebracht Neben allen persönlichen, menschlichen und politischen Sentiments und Ressentiments von damals, hal man augenscheinlich die Dynamik mißachtet oder zumindestens ihi Tempo unterschätzt. Man glaubte ar die Ewigkeit, ein Terminus techni- cus, der ja beim atheistischen Kommunismus an und für sich nicht existiert. Man vergaß, daß Staaten aus Völkern bestehen, Völker aus Familien, Familien aus Menschen und daß der Mensch etwas Bewegliches, etwas Lebendiges ist und sich daher ständig ändert. Vielleicht blickte man auch zu gebannt, fast hypnotisiert auf den Kommunismus und seine Macht.

Die -damalige „Arbeitsgemeinschaft Ost“ war dagegen der Meinung, daß die kommunistischen Praktiken sowohl als Weltanschauung wie auch als Staatsfaktor beileibe nichts Ewiges, ja nicht einmal etwas lang Dauerndes seien. Sie war ferner der Meinung, daß es nicht genüge, die Hände in den Schoß zu legen und zu warten, sondern daß man selbst mittun müsse, um dem Gegner, auf welcher Ebene immer er sich befinde, zu begegnen, und versuchen müsse, ihn zu überzeugen, zu besiegen und damit für uns zu gewinnen.

Kultur und Außenpolitik

Der zweite Richtsatz war, daß die Kultur in ihrem weitesten Umfang der erste und der beste Angriffspunkt sei, besser, wirksamer und zweckmäßiger als Wirtschaft oder gar Politik. Man verlachte die Kultur, was man ja innenpolitisch seit jeher in Österreich gewohnt ist und auch heute noch tut, und man spottete ihrer, als man jetzt daran ging, sie als außenpolitisches Element in dieser Auseinandersetzung zu verwenden. Kultur in einem weiten Bogen von der Kunst bis zur Wissenschaft, vom Dichter bis zum Vortragenden, all dies wurde eingesetzt — und siehe da, es waren dies die ersten Grenzgänger, die hinüber und herüber kamen, es waren dies die ersten Plattformen, auf denen man sich traf, zwar ohne Übereinstimmung, die auch kein Vernünftiger damals verlangte und erwartete, wohl aber als Diskussionsbasis.

Und als nächste kamen die Wissenschaftler, die Gelehrten. Von beiden Seiten, um ihre Theorien vorzutragen, vorzutragen jeder nach seiner Haltung, nach seinem Wissen,

nach seinem Können und nicht zuletzt nach seiner Weltanschauung int weitesten Sinn. Aber auch hiei wurde verlangt, daß sich an jeder solchen Vortrag, an jede solche Rede eine Diskussion anschloß. Und hiei war es zum ersten Male seit Beendigung des zweiten Weltkrieges oder, wenn man will seit 1938, da£ wieder ein „Gespräch" zustandekam

Keiner „sprang ab"!

Man verdächtigte die Idee, als wix zu größeren Dingen ansetzten, al« wir dann schon gruppenweise hinüberfuhren und als wir ebenfalls ganze Gruppen von „drüben“ zu uns einluden. Man sprach von der Gefahr der Infizierung, man sprach von der Infiltration, soweit es den Gegner in unserem Land betraf, und man sprach von der Sinnlosigkeit und Nutzlosigkeit, soweit es unsere Aufenthalte drüben betraf. Kommuni- stenfreundiiehkeit war das Schlagwort, das es ersparte, näher und genauer und mit mehr Kenntnis und Können auf die Problematik und Thematik dieser ganzen Auseinandersetzungen einzugehen. Kein Österreicher ist seit damals anläßlich so eines Ausfluges oder so eines Vortrages drüben abgesprungen. Von den anderen aber, die zu uns kamen, soll (aus wohl sehr leicht verständlichen Gründen) nur gesagt werden, daß sie nachdenklich in ihre Heimat zurückkehrten, weil sie mit offenen Augen hier die freie Welt gesehen haben, und zwar jene Form, die sich der Österreicher adaptiert hat. Und daß sie das, was sie gesehen und gehört haben, hier in Österreich, in ihrer Heimat erzählten.

Was immer man zu diesen einzelnen Fakten, zu ihrer Wichtigkeit und Wertigkeit, zu ihrem Effekt sagen möchte und wie man dazu steht: daß in diesen zehn Jahren die Dinge ein ganz gewaltiges Stück weitergegangen sind, kann wohl niemand leugnen, und jeder Ehrliche muß zugeben, daß es diese eben geschilderten vielen Fäden, Begegnungen, Gespräche und Aussprachen waren, die hierbei nicht nur mitgeholfen halben, sondern überhaupt erst den Weg bereitet haben und den Erfolg erreicht haben!

Es ist nun aber Zeit, den zweiten Schritt zu machen.

Wieder sind wir uns bewußt, wie damals vor mehr als zehn Jahren, daß auch hier bei diesem zweiten Schritt gleiche oder wenn nicht ganz so doch ähnliche „Gegenargumente“ vorgeforacht werden: daß es zu früh sei, daß es umsonst sei, daß es überhaupt unmöglich sei, ja daß es vielleicht sogar schädlich sein könnte.

Wieder werden wir wohl hören, daß unsere Partner von der anderen Seite zu tief und zu fest verankert seien in ihrer Ideologie, daß wir gewisse, zumindestens evolutionäre Kräfte drüben überschätzen, daß wir Optimisten sind und Wunschträume haben. All das nehmen wix gerne auf uns.

Das jetzige „österreichische Ost- und Südosteuropainstitut“ ist der Meinung, daß alle Dinge jetzt schon studiert, überlegt, diskutiert werden sollen, zuerst in jedem Land für sich und dann aber ebenso auf gemeinsamer Basis. Wir hören natürlich die Gegenstimmen, daß so etwas unmöglich sei, daß das keinen Sinn habe, daß man mit Kommunisten nicht debattieren 'könne. Wir hören auch die anderen Gegenstimmen, die wieder etwas heraushören wollen über eine Österreichmonarchie.

Wir glauben, daß man sich lösen muß von alten Formen, von alten Bahnen und von alten Fahnen. Wir glauben, daß man sich nicht immer wieder verdrängen lassen darf in alte Schlagworte.

Diskussion und Kennenlernen

Es ist also Zeit, den zweiten Schritt zu gehen, und er könnte unserer Meinung nach darin bestehen, daß nun verschiedene Stellen hüben und drüben, private, staatliche, wissenschaftliche, wirtschaftliche und andere sich mit all diesen Problemen auseinandersetzen. Es wird daher im konkreten das österreichische Ost- und Südosteuropa- institut zum Beispiel an Fachleute, an Gelehrte, an Leute der Wirtschaft, der Banken, mit der Bitte herantreten, die einzelnen Probleme zu studieren und Wege zu finden, wie in Hinkunft hier ein Nebeneinanderleben und vielleicht einmal ein Miteinanderleben und sogar ein Zusammenleben zwischen uns und unseren östlichen Nachbarn möglich ist. Das kann, wie schon erwähnt, 'bei den gemeinsamen Lehrbüchern beginnen, bei der Berufung 'zumindestens zu Gastsemestern oder vielleicht einem ganzen Studienjahr von Vortragenden an den beiderseitigen Hochschulen. Es könnte ferner gesprochen werden, wie in Hinkunft der Versand von Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, der beiderseitige Empfang der Radio- und Fernsehprogramme vor sich gehen sollen, Dinge, wobei keiner der beiden Staaten etwas von seiner Souveränität oder von seiner Weltanschauung aufgeben muß, wo aber durch ein Anhören des anderen oder ein Ansehen der Lebensverhältnisse auf der anderen Seite ein Nähenkommen möglich ist. Die Völker sollen dann entscheiden, was ihnen paßt, und was ihnen besser vorkommt. Wir glauben nach wie vor, daß die Diskussion und das Kennenlernen der einzige Weg sind zu einem vernünftigen Miteinanderleben. Und der zweite Schritt hierzu ist hiermit getan.

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