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Der neue Eco - und ein Eco-Nachahmer ohne Gschamigkeit

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Zwei Rücher: Ein wichtiges -und eines, das kaum ein Kritiker, der sich ernst nimmt, ernst nimmt. Ein beachteter Roman und eine etwa ebenso umfangreiche Portion Lesefutter. Ein großer Name: Umberto Eco. Und einer der, laut Klappentext, „erfolgreichsten

Schriftstellers Europas”, den aber das Großfeuilleton eher ignoriert: Arturo Perez-Reverte, Autor des Romans „Der Club Dumas”.

Der Zusammenhang: ■ Perez-Reverte strickt nach der Mystik-Masche, die Eco für „Das Foucaultsche Pendel” kreierte.

Der neue Roman von Umberto Eco, „Die Insel des vorigen Tages”, hat sehr schön geschriebene und auch ein paar richtig spannende Stellen. Es wäre schön, diese Feststellung auf das gesamte Buch ausdehnen zu können. Schon deshalb, weil man sich dann mit einem diametral entgegengesetzten Urteil von den Verrissen einiger Großkritiker absetzen könnte. Und das ist für das Image des Kritikers immer gut.

Doch zwischen den schön geschriebenen und richtig spannenden Stellen ist die Lektüre des neuen Großromans des italienischen Großbestsellerautors Schwerarbeit. Und das weniger von wegen Gelehrsamkeit, sondern hauptsächlich von wegen Langweiligkeit.

„Der Club Dumas” hingegen ist schlicht, routiniert und anspruchslos geschrieben. Er hat das, was der biedere Leser unter Spannung versteht. Aber er ist überhaupt nicht fad.

Ich werde den bitterbösen Verdacht nicht los, daß Umberto Eco, hauptberuflich bekanntlich Professor für Semiotik, nicht nur Texte deuten, sondern auch rechnen kann. Weshalb ihm möglicherweise nicht verborgen blieb, daß beim Ladenpreis der Bücher nicht nur der Name des Autors, sondern auch der Papierverbrauch, sprich: die Seitenzahl, eine Bolle spielt. So daß zehn oder 14 Prozent Tantieme von einer

Million Bänden mit 500 Seiten viel mehr Geld bedeuten als bei 300 Seiten.

Daß ihm aber oft nicht einmal 300 Seiten einfallen. Der zweite Groß-Eco, „Das Foucaultsche Pendel”, las sich ganz so, als hätte der Autor das Manuskript durch schlichtes Einfügen aller bei den Vorarbeiten angefertigten, dann aber nicht verwendeten I -iteratur-Exzerpte mehr künstlich als kunstvoll verlängert.

Das hat immerhin die Lektüre erleichtert. Es war sofort erkennbar, welche Seiten man überblättern konnte. Auch eine Lesehilfe. Der Se-miotiker Eco versteht ja wohl auch etwas von Marketing.

Doch seit dem „Foucaultschen Pendel” scheint sein literarischer Ehrgeiz in einem Maße gewachsen zu sein, welches ihm solche Lesehilfen verbietet. In der „Insel des vorigen Tages” sind die Lesefrüchte der Gelehrsamkeit besser in den Teig eingerührt. Verzeihung, Verzeihung: mehr' in den Text integriert. Auch kann Eco mit neuen, innovativen Techniken der Textstreckung aufwarten.

In einem sehr milden Fall liest sich das, im Anschluß an eine gelehrsame Passage, so: „... aber die Menschen jener Zeit hielten es für unverzichtbar, die ganze Welt in einen Wald von Symbolen zu überset zen, von Fingerzeigen und Sinnfiguren in Beiterspielen, Maskeraden, Gemälden, Adelswaffen, Trophäen, Ehrenzeichen, Ironischen Bildern, Münzenrückseiten, Fabeln, Lehrstücken, Allegorien, Epigrammen, Sentenzen, Wortspielen, Sprichwörtern, Namenskarten, Lakonischen Briefen, Epitaphen, Parerga, Grabinschriften, Schilden, Glyphen - und hier mache ich Schluß, wenn's erlaubt ist, aber sie machten hier noch lange nicht Schluß.”

Arturo Perez-Reverte hat mit Metaphern und Synonymen, Symbolen, Geschicklichkeit.

Ironischen Bildern, Allegorien, Parerga und Glyphen nichts am Hut. Literatur? Fehlanzeige. Dafür kann man ihn lesen.

Eco hingegen macht da, wo er die zitierte Aufzählung beendet, in vielen anderen Fällen noch lange nicht Schluß, die krasseren Beispiele haben leicht den Umfang dieser Be-zension. Darüber geht ihm immer wieder die Handlung verloren, soweit es eine gibt. In vielen Bückblendungen wird die Geschichte eines Mannes erzählt, der durch ungeklärte Umstände gegen seinen Willen ausgeschickt wird, das Geheimnis, der Langengrade (beziehungsweise den Kenntnisstand der anderen seefahrenden Mächte) zu erkunden, Schiffbruch erleidet, sich auf ein verlassenes Schiff voller Wunder rettet, dort die Bekanntschaft der interessantesten, aber sich leider bald aus dem Leben und damit auch aus der Handlung empfehlenden Bo-manfigur, nämlich des Paters Wanderdrossel macht, und der anschließend in Phantasien über seine ferne Angebetete, die Hintergründe seines Schicksals und die Intrigen eines möglicherweise existierenden oder existiert habenden Halbbruders versinkt.

Immerhin verdanke ich Ecos Ro-man großen Gewinn. Ich weiß jetzt Bescheid über die Bedeutung der Längengrade im 17. Jahrhundert und über die ungeheure Schwierigkeit, die Position eines Schiffes ohne Quarzuhr und Satellitennavigation zu bestimmen. „Die Insel des vorigen Tages” ist daher ein Muß in der Bibliothek jeder Jacht, deren Eigner auf sich hält. Seine Gäste werden es nach der Lektüre gewdß zu schätzen wissen, daß es an Bord keine Hunde mit durch Salz künstlich offen gehaltenen Wunden gibt, die durch sympathetische Wirkung aufjaulen, wenn jemand in London ein Messer ans Feuer hält.

„Der Club Dumas” von Arturo Perez-Reverte hingegen ist nach dem Öffnen zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt. Wie in Ecos „Foucaultschem Pendel” setzen auch hier geheimnisvolle Mächte eine Verfolgungsjagd in Gang, bei der es um verschollenes magisches Wissen geht, auch hier geht es um Tod und Leben.

Wie es sich für einen Krimi gebührt, kommen die Hauptfiguren mit dem Leben davon und die ganze Teufelsmagie erweist sich als Obsession eines durchgedrehten Antiquars. Und wie es sich für einen Roman der Lesefutter-Oberklasse gebührt, hat offenbar auch dieser Autor recherchiert (oder auf eigenes Wissen zurückgegriffen) und vermittelt Information. Zwar nicht über die Navigation unter Zuhilfenahme verwundeter Hunde, aber immerhin über Psychologie, Obsessionen, kleine Tricks und große Schwindeleien von Bibliophilen, Bibliomanen, Antiquaren und Restauratoren kostbarer alter Bücher.

Bange Frage: Besteht der Unterschied zwischen Umberto Eco und Perez-Beverte wirklich darin, daß der eine anspruchsvolle Literatur produziert und der andere einfache Unterhaltung? Oder etwa darin, daß der eine auf einem soviel höheren Boß sitzt als der andere? Konnte sich Eco, aufbauend auf einem Welterfolg, der er gewiß nicht nur den literarischen Qualitäten seiner Bücher verdankt, einfach ein gewaltiges Image aufbauen - dem er gequält und mit zweifelhaftem Erfolg gerecht zu werden versucht?

Während der andere einfach bei seinem Leisten bleibt, dem eines Schusters unterhaltender, spannender, auch recht witzig geschriebener Bücher, der keiner inadäquaten, überzogenen Erwartungshaltung seiner Ijeser zu entsprechen hat?

Zur Dichtung gehört mehr als die feste Entschlossenheit, sie zu produzieren, auch mehr als eine umfassende Bildung, linguistisches Fachwissen und eine gewaltige Bibliothek. Beide, Eco und Perez-Reverte, sind anspruchsvolle Unterhaltungsschriftsteller. Wobei letzterer dem Anspruch, zu unterhalten, voll gerecht wird, Eco hingegen nur bedingt. Dafür lohnt er die Arbeit, die er dem Leser zumutet, mit imposanten Denkrosinen und einigen halt doch sehr schönen Stellen im ausgewalzten Teig der Gelehrsamkeit.

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