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Der neue Parsifal — Höllenrose in Grau

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Auf die Frage: „Wie war der Tristan?" soll ein respektloser Kritiker geantwortet haben: „Wieder eine Stunde länger.“ Nach der letzten „P a r s i f a 1“-Inszenierung der Wiener Staatsoper befragt, könnt er resümierend sagen: „Dunkelf Dunkel vor allem.“

Dunkel wie der Sinn dieser pseudosakralen Dichtung, über deren wichtigste Quelle, das mittelalterliche Versepos „P a r- zival", Wagner am 30. Mai 18 59 an Mathilde vo Wesendonck geschrieben hat: „Wolfram ist eine durchaus unreife Erscheinung, worin allerdings wohl sein großenteils barbarisches, gänzlich konfuses, zwischen dem alten Christentum und der neueren Staatenwirtschaft schwebendes Zeitalter schuld ist. In dieser Zeit konnte nichts fertig werden. Tiefe des Dichters geht sofort in wesenloser Phantasterei unter.“ Das ist, auf Wolfram bezogen, ein groteskes Urteil. Aber auf Wagner und seine Zeit paßt es bestens. „Das mag Geibel machen und Liszt mag’s komponieren“, schließt der merkwürdige Brief. Aber er hat „es“ dann doch komponiert (zwar erst zwanzig Jahre später) und unter dem Titel „ein Bühnenweihfestspiel" als sein Opus magnum deklariert. Als solches verdient und fordert es alle Aufmerksamkeit und Sorgfalt bei der Wiedergabe. Probleme und Schwierigkeiten bietet es genug . ..

Kein Regisseur, kein Bühnenbildner und Kostümzeichner ist zu beneiden, der es unternimmt, Wagners Werke, speziell die Stücke der Tetralogie und den „Parsifal“, auf einer heutigen Bühne zu realisieren. Weicht man nämlich von Wagners minuziösen Vorschriften ab, so muß man sie durch etwas Neues, Eigenes ersetzen. In Bayreuth hat man es gewagt — und die Partie gewonnen. In Wien sahen wir „Parsifal" zuletzt Anfang November 1959 anläßlich eines Gastspiels der Württembergi- schen Staatstheater. (Die! letzte „hauseigene“ Produktion des Werkes fand zu Ostern 1944 statt.) Es war eine Inszenierung von asketischer, zuweilen fast soldatischer Strenge mit der dominierenden Farbe Grau. Aber im 2. Akt, in Klingsors Zaubergarten, gab es immerhin einige Farb- flecke.

Herbert von Karajan, assistiert von dem aus Wuppertal kommenden Bühnenbildner Heinrich Wendel (der übrigens auch den Stuttgarter ..Parsifal“ ausgestattet hat), ist noch einen Schritt weitergegangen, Af Wf Buhne hfeVÄciP fii e Ws&f' uiiä tylüimdr. ’ Es "Jaihf A’tffej'lftlit LSSft' isl'tfi und äuch die Blumenmädchen scheinen dem Schattenreich entstiegen. Nur der Gral glüht wie flüssiges Eisen und verbreitet über die knienden Gralsritter eine Art rosigen Bodennebel. Sogar Kundry, die „Höllenrose", die einmal — allerdings schon als Büßerin, mit „Du tolles Weib" apostrophiert wird —, ist weder an ihrer Gewandung noch an ihrem Gebaren als solche zu erkennen, sondern erscheint, statisch, in sinem dezenten Abendkleid.

Zweifellos steht hinter all dem ein Konzept. Und dieses dürfte auf dem Axiom beruhen, daß Mystik nur im Dunkeln, im schummerigen Dämmer möglich sei. So vermeidet man alle grelle Geschmacklosigkeit, läßt aber freilich vieles — im wörtlichen und übertragenen Sinn — im Dunkel. Heißt es aber auf der Bühne — gleichfalls im wörtlichen und übertragenen Sinn — nicht: Farbe bekennen? Ein klares Bild, schöne, geschlossene Formen, mit Geschmack gewählte und aufeinander abgestimmte Farben brauchen das Licht nicht zu scheuen ...

Da die Bühne rund viereinhalb Stunden im schleierigen Dunkel liegt, kommt alles Licht und aller Glanz von den Stimmen, von den Instrumenten. Das Vorspiel haben wir selten so intensiv und so nobel im Klang gehört. Wenn das Gralsthema erklingt (es stammt weder aus Liszts „Glok- ken des Straßburger Münsters“ noch aus Mendelssohns „Reformationssymphonie" — noch von Wagner, sondern ist ein fast notengetreues Zitat des „Dresdener Amen“), weiß man, wer spielt und wer am Pult steht. Karajan hat den ganzen Abend lang mit den Philharmonikern herrlich musiziert. Nur der Verwandlungsmusik im 1. Aufzug ist der Einsatz des elektroakustischen Apparats nicht gut bekommen, und der letzte Ton des Glockenmotivs schien mir nicht ganz rein zu sein. (Damit hatten auch die Stuttgarter kein Glück.) Auch die Horngickser, vom Vorspiel angefangen bis tief hinein in den 3. Akt, lagen über dem langjährigen Durchschnitt.

Schließlich, aber nicht zuletzt: die Stimmen der Sänger-Darsteller, wie Wagner sie sich wünschte. In die Partie der Kundry teilten sich Christa Ludwig und Elisabeth Höngen: vollkommene Schönheit und stärksten dramatischen Ausdruck vereinend. Hans Hotter als Gurnemanz: souverän in Spiel und Gestaltung der Rolle. Fritz Uhl als Parsifal: kultiviert, mit angenehmem Timbre, aber nicht immer durch- Iringend. Eberhard Wächter: als Am- :ortas sehr ambitioniert, aber als Persön- ichkeit und im Ausdruck überfordert. Walter Berry: ein stimmgewaltiger lingsor. Bei den Blumenmädchen: ein Luxusaufgebot schönster, kostbarster Stim- nen, das nicht verschwendet war (die Danen Janowitz, Güden, Cvejic, Rothen- jerger, Scheyrer und Sjöstedt). Die Stimme /on oben (Hilde Rössel-Majdan) kam, wie iietsiei Särigerknaben,"Von zu weit oben, roa aUeufern, wie Ecįto, .eines Echos. Hier vird sich die Klangregie von Karajan noch tinzuspielen haben. — Sehr dezent auch lie Choreographie (im „Sommernachts- raum"-Stil) von Erich Walter, der gleich- alls aus Wuppertal kommt. Nur eben lei- ler auch sie: allzusehr im Dunkel.

So bleibt, vom Anfang bis zum Ende, mser Wunsch: Mehr Licht — soweit es iühnenbild und Regie vertragen.

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