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Der neue „Tannhäuser“

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,,Diese Inszenierung“, sagte einen Tag nach der Premiere ein Opernfreund, „hat mir gut gefallen, denn sie lenkt von der Musik nicht ab.“ Das ist ein Standpunkt. Der Rezensent kann mit einem anderen Opernerlebnis aufwarten: als er nämlich» bei der Berliner „Aida“-Inszenierung Wieland Wagners, einen kurzen Abend lang wie gebannt auf die Bühne starrte und von der wahrhaftig nicht unaufdringlichen Musik Verdis während ganzer Viertelstunden buchstäblich keinen Ton perzipierte. Das wären so die Extreme. Über eines jedenfalls kann man sich heute einigen: da wir nun einmal den großartig-einheitlichen Inszenierungstil Wieland Wagners haben, genügt für eine Wagner-Neuinszenierung die simple „Entrümpelung“ nicht mehr. Und wenn man sich von Richard Wagners Anweisungen weitgehend entfernt, so muß man schon etwas Eigenes, Neues und Gültiges dagegensetzen. Ist das in der Inszenierung Karaj ans für die Wiener Staatsoper geschehen?

Was wir an diesem Abend an Musik hörten, war kostbar und luxuriös. Aus dem Orchester, von hinter der Bühne, wo ein zweites Orchester aufgestellt war, und sogar aus Lautsprechern tönte es mit gedämpftem Wohllaut. Obwohl Karajan die zweite, spätere (Pariser) Fassung des „T a n n h ä u s e r“ gewählt hatte, war von den ersten Takten der Ouvertüre an sein musikalisches Konzept klar: zu entschlacken, zu verfeinern, zu moderieren. Schon hier, in der Ouvertüre, klang die Bacchanal-Episode wie ein Elfentanz. Nobel-gedämpft blieb die Venusberg-Musik auch, als sich der Vorhang teilte und ein kaltes, finsteres, kahl-geräumiges Schattenreich sehen ließ. Der meisterhaft ausgeleuchtete Hintergrund — ein flammendes Pfauenrad — wechselte von Rosa über Violett ins Grünliche. Davor ließ der Choreograph Erich Walter eine große Gruppe von Tänzerinnen und Tänzern, zunächst streng voneiander geschieden, eine Art „Sacre du Printemps“ in der Unterwelt aufführen. Statt der langen stummen Szene Venus-TannhäuseT sah man (apollinisches Symbol einer eher dionysischschwülen Liebesbeziehung) das Tänzerpaar Christi Zimmerl und Karl Musil, ganz weit im Hintergrund, einen untadeligen klassischen Pas de deux ausführen. Venus im Abendkleid (Christa Ludwig) und Tannhäuser (Hans Beirer), von allem Anfang an weit voneinander entfernt, trennen sich endgültig, und die Bühne verwandelt sich. Aber keineswegs in ein frühlüjgsschönes Tal, sondern zunächst- in , einijv.Art Eispalast- mft.vc« obent.j«Mtfli^- i Bendem bläulichen Licht, dann in eine von bräunlich-flockigem Wald umgebene Lichtung. Ein erster Lichtblick: der im Hintergrund vorbeiziehende und die Schalmei blasende junge Hirt (Gundula lanowitz); ein zweiter: die in Grün und Schwarz sehr dekorativ gewandete lagdgesellschaft; zum Aktschluß: die Meute mit Jagdhunden und Falken, sehr naturalistisch, das Stilkonzept durchbrechend, aber wirkungsvoll.

Dann folgt die Sängerhalle auf der Wartburg, braungolden, wie aus getriebenem Metall, sehr schön, aber handfest-realistisch. (Eine Frage an den Bühnenbildner Heinrich Wendel: aus welcher Zeit mögen wohl die Fresken stammen, die im 13. Jahrhundert schon so arg beschädigt waren?) In diese „teure Halle“ ziehen, sehr unkonventionell und kunstvoll aufgelockert, ganze Scharen von Rittern, Damen und Herren: uniform und wenig farbenfreudig gewandet — an die 200 Personen. Hier, im folgenden Sängerwettkampf, ist auch die Regie handfester (einer der Sänger rupft aus Leibeskräften sein Instrument, was ihm der Regisseur bei künftigen Aufführungen nicht mehr gestatten sollte) —, aber der dramatische Höhepunkt fehlt. Hans Beirer singt mit großer Zurückhaltung und Vorsicht. Sehr dekorativ wirken die elf mit je fünf Glühlampen bestückten Armleuchter, die die drei Wände der Bühne flankieren, aber aus welcher Zeit mögen sie stammen? — Das Tal vor der Wartburg haben wir schon ahnlich im „Parsifal“ und in „Pelleas“ gesehen. Der Pilgerzug, das Gebet der Elisabeth, mit dem Rücken zum Kreuz, aber trotzdem weit im Hintergrund (sehr schön gesungen von Gre Brouwenstijn), Wolframs ergreifendes Lied an den Abendstern (makellos und in bestem Stil von Eberhard Wächter vorgetragen), und die Rom-Erzählung sind musikalische Höhepunkte innerhalb dieser Aufführung. Wie knapp wir an Tenören sind (so daß unter den Blinden zwangsläufig der Einäugige zum König wird), kann man aus der Besetzung der Titelpartie mit dem jungen Wiener-Neustädter Hans Beirer konstatieren, der in der Erscheinung kein geborener Tannhäuser ist und mit größter Behutsamkeit sang. Die tote Elisabeth haben wir auf der Bühne nicht sonderlich vermißt, wohl aber das Wiederauftauchen der Frau Venus und ihres verführerischen Reiches. Die Andeutung — ein schwacher Lichtschein im Hintergrund — war zu schwach.

Überhaupt krankte diese Inszenierung an einer gewissen Zaghaftigkeit und stilistischen Unentschiedenheit, vor allem aber an dem stereotypen Mangel an Licht. Vergeblich fragt man sich, wo denn das viele Geld steckt, das diese Aufführung gekostet hat. Man sieht nichts — oder nur SehriWenijr^— von dem;Aufwan&.Und die, ZÄWrelehert Boleuchtungsprobcn müssen in der Hauptsache Verdunkluagsproben gewesen sein.

Karajans Wagner-Inszenierungen, von „Walküre“ über „Siegfried“ und „Rheingold“ zur „Götterdämmerung“, zeigten, trotz vieler Einwendungen, die man im Detail machen mußte, eine aufsteigende Linie. In „Parsifal“ mit der Höllenrose in Grau dominierte jenes mystische Dunkel, das hier, im „Tannhäuser“, zur Manier geworden ist (von allen anderen Unzulänglichkeiten dieser seiner letzten Inszenierung ganz abgesehen). Man leistet daher ihm — und der Wiener Staatsoper — keinen guten Dienst, wenn man Karajan bestätigt, daß er sich mit dem neuen Wiener Tannhäuser „einen festen Platz in der Spitzenklasse der Regisseure erobert“ habe. Das ist zugleich auch eine Herabsetzung jenes knappen halben Dutzends hervorragender Spielleiter, die heute an deutschen Opernbühnen wirken. Um echte Maßstäbe zu setzen (denn auf diese kommt es vor allem an) wäre es hoch an der Zeit, endlich auch einmal Wieland Wagner einzuladen — und das Publikum wird sehen, was ein wirklich bedeutender Regisseur vermag.

Wir haben noch die tüchtigen Wart-burgsänger Kmentt, Welter, Equiluz und Franc mit dem Landgrafen Gottlob Frick an der Spitze nachzutragen und des meisterlichen Spieles der Philharmoniker zu gedenken.

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