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Der nüchterne Mond

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Wieder Fahrt zum Mond! Wieder beweist der Mensch, zu welchen technischen Großtaten er befähigt ist. Dennoch darf darüber eine andere Tatsache nicht übersehen werden, die etwas Erschreckendes an sich hat: Das Mondgestein ist dreieinhalb Milliarden Jahre alt. Moderneres haben die erstmals gelandeten Menschen dort nicht gefunden und werden auch künftige Astronauten nicht finden. Fahrten zum Mond sind somit ab nun eigentlich keine Reise in die Zukunft, sondern ein Sturz in die Vergangenheit. Denn dort lockt kein jungfräulicher Boden, kein Neuland.

Dies ist eine der bitteren Erkenntnisse dieses Jahres. Vielleicht wird 1969 als das Jahr in die Geschichte eingehen, das die Träume der Menschheit beendete. Eine sowjetische Venussonde hatte schon vor der ersten Mondlandung die Vorstellung von dem freundlichen Morgenstern zunichte gemacht — eine glutheiße Giftgashülle umgibt unseren sonnenseitigen Nachbarplaneten: Das ist alles. Zwei amerikanische Marssonden haben nach der Mondlandung fast bis zur Gewißheit erkundet, daß auch unser roter Nachbarplanet eine tote, in diesem Fall jedoch kalte Wüste ist. Den Gelehrten ist zwar die „Hoffnung“ geblieben, auf dem Mars noch Leben von bakterieller Größenordnung zu finden, eine Hoffnung, die aber angesichts des Mangels an Lebensbausteinen keine Aufsicht auf Erfüllung hat. Die Mars- kanalwesen hat man abschreiben müssen. Sie gehören ins Reich der Fabel wie der Mann im Mond. Die Steine unseres bleichen Begleiters enthielten nicht einmal die Andeutung von Spuren des Lebens. Daß man auf den fünf äußeren Planeten von Jupiter bis Pluto kein Leben finden wird, weiß man auch ohne Raumschiffe und Raumreisen. Lichtmangel wegen der Sonnenferne, Giftgashül- len lassen keiner Illusion Plate.

Es wird kein heiliger Frühling mehr stattfinden, kein Aufbruch zu neuen Ufern, kein ver sacrum, wie ihn die Jugend des alten Rom und der Polynesier auf den pazifischen Inseln, ja die jeunesse dorėe hundert anderer Völker feierte. Die Suche nach dem Paradies hat auf dem dreieinhalb Milliarden Jahre alten Gestein des Mondes, in der brodelnden Hölle der Venus, in der Kälte und Finsternis des Weltraums geendet. Die Konstruktion von Taxiraketen zum Mond wird uns nicht von dieser Erde befreien. Die Landung auf dem Mars wird die Hoffnung auf eine gute Nachbarschaft begraben. Wir sind allein. Einsam im Weltraum. Die Vorstellungen von anderen Menschheiten beginnen seit 1969 auszutrocknen. Der Versuch, auf der Überholspur im Weltraum zu dem zu kommen, wozu auf dieser Erde keine Chance mehr gegeben ist, ist mißlungen. Wir müssen uns auf der Oberfläche unseres Planeten zurechtfinden.

Dieser Zustand wirft natürlich beträchtliche Schwierigkeiten auf, denn die Landschaft hier bei uns ist bekannt. Entdeckungen auf der Erde sind bestenfalls noch auf dem Südpol zu machen. Dorados, Schlaraffenländer, Feen- und Märchenreiche sind nicht mehr zu entdecken. Die Sehnsucht nach der Ferne hat auf dieser Erde kein Spielfeld mehr. Der Phantasie sind in diesem Punkt endgültig Schranken gesetzt. Die seelische Verdrängung der Wander-, Ent- deckungs- und Kolonisationskomplexe auf technische und Wohl

standsbereiche bleibt Surrogat. Autoraserei und Tempowahn ersetzen nicht den Aufbruch in Neuland, die berühmten goldenen Knödel sind auch für den, der sie sich leisten kann, kein Ersatz für Entdeckerfreuden.

Es ist nicht zu leugnen, die Welt hat ihre Weite verloren, sie wird enger. Man kennt die Leute, mit denen man zu tun hat. Die heute lebende Generation erlebt zum ersten Mal eine vollständige globale Ebenbürtigkeit. Überraschungen sind ausgeschlossen, der diesbezügliche Nervenkitzel fehlt. Vielleicht haben diejenigen recht, die behaupten, die Welt werde „fad“. Den Zauber des Unbekannten bietet der Globus sicher nicht mehr. Ohne Umstellung wird es daher nicht abgehen. Eben das nämlich schien in den Weltraum hinaus zu drängen. Man hoffte dort zu finden, was es hier nicht mehr gibt und nie mehr geben kann. Und genau aus diesem Grund wird das Jahr 1969 zum tragischen Einschnitt ins menschliche Dasein: Die Fahrten zu unseren Weltraumnachbarn Mond, Venus und Mars haben die Hoffnung auf eine „erweiterte Welt“ ausgelöscht.

Dafür haben wir etwas eingetauscht, wovor sich die Menschheit bisher immer abzuwenden versucht hat: die Angst vor einet unvorstellbaren Einsamkeit. Solange das Himmelsgewölbe die vermeintliche Erdscheibe deckte, war das Gefühl einer gewissen Geborgenheit vorhanden, das die Einmaligkeit der eigenen Existenz nicht zu Bewußtsein kommen ließ. Seit der vor relativ kurzer Zeit erfolgten Auflösung dieses Daches wächst die Sehnsucht nach Partypartnern im Weltraum.

Klar, daß man sich nicht ohne weiteres in die neue Situation findet. Gibt es auf den Planeten unseres Sonnensystems kein Deben außer auf der Erde, dann ist es vielleicht im nächsten Sonnensystem zu finden, aber die Entfernung dorthin beträgt hunderttausend Raketenflugjahre. Um heute dort landen zu können, hätte sich schon der Neandertaler der Steinzeit auf die Socken machen müssen, so weit ist der Weg. Und was ist, wenn besagter steinzeitlicher Raumschiffer bei der nächsten Sonne vergeblich anklopft, weil sich auf ihren Planeten — sofern sie solche überhaupt umkreisen — kein Leben und keine Lebensmöglichkeit findet? Die Wissenschaft ist so ehrlich, festzustellen, daß Chancen für ein Kaffeekränzchen erst im Umkreis der nächstfolgenden Sonne vorhanden sind. Sie ist allerdings mehr als doppelt so fern von uns als der uns nächste Stern. Unter zweihundertfünfzigtausend Raketenflugjahren wird es nicht zu schaffen sein. Eine etwas lange Fahrdauer.

Man muß sich dazu vor Augen halten, daß diese Entfernung genau dem Radius einer Hohlkugel im Weltraum entspricht, in der um und außer uns kein Leben und kein Intellekt existiert. Wir sind somit tatsächlich etwas einsam und ohne jede Chance, Gesellschaft zu finden. Selbst wenn es uns gelänge, die Geschwindigkeiten der Phantasie zu erreichen, blieben die Schranken von Räum Und Zeit unüberwindlich, die Suche nach anderem Leben eine Illusion. Wir sind an die 20 Zentimeter Humusboden und an die fünf Kilometer erträglicher Lufthülle gebunden. Und wir sind und bleiben allein. Von außen haben wir nichts mehr zu erwarten. Es wird Zeit, daß wir uns nach innen wenden.

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