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Der Ozeanflieger 1930

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Ein eisiger Sturmwind fegte, Staub aufwirbelnd, Gräser und. Halme beugend, über den Flugplatz von New York. Die hereinbrechende Nacht wurde von Zeit zu Zeit von den Flammengarben der Scheinwerfer erhellt. Wie leuchtende Bänder zogen sie am dunklen Himmel dahin. Manchmal schien es, als wollte der Sturm das Wellblechdach der Kantine emporheben und davontragen. Die inmitten der Kantine von der Decke herabhängende Lampe zitterte und schaukelte mit trunkenen Bewegungen hin und her. Die in der Kantine anwesenden Gäste staunten neugierig den in voller Ausrüstung in ihrer Mitte stehenden, hochgewachsenen, jungen Mann an. Er leerte in hastigen, gierigen Zügen eine Tasse heißen Kaffees. Sollte der stärkende, drei Minuten vor dem Start genossene Trank einem müden, abgehetzten, schlaflosen Menschen wirklich Spannkraft und Munterkeit geben können? Wie sollte er gegen die Unruhe kämpfen, die ihn zu überwältigen drohte, wenn er die Kraft nicht mehr in sich fühlte, sie zu besiegen? Aber, dank seiner stählernen Nerven hatte er die Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Die leere Tasse schwenkend, fühlte er sich so vollgeladen mit übersprudelnder Kraft, daß ihm war, als könne er, wie ein Magnet, die umherstehenden Sessel und Tische, die Wellblechmauern der Kantine an sich ziehen, die der fahle gedämpfte Lampenschein in verschwommenes Weiß kleidete.

Auf dem Flugplatz standen Menschen, die ihn mit erschrockenen, Angst verratenden Gesichtern bestaunten und bewunderten. Sein Vorhaben erschien ihnen als eine glatte, tollkühne Verrücktheit. Würde sich seine schwerbeladene Maschine überhaupt vom Erdboden erheben, würde sie gegen den

Sturm ankämpfen können? Konnte sie wirklich mit der beabsichtigten wahnsinnigen Geschwindigkeit den Ozean überfliegen?

„Kommt!“ Er winkte mit ungeduldiger Armbewegung seinen Helfern und hörte trotz des auf ihn einstürmenden Windstoßes die tiefklingende, beunruhigende Stimme des Kantinenfräuleins, das ihm einen Abschiedsgruß zurief.

Vor einem der Hangars stand inmitten des wirbelnden, Staub und Unrat aufpeitschenden Orkans seine ganz aus Stahl und Aluminium erbaute Maschine. Er nahm in der engen, gut gefederten Pilotenkabine Platz. Die Vorbereitungen zum Start lösten in ihm eine erzwungene, kalte Ruhe aus. Er und seine Gefährten sprachen kein Wort. Sammelten sie doch all ihre Kräfte, um die kommenden Kämpfe gegen die unbarmherzigen Naturgewalten bestehen zu können. Ihre Ruhe stach vorteilhaft von der Nervosität des kleinen, bebrillten Monteurs ab, der zitternd vor Aufregung die Platten und Schrauben noch einmal überprüfte, und dann von der Maschine absprang. Der Propeller begann zu surren. Der Pilot zählte laut bis zehn und schaltete dann die Hebefeder ein. Im nächsten Augenblick sauste die Maschine über die lange dunkle Ebene des Flugplatzes. Sie glich mit ihren beleuchteten Fenstern, die zu einem Lichtstreifen verschwammen, einem Meteor, das aus dem Weltall niedergeglitten, mit seinem Flammenschweif über den Flugplatz hinstreifte und ihn in grelles Licht tauchte. Die schwere Maschine konnte nur mühsam aufsteigen. Sie wäre beinahe mit den Drähten der elektrischen Leitung in Berührung geraten. Nach diesem aufregenden Augenblick aber erhob sie sich, von dem eintönigen Brummen und Brausen des Motors begleitet, steil aufwärts und nahm, die nördliche Vorstadt hinter sich lassend, ihren Flug über das Lichtermeer der Riesenstadt New York.

n.

Er war allein. Solange er sich erinnern konnte, bestand sein Leben aus dieser Einsamkeit. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr war er Pilot. Er kannte keine andere Beschäftigung, saß fast ohne Unterbrechung am Steuerrad der Maschine und fühlte sich mit ihr verwachsen. Er sah in ihrem Rumpfe, ihren Flügeln, dem Steuerrad, den Luftschrauben die Verlängerung seines eigenen Körpers. Wohl schlugen die Tropfen eines kalten, prickelnden Regens nur an das Ge-. häuse seiner Maschine, aber er spürte die Durchnässung mit allen Fasern seines empfindlichen Nervensystems. Kam ein Ge-wittef? Der neben seinem Steuerrade eingebaute Radioempfänger zeigte durch das Aufglühn roter und grüner Lampen und durch leises Pfeifen einen Anruf an. Freilich, man suchte ihn wohl von allen Stationen aus, obwohl die Nachricht von seinem Start erst im Augenblick des Aufstieges der Welt bekanntgegeben worden war. Wollte man ihn auf die Gefahr eines drohenden Gewitters aufmerksam machen? Aber da klangen durch das Geräusch der Motoren die melodischen, erregenden Töne eines Slowfox aus dem Apparat. Es spielten wohl Negermusikanten vor dem Mikrophon in einem vornehmen New-Yorker-Klub zum wirbelnden, jauchzenden Tanz auf, während die mit poliertem Achat bekleideten Wände das Licht der hundert elektrischen Lampen spiegelten und das bunte Getriebe in märchenhaften Glanz tauchten. Er ließ den Schalter auf dieser Wellenlänge und erlaubte derp süßen und schmerzlichen Schluchzen der Jazzmusik sein Herz zu betören. Auf dem spiegelnden Parkett jenes Saales schwebten wohl schöne, in Rosa und Silber gekleidete Mädchen im Tanz dahin. Seine Phantasie zauberte ihm Bilder vor, die er wohl in Wirklichkeit oft und gerne betrachtet hatte; aber er hatte als ungeschickter und steifer Tänzer nie an dem Treiben teilgenommen. Wie hätte er mit Leichtigkeit und Anmut tanzen können, der unsichtbar um sich her jenen Koloß aus Stahl und Aluminium fühlte, der mit ihm Zeit seines Lebens verwachsen war? Da begann der Koloß unruhig zu werden.

m.

Er befand sich in einer Entfernung von • 750 Kilometern von der amerikanischen Küste. Der Höhenmesser zeigte 1800 Meter. Um die Maschine sauste und brauste ein mächtiger Orkan, eine Seltenheit in jenen Höhen. Vergebens versuchte er, ihm auszuweichen. Obwohl er mit Aufbietung aller Kräfte die Maschine zu bändigen versuchte wie ein wildes Tier, konnte er sie nicht zu einem höheren Aufstieg zwingen. Schließlich geriet er durch den aussichtslosen Kampf plötzlich in eine bittere, rasende Wut. Sein Körper triefte von Schweiß. Auf den Flügeln der Maschine aber lag eine dichte Schneeschichte. Er hatte das Gefühl, als lasteten diese drückenden Schneemassen auf seinem eigenen Körper. Die Maschine schien unter dieser übergroßen Kraftanstrengung zu ermüden. Während die ersten Lichtstrahlen die bläulich schimmernde Dämmerung erhellten, fiel der Zeiger des Höhenmessers immer tiefer und tiefer. Der Pilot zwang seine Nerven mit äußerster Anstrengung zu höchster Kraft und Ausdauer. Immer wieder tastete er mit den Strahlen des Scheinwerfers das Chaos der im Sturm wirbelnden Schneeflocken ab, um es zu be-meistern. Weit entfernt und unerreichbar schien das Ziel seines Fluges — er konnte nur die Lichtbündel der Reflektorstrahlen hinaussenden und dem Weg, den sie ihm wiesen, mit der donnernden Maschine folgen. Er versuchte wieder, mit einer Sendestation in Verbindung zu kommen, doch es gelang ihm nicht. Abgebrochene Pfeifsignale verrieten ihm wohl, daß man ihn von allen Seiten suchte, ohne daß eine Verbindung erreicht werden konnte. Er ließ den Schalter wieder auf irgendeiner Wellenlänge stehen und rang mit allen Kräften gegen Sturm und Gewitter. Nun befand er sich nur noch 700 Meter über dem Meere, und er durfte nicht hoffen, durch Radiomeldungen einen Ausweg aus der Gewittersphäre zu erlangen. Sturm und Regen drückten ihn unaufhörlich in niedere Regionen.

IV.

Der schreckliche Kampf um das Leben nahm all seine Kräfte in Anspruch. Der Druck der Luft legte sich wie eine übermenschliche Kraft fordernde Bürde auf Rumpf und Flügel der Maschine und belastete seinen Rücken so, daß er ihm nur noch in kauernder Stellung Widerstand zu leisten vermochte. Er hatte den Einduck,

daß ein böser Geist ihn mit gewaltiger, nie ermüdender Kraftanstrengung tiefer und tiefer drücke. Und der entfesselte Orkan, die furchtbare Nacht, die Anziehung der im Weltraum wirbelnden Erde — waren sie nicht Verbündete jener geheimnisvollen, gespenstischen Macht, die ihn in die sturmgepeitschten Meereswogen stürzen wollte? Schon war es ihm, als begännen die Flügel der Maschine sich vom Rumpfe zu lösen. Da entschloß er sich zum Abstieg. Er hatte die Hoffnung, in niederen Regionen ruhigere Luftwellen zu finden — eine Hoffnung, die zwar nicht auf Naturgesetzen ruhte und uch nicht durch häufige Erfahrung gestützt wurde, die aber doch manchmal in Erfüllung geht. Die Maschine gehorchte und senkte sich in ruhigem Flug herab — aber auch hier zeigte der Scheinwerfer nur eine durch weiße, wirbelnde Schneeflocken unterbrochene tiefe Nacht. Der Höhenmesser zeigte nur noch 200 Meter an und von unten herauf dröhnte bereits das Brausen des Meeres an sein Ohr Ja, unter den Nebelmässen wartete das Meer seiner, und er konnte sich von dem Druck jener auf ihm lastenden bösen Macht nicht befreien. Er war so verloren und einsam im großen Himmelsraum, daß sein Herz in Todesangst erzitterte. Die Maschine sank und sank. Er flog nur noch in einer Höhe von 80 Metern — er mußte an arme, ermüdete Vögel denken, deren vom Regen durchnäßte Flügel sie hinabziehen. *In seiner Angst und Verlassenheit sehnte er sich nach dem Klang einer Menschenstimme. Er tastete nach dem Schalter seines Radioapparates — und in der Tat klang aus unermeßlicher Weite, Gott weiß, woher, die Melodie des Liedes „Niemals wußte ich, was du mir warst“.

„Nie — — mals“, sang die weiche, schmerzliche Stimme — „wußte ich“ — wie. auf Mövenschwingen hob sie sich in helle, reine Regionen — „was du mir warst“. In die Purpurröte des am Horizont aufsteigenden Morgens zauberte diese Stimme Menschen und Gegenden, die er einmal gesehen. Er erinnerte sich eines mit seiner Mutter in Kanada verbrachten Sommers, an die Farbenpracht der Landschaft, die er damals, noch ein junger Student, bewundert hatte. Dann tauchte New York vor ihm auf, wo seine Mutter als Lehrerin tätig war. Er sah die rotglühenden Wände der Turmhäuser des nordöstlichen Stadtteiles vor sich und die dunkle Tiefe eines nach Benzin riechenden Hangars. Er sah wieder das Lächeln der Kantineurstochter auf dem Flugplatz und hörte den Autolärm einer New-Yorker Straße und blickte in eine von bläulichen Dämpfen erfüllte Schlucht hinab. All diese Bilder lockten und umgaukelten ihn. Er wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er kauerte am Steuerrad seiner Maschine, aber er hatte jedes Gefühl des Zusammenhangs mit ihr verloren, er rang mit ihr wie mit einem feindlichen Ungeheuer, das er bezwingen mußte, er empfand sie als ein Gefängnis, das ihn einschloßt während die Bilder seiner Erinnerungen ihn umgaukelten, heraufbeschworen von den Worten und Tönen des Liedes. „Und als du gingst von dannen“ — — Die Bilder drehten sich und schwanden, andere wurden aus dem Nichts hervorgezaubert. Da lächelte der Mutter feines, alterndes Gesicht ihm zu, da stand auf dem Tisch in ihrer Wohnstube die schöne, alte, ihm vertraute Stahldose, da grüßte ihn ein Freund, der mit zärtlicher Liebe an ihm hing, und da war das kleine Kino, das er oft besuchte, wenn sich ihm zwischen zwei Flügen ein freier Tag bot An allen diesen Erinnerungen hing ein Stück seines Lebens; er hatte früher nie geahnt, daß sie so fest mit seiner Gefühlsund Gedankenwelt verknüpft waren. Das Lied erst hatte ihn gelehrt, wie er mit tausend feinen Fäden an dieses Leben gefesselt war.

Er erwachte wie aus einem langen, betäubenden Traum, als der Morgen kam und er gewahrte, daß die Maschine in großer Höhe flog und weiter aufwärts strebte. Die Luft um ihn war kristallklar. Unter ihm wälzten sich massige Wolken über die unendliche Wasserwüste. Sie glichen in ihrem wilden Spiele, sich haschend und sich trennend, dem schäumenden Wellenspiele des Meeres. Er flog so hoch, daß er die Erde als Kugel sah und ihre Drehung zu fühlen meinte. Da blitzten alle Lichtsignale des Radioapparates auf und pfeifende, kreischende Töne drangen aus ihm hervor. Ein riesiger Ozeandampfer, dem man seinen Aufstieg gemeldet hatte, suchte mit ihm in Verbindung zu treten, um ihm den Weg zur englischen Küste zu weisen.

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