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Der polnische Soniemni?

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Nein, das wäre wirklich in keiner anderen Volksdemokratie möglich ge- wesenl In seiner Nummer vom 20. August veröffentlichte das Organ der katholischen Gruppe, „Znak“, die bekanntlich dem Primas Kardinal Wyszynski nahesteht, einen Artikel über die „Berliner Angelegenheit“, der den „polnischen Standort“ in ebenso nüchterner wie klarer Form darlegt und der sich erheblich von den gleichgeschalteten Stimmen der gesamten Ostblockpresse unterscheidet. Schon die Person des Verfassers dieser groß aufgemachten und an der Spitze der weithin beachteten Wochenschrift abgedruckten, sichtlich inspirierten Äußerungen verdient besondere Auf-f merksamkeit. Er ist ein Neffe des einstigen Ministerpräsidenten Leon Kozlowski (dessen Name nicht nur bei Kommunisten, sondern auch bei der gesamten Linken wie ein rotes, Verzeihung, wie ein schwarzes Tuch wirkt) und er gehört in jeder Hinsicht dem konservativen Kreis der einsti- den „obszarnicy" (großgrundbesitzende Junker) an. Es ist also in doppelter Hinsicht interessant, was er, und gerade er, zu seinem Thema zu sagen hat: als Sprachrohr des nach wie vor die Mehrheit bildenden polnischen Katholizismus und als Vertreter seiner Sphären.

Ohne Illusionen

Kozlowski läßt sich nicht in zänke- rische Erörterungen über das Völkerrecht ein; er deutet an, daß man zur Verteidigung jeder These stets juridische Argumente findet, und er betrachtet die Dinge nur vom praktischen Gesichtspunkt aus. Er kümmert sich also nicht um die Vergangenheit, um Abkommen und um deren Interpretation, sondern nur um die Gegenwart, also um die vorhandenen Tatsachen, und um die Zukunft, also um die Möglichkeiten der weiteren Entwicklung. Er stellt als beherrschendes Moment voran, daß in Polen, wo man mit unendlicher Mühe den Wiederaufbau vorangetrieben hat, Besorgnis und Unruhe die Bevölkerung erfaßt haben; daß hier das eine Leitmotiv alles übertönt: nur keinen neuen Krieg. Und er schreibt, ohne sich auf Rekriminationen, auf moralische oder politische Verdammungsurteile einzulassen, den kapitalen Satz: Wenn die leitenden Staatsmänner auf beiden Seiten auf dem bisherigen Wege fortfahren, ohne ihre derzeitige Haltung zu ändern, stehe man „am Rande einer Katastrophe“. Aufs schärfste wird betont, daß Polen vordringlich an der Wahrung des Friedens interessiert sei. Doch nun folgt die zweite Feststellung, die man gut tut, ebenfalls zur Kenntnis zu nehmen, um sich vor Selbsttäuschung zu bewahren. Dieser katholische Publizist, der im Herzensgrund zweifellos das ist, was die heutigen Machthaber Polens einen „schwarzen Reaktionär“ nennen, dieser unerschütterliche Gegner der Kommunisten, der zudem, gleich seinen Gesinnungsgenossen, frei von jedem nationalen Chauvinismus ist, vertritt resigniert die Ansicht, daß erstens ohne einen Krieg, der zur allgemeinen apokalyptischen Katastrophe von unvorhersehbarem Endausgang würde, kaum viel, sei es vom Westen, sei es von einer Nachgiebigkeit der Sowjetunion, zu erwarten sein dürfte, und daß zweitens Polen nichts anderes übrigbleibt, als im entscheidenden Moment auf der sowjetischen Seite auszuharren, ohne sich im leisesten Illusionen über diesen großen und unabdingbaren Alliierten zu machen.

Auf der Schaukel

Wir sehen an diesem Beispiel die Grenzen, die in Polen auch die schärfsten Gegner des Kommunismus einhalten zu müssen glauben, um zu verhindern, daß aus dem Sonderfall ein Fall von besonderer Tiefe werde. Daran kann man nichts ändern, solange nicht die jetzigen Machtver hältnisse radikal umgestülpt sind. Allerdings sche’nt es, daß jeder ernsthafte Umschwung eben dieser Ge gebenheiten die stärksten Wirkungen in Polen auslösen würde. Die grundgescheiten kommunistischen Staatslenker in Warschau geben sich über diese Situation volle Rechenschaft. Sie müssen das schwierige Schaukelspiel fortsetzen, einerseits im Kreml kein Mißtrauen zu wecken und außerdem,

als überzeugte — oder wenigstens als nur im Rahmen der Volksdemokratie als Machthaber denkbare — Leninisten, den Weg über den Sozialismus zum Kommunismus weiterzuschreiten, anderseits die den eigenen Traditionen treue Mehrheit der eigenen Nation nicht ständig aufzureizen.

So koexistieren, zumeist friedlich und nur von Zeit zu Zeit auf Drängen bolschewistischer Scharfmacher in heftigem Widerstreit, die beiden Polen, das amtlich-parteilich waltende und das im Alltag dominierende, nebeneinander. Und derlei treibt die merkwürdigsten Blüten. Da stirbt im Exil unversöhnt ein Hocharistokrat. Seine Leiche wird heimgebracht; die Parte erscheint in dem stramm regiirwhörigen, von eifrigen Kommu- nisten geleiteten „Žycie Warszawy“, mit Angabe der Zugehörigkeit des Toten zum Malteserorden, und beim Begräbnis in der Familiengruft ist eine gar vornehme Trauergemeinde beisammen. Oder der berühmte, nach England emigrierte Karikaturist To- polski besucht in aller Seelenruhe seine Heimat, wird gefeiert und kehrt darnach ins Exil zurück. Oder während sich alle Schleusen des offiziellen Zornes über die Neuhitlerianer, Militaristen und Revanchisten der Bundesrepublik ergießen, sind ausgerechnet die leitenden Männer des Hauses Krupp gerne gesehene und mit Artigkeiten überhäufte Gäste . . . der leitenden Männer Volkspolens. So vor, einiger Zeit Generaldirektor Beitz, jüngst der in Polenfreundschaft spezialisierte Direktor Hundhausen. Oder um den Behörden beizustehen, daß die sehr verärgerten Einzelbauern den Kolchosen zum Einbringen der ohnedies durch das schlechte Wetter beeinträchtigten Ernte helfen, erläßt Kardinal WysZynski einen Aufruf an seine „liebsten Kinder", sie mögen doch ihren kollektivisierten Brüdern beispringen. Oder angesichts des Mangels an geschulten Lehrern der Traktorfahrkunst richten Kapuzinermönche die neuen Adepten der mechanisierten Landwirtschaft ab. Oder endlich: amerikanische Sportler kommen nach Warschau und werden dort begeistert empfangen. Von der Privataudienz des polnischen Botschafters Drožniak bei Kennedy bringt die gesamte Presse Photographien auf der ersten Blattseite. Die amerikanische Wirtschaftshilfe geht weiter. Der Senat in Washington hat Polen als einzigem kommunistischen Land deren Fortdauer bewilligt. Und der Vorsitzende der mächtigen, mehr als tausend Vereine umfassenden Organisation der Polen in den USA hat, obzwar kompromißloser Feind des Bolschewismus, das Weiße Haus nachdrücklich gebeten, eben -diese Hilfe

Ziehungen zwischen Staat und Kirche haben sich wieder — trotz scharfer Worte in letzter Zeit — entspannt. Seit langem zum erstenmal sind die Vertreter der Kirche — die Bischöfe Choromanski und Klepacz — und des Staates das Politbüromitglied Kliszko und Gesundheitsminister Sztachelski — in freundlicher Atmosphäre zusammengetroffen. Frucht dieser Besprechungen waren unter anderem der vorerwähnte Aufruf des Primas an die Bauern, dann die Zurückziehung eines im Sejm durch die Regierung vorgelegten Gesetzentwurfs, der Sammlungen in den Kirchen praktisch unmög-

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