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DER PRAGER RILKE

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Deutschsprachige Bücher werden durch den neuen Reiseführer PRAG (AI. Svoboda, 1964) irregeführt, wenn Sie auf Seite 251 lesen: Links liegt der jüdische Friedhof, wo Franz Kafka und seine Eltern sowie die Vorfahren des Dichtens R. M. Rilke begraben sind, während Sie auf Seilte 160 beim Denkmal des tschechischen Dichters Julius Zeyer erfahren, daß „Julius Zeyer als Dichter und Mensch vieles gemeinsam mit dem 1875 in Prag geborenen Rainer Maria Rilke hat, der allerdings bisher in Prag noch kein Denkmal hat. Beide Dichter waren deutsch erzogen worden und stammten von französischen Eltern ab...“ Nun hat auch die Prager deutschgeschriebene Monatsschrift „Im Herzen Europas“ im Septemberheft 1965 einen Artikel „R. M. Rilke und Böhmen“ veröffentlicht, in dem wir — unter anderem Erstaunlichem — zur Kenntnis nehmen sollen, daß „sich dann Rene der tschechischen Gesellschaft anschloß ...“!

Nun, wir glauben nicht, daß Rilke in Prag, wo noch ein Smetana-Dehkmal fehlt, so bald ein Standbild erhalten wird, aber wir glauben, daß Rilkes Prager Jugend nicht durch neue Legendenphantastereien bereichert werden sollte. Also zuvor einige knappe Berichtigunigen:

Rilkes Vorfahren sind auf dem katholischen Friedhof in Prag-Olsany bestattet; sein Vater stammte aus Schwabitz (Svebofice) im ehemals deutschen Nordböhmen, seine Mutter aus einer deutschen Kaufmannsfamilie in Brünn, die dann in der Prager Panskä (Herrengasse) ein kleines Palais besaß, wie wir dieses noch heute in derselben Gasse mit barocker Fassade und Hofmarställen sehen können. In diesen Herrenhäusern wurde ein typisch österreichisches Leben geführt, und die Behauptung, daß sich Rilke an die tschechische Gesellschaft anschloß, ist durch nichts belegt.

Was den tschechischen Dichter Julius Zeyer anbelangt, stammte dessen Vater aus dem Elsaß und die Mutter aus dem Prager Getto, die nach der Taufe eine fromme Katholikin wurde. Trotz der Sprachenmischung in dieser Familie war Julius Zeyer bewußter Tscheche, und mit R. M. Rilke ist der um eine Generation — um 34 Jahre! — ältere Dichter nur zufällig und flüchtig bekannt geworden, als der junge Rilke zu Zeyers Nichte Valerie David von Rhonfeld in Liebe entbrannte. Diese Nichte, Tochter eines österreichischen Offiziers, war deutsch erzogen. Auch sie konnte für Rilke keine Brücke zur tschechischen Kultur schaffen, der er, mit offenen Augen, in dieser Stadt auf Schritt und Tritt selbst begegnen mußte.

Nichtsdestoweniger besteht kein Grund, zu behaupten, daß Rilkes Jugend typisch österreichisch gewesen ist. Prag war vor der Jahrhundertwende eine österreichische ProvinzStadt mit einer verhältnismäßig großen deutschen Bevölkerungsschichte, die ihre Hochschulen, ihre Theater hatte, ihr eigenes Gesellschaftsleben und künstlerisches Wollen. Die Piaristenvolksscihule in der Herrengasse erzog kaisertreue Staatsbürger; die Kadettenschule in St. Pölten, die Miliitär-oberrealschule in Mährisch-Weißkirchen, die Handelsakademie in Linz und das Grabengymnasium in Prag, wo er als Externist maturierte, waren österreichische Schulen. Rilke tendierte in seinem Verkehr — trotz Sympathien zum tschechischen Volke — nur zu deutschsprachigen Familien. Auch seine Verwandten (Onkel Jaroslav und Tante Kut-schera-Woborsky) waren trotz tschechischer Namen Deutsche, gehörte doch Onkel Jaroslav zum Bauausschuß des Neuen Deutschen Theaters, das heute als Smetana-Theater zweite tschechische Opernbühne ist. Es ist daher nicht notwendig, aus Zufälligkeiten mysteriöse Zusammenhänge zu konstruieren, die das Rilke-Bild noch komplizierter gestalten würden. Und wozu überhaupt?

Rilke bedarf doch von nationaler Seite gar keiner Rehabilitierung. Daß er sich nach dem Kriege einen tschechoslowakischen Paß ausstellen ließ, ohne allerdings Prag je wieder aufzusuchen, hängt mit seinem Wunsche zusammen, in der Schweiz ruhig abseits vom Nationalitätenhader zu leben, ganz seiner Dichtkunst ergeben. Eine Folgerung, „daß er sich jedoch durchaus nicht nachdrücklich als Deutscher betrachtete“, ziehen zu wollen, ist gewiß falsch.

Prager Jugendeindrücke haben ihn Zeit seines Lebens begleitet — denn wer vergißt je seine Jugend? Diese Jugendeindrücke werden nun in Prag — mit Recht — oft zitiert, -denn sie beweisen, daß es neben dem engstirnigen provinziellen Deutschnationalismus auch eine intellektuelle Schichte gab, die den vielfältigen nationalen Donauraum anders gestalten wollte, als es die altösterreichische Bürokratie zuwege brachte. Daß diese Schichte viel zu schwach war, beweist Rilkes eigenes Leben. Zum österreichischen Offizier bestimmt, scheitert er körperlich und seelisch. Während seine Mutter — eine Tochter des Kaiserlichen Rats Carl Entz — noch bis zu ihrem Tode in bigottem Katholizismus das Leben verwitweter Erzherzoginnen nachzuahmen und den Sohn in ihrer Gewalt zu halten sucht, weiß sich R. M. Rilke im Gegensatz zu Franz Kafka, der sich von der Energie seines Vaters und der Prager Heimatstadt nicht loszulösen verstand, von seiner Mutter, Familie und Prag mit 21 Jahren zu befreien, indem er vor 1896 nach München in die weite Welt geht.

Vor 40 Jahren ist er in der fernen Schweiz gestorben, trotz seiner Geburtsstadt Prag ein heimatloser Dichter.

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