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Der Primas

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Seit dem Oktoberumbruch von 1956 besitzt Polen wieder e i n Oberhaupt in der Person des durch keine formelle Verfassungsbestimmung, doch durch die Macht der Tatsachen zu dieser Stellung des leitenden Staatsmanns berufenen Ersten Sekretärs der herrschenden PZPR. Nach dem Zwischenspiel, das für einige Monate den wenig bedeutenden Ochab in diesem Amte gesehen hatte, genießt nun Gomulka eine Autorität, wie sie der nur auf fremde Bajonette sich stützende Bierut trotz seiner, faktisch nur durch Moskauer Befehle eingeschränkten Gewalt nie besessen hatte. Gewiß, der Held des Widerstandes gegen fremde Besatzung und später gegen fremden, als beschützende Freundschaft getarnten Druck, erfreut sich eines Ansehens und eines Vertrauens, das weit hinaus über die Schranken seiner Partei reicht, in der

Zeichnung: Lembeck („Die Zeit“)

er vielleicht mehr heimliche und offene Widersacher, zählt als bei Andersdenkenden. Ist er aber wirklich der alleinige Erkorene seines Volkes? Bei näherem Zusehen enthüllt sich uns eine Diarchie, und zwar — o Paradoxie, die dem Abstand in der Zeit und des Ortes trotzt — ähnlich dem Zustand, den der mittelalterliche Sachsenspiegel durch die Zweischwerterlehre ausdrückt. Nur daß im kommunistisch regierten, den eigenen Weg zum Sozialismus beschreitenden Volkspolen der Vertreter der geistlichen dem der weltlichen Macht nicht vorangeht, daß der oberste Laie dem höchsten Kleriker, der zu Roß einherreitet, nicht den Steigbügel halten muß.

Tatsache ist, daß auf diesen beiden Männern der innere Frieden, die gedeihliche Entwicklung — soweit sie nicht von außen her gestört wird — und überhaupt die nächste Zukunft Polens beruht. Daß beide ihr Land und ihr Volk heiß lieben, daß sie das harmonische Nebeneinander dem schädlichen Streit vorziehen und daß sie dennoch ein heuchlerisshes Verwischen unüberbrückbarer weltanschaulicher Gegensätze vermeiden; daß sie sowohl den historischen Gegebenheiten als auch den Forderungen der Jetztzeit Rechnung tragen: das verbindet den Erzbischof mit dem nationalkommunistischen Leader. Gemeinsam ist ihnen ferner, daß sie für ihre Ueberzeugungen schwer gelitten haben und daß sie die Spuren davon deutlich im Antlitz und am Leibe tragen. Schmal und blaß und von Krankheit gezeichnet, sind sie aus der über sie vom stalinistischen Regime verhängten Haft heimgekehrt. Selbstlos, nur der Sache ergeben waren und sind sie beide. Das alles mag dazu mitgewirkt haben, daß sich zwischen ihnen Beziehungen entwickelten, die auf gegenseitiger Achtung und auf rein menschlicher Zuneigung nicht minder gründen als auf Uebereinstimmung in vielen politischen Fragen. Der Primas erblickt vermutlich in Gomulka den Typus des „hon pa'ien“, des „guten Heiden", und dieser in Wyszyfiski den überzeugten, würdigen Priester einer Religion, an die man zwar selbst nicht glaubt, deren sittlichen Wert und deren geschichtliche Verdienste man indessen ebenso anerkennt wie ihre Verwurzeltheit im polnischen Volke. Im wohlverstandenen Interesse der Kirche ergibt sich daraus Zusammenarbeit der geistlichen und der weltlichen Gewalt.

Das ist begreiflicherweise den Russen und den einheimischen Stalinisten ein Dorn im Auge. Das Moskauer Witzblatt „Krokodyl“ brachte eine Karikatur, die den Ersten Parteisekretär kniend und das Räucherfaß schwingend vor Wyszyhski zeigt, mit der Unterschrift: „Die Errungenschaften der polnischen Oktoberrevolution.“ Es soll anderseits Extremisten des anderen Lagers geben, die den Kardinal beinahe als Bolschewiken betrachten.

Er ist es so wenig wie nur einer. Niemand sollte dem unbeugsamen Märtyrer seiner apostolischen Rechte und Pflichten anders als mit Verehrung begegnen. Vom Primas Polens strahlen eine Würd und eine Demut aus, die sich miteinander wohl vereinen. Hochgesinnt und klug, humanistisch gebildet, ein Redner und Schriftsteller von ungewöhnlichem Format, obzwar ein Feind aller Lügen und Intrigen, dennoch mit dem feinsten politischen Spürsinn und mit außerordentlichem diplomatischem Geschick begabt, ist er der geeignetste Oberhirte der polnischen Kirche. Seiner sanften, verbindlichen Art ungeachtet, hat er mit geziemender Schärfe gegen die allzu Schmiegsamen durchgegriffen, die sich unter Bierut dem Regime zu willig anpaßten und die dabei, seien es unverrückbare Grundsätze, sei es die innerkirchliche Disziplin Preisgaben. Sonst aber war und ist der Kirchenfürst die verkörperte Duldsamkeit und, soweit es sich nicht um Wesentliches handelt, stets zum Kompromiß bereit. Er war es seit seiner Erhebung auf den Lubliner Bischofsstuhl, und als Primas. Bosheit und wahnwitzige Verblendung haben die Warschauer Machthaber dazu bewogen, diesen zeitaufgeschlossenen Prälaten wegen seines Protestes wider die ununterbrochenen Verstöße gegen den Modus vivendi und vornehmlich gegen die jeder Basis entbehrende Verordnung vom Februar 195 3 über die staatliche Einmengung bei jeder kirchlichen Ernennung in „Schutzhaft“ zu bringen und ihn, ohne die leiseste Befugnis, seiner Würde als Primas und Erzbischof von Warschau-Gnesen zu entheben.

Vordem hatte Wyszynski als besonders fortschrittlicher, sozialer Oberhirt gegolten. Er stammt aus kleinen Verhältnissen. Obzwar alt- adęligfr Herkunft und ein nicht sehr entfernter Verwandter des russifizierten Polen Indrėj Vyšinskij — noch der Vater dieses sowjetischen Außenministers hatte sich ebenfalls Wyszynski geschrieben und dieser selbst wurde katholisch getauft —, war der spätere Kardinal Sohn eines Organisten in einem Dorf bei Oströw Mazo- wiecki. 23 Jahre alt, wurde Stefan Wyszynski 1924 zum Priester geweiht. Er studierte dann Kirchenrecht an der Katholischen Lubliner Universität, hierauf die sozialen Zustände in Frankreich, Belgien, Deutschland und Italien. Von einer langen Reise durch die eben erwähnten Länder heimgekehrt, lehrte er als Professor Nationalökonomie, Soziologie und Kirchenrecht am Priesterseminar von Wloclawek. Damit verband er eine rege kulturelle Wirksamkeit und eine wissenschaftliche Tätigkeit, die besonders den Fragen des Verhältnisses der Kirche zu Kapitalismus und Sozialismus gewidme.t war. Außerdem leitete er eine auf hohem Niveau stehende Zeitschrift, „Ateneum Kaplaiiskie". Während des zweiten Weltkrieges mußte er sich vor den ihn suchenden Augen der Gestapo verbergen; denn er stand mit der Untergrundbewegung in Kontakt. 1945 wurde er zum Domherrn in Wloclawek ernannt, im Folgejahr zum Bischof von Lublin. Dort fand er ein überaus dankbares Wirkungsfeld als Großkanzler der Katholischen Universität, der einzigen östlich des Eisernen Vorhangs. Nach dem Tode Kardinal Hlonds wurde er im Jänner 1949 zu dessen Nachfolger auserkoren. Er bemühte sich um ein leidliches Verhältnis zum Regime, soweit derlei nur irgend möglich war, wies alle Versuche zurück, die Kirche in politische Angelegenheiten zu verwickeln und sprach sich mehrmals, so in einem Interview mit dem „Tygodnik Pow- szechny“, dem von der Krakauer erzbischöflichen Kurie patronierten Wochenblatt, für die nationale Einheit und für die außenpolitischen Hauptthesen der Regierung aus. Doch er mußte Widerspruch anmelden, als der im Modus vivendi verbürgte Religionsunterricht zur Farce wurde; als schließlich der gottlose, religionsfeindliche Staat sich in die innersten Angelegenheiten der Kirche einmischte.

Durch persönliche Drohungen Bieruts nicht eingeschüchtert, wich der Primas erst der brutalsten Gewalt. Nach Absendung eines in ruhigem, doch energischem Ton abgefaßten Memorandums an die weltlichen Machthaber wurde Kardinal Wyszynski im September 195 3 plötzlich, während einer kirchlichen Visitation, in Warschau durch die Bezpieka (Geheimpolizei’ verhaftet und an einen damals nur einiger

Spitzen des Regimes bekannten Aufenthaltsort verschleppt. Er wechselte noch mehrmals seinen unfreiwilligen Wohnsitz, ehe er in ein Kloster zu Komancza, im Karpatenvorland, südöstlich von Krakau, gebracht wurde. Dort versuchte man, seit der Auflockerung der ärgsten Tyrannei, den Kirchenfürsten wiederholt zur Resignation oder wenigstens zum Verzicht auf Rückkehr in sein Amt zu überreden; gegen Zusicherung seiner — überwachten — Freiheit. Er lehnte immer wieder ab; zuletzt gegenüber einem Regierungsemissär, auf dessen Vorschlag Wyszyliski mit keinem Wort und nur mit einem Blick antwortete, der zugleich Verachtung und festen Willen ausdrückte. Die Stunde der vollen Genugtuung nahte. Gomulkas erste Tat war, daß er zwei Bevollmächtigte nach Komancza abschickte, die den Primas nach Warschau geleiteten. Dort konnte er sofort sein Amt wieder antreten. Die Nachricht von seiner

Heimkunft verbreitete sich mit Windeseile. Die Bevölkerung strömte herbei, um ihm zu huldigen. Er sprach Worte des Dankes, doch ohne Bitterkeit und mit der Mahnung zu versöhnlicher Eintracht, zur Liebe und zum Verzeihen.

Seit damals, der letzten Oktoberwoche 1956, ist Kardinal Wyszyriski einer der beiden Eckpfeiler, auf denen Polens innerer Frieden ruht. Er bereist das Land, predigt das gleiche wie in Warschau; er hat entscheidend zum Erfolg der Nationalen Einheitsfront bei den Sejmwahlen am 20. Jänner 1957 mitgeholfen. Seiner harrt die schwierige Mission, bei einer — bisher mehrmals verschobenen — Romfahrt die Beziehungen der Polnischen Volksrepublik zum Heiligen Stuhl herzustellen und das im Vatikan sehr begreiflicherweise vorhandene Mißtrauen zu zerstreuen, das gegenüber jedem, auch dem nationalen und von anständigen Menschen geführten Kommunismus herrscht. Anderseits muß der Primas in Polen auf der Hut sein, den Aktionen der höchst empörten kirchenfeindlichen Stalinisten, doch auch denen sonst dem Oktoberumbruch freundlicher im französisch-radikalen Stil antiklerikaler Sphären entgegenzuarbeiten.

Wenn einem, so müßte dem großen Kardinal dies gelingen. Denn er ist, um auf ihn ein Bibelwort variiert anzuwenden, „sanft wie die Tauben und klug wie ... die Hellhörigen".

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