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Der Räuter vom A4ontebiancL

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Olympia saß auf einem Steinhaufen vor dem armen Dorfe Perduto und hütete Mutters einzige braune Ziege, die wählerisch mit der Fülle der grünen Pflanzenwelt umging, da ein • Blättchen nahm, hier gierig eine Gruppe duftender Kräuter fortknabberte, dort aber achtlos an den großartig blühenden Bergblumen vorüberging, weil sie nur schön, nicht aber nach ihrem Geschmack waren. Olympia hatte ein geflicktes blaues Kittelchen aus des verstorbenen Vaters Werktagshemd an und einen selbstgeflochtenen schmalen Gürtel aus Bastfäden umgebunden. Sie aß einen Maisbrotfladen, denn sie war immer hungrig, und sie war glücklich, obgleich sie das bitterärmste Kind des armen Dorfes Perduto unter dem kahlen, drohenden Gipfel des Berges Monte-biancho war. Sie aß und schaute in den Himmel, der so tiefblau war wie die Blüten des Enzians, und wenn die Ziege sich zu weit fortwagte, bekam sie einen sanften Rutenstreich, denn Olympia war die Herrin und mußte zeigen, daß ihr Wille noch etwas galt in dieser merkwürdigen Welt.

Auf der linken Seite des Montebiancho führte ein Steiglein in die böse Stein-wildnis und verlor sich dort, von den in der heißen Sonne brütenden Felstrümmern verschluckt. Nur selten hatte Olympia jemand diesen gefährlichen Weg benützen sehen, er führte an Abgründen und tiefen Schluchten vorbei zur Grenze. Nur selten ging jemand den Weg am Tage, und doch blieb er immer wohl ausgetreten, von vielen rastlosen Fußtritten blankgerieben. Es konnte nur so sein, daß er des Nachts viel bestiegen wurde,'wenn Olympia ihren festen Kinderschlaf schlief und wenn die Geister unterwegs waren, Menschen und Tiere zu verschlingen. Oder es waren die fremden Schmuggler, von denen man sagte, daß sie aus der blauen Ebene heraufkamen, hinter der in weiter Ferne das große Adriatische Meer liegen sollte, mit vielen weißen Schiffen auf seinem glänzenden Spiegel und noch viel, viel mehr blitzenden, lustigen Fischen in seiner klaren, grünen Tiefe.

Olympia schrak plötzlich auf. Ein Mann stand auf dem Felssteig und schaute zu ihr herüber. Er war schwarz angezogen, hatte keinen Hut auf seinen lichten Haaren und stützte sich auf einen langen Stock. Olympia saß wie festgebannt, er kam den Steig herab, geradewegs auf sie zu, und sie konnte sich nicht fortrühren. Er war groß und schlank, und als er bei ihr angelangt war, hatte er ein schmales, verwittertes Gesicht und blaue Augen. Die Ziege hatte zu fressen aufgehört und starrte ihn neugierig an, denn sie kannte ihn nicht. Er lächelte, und Olympia, die nun wie angefroren in seinem Schatten saß, betrachtete ihn, wie man eine verhängnisvolle Gewitterwolke betrachtet, die einem zu Häupten steht und des Landes karge Fruchtbarkeit mit dem Sturm zerzausen und mit dem Hagelschlag zerstampfen wird. Der unheimliche Fremde blickte sie scharf an und machte den Mund auf, um etwas hervorzustoßen, einen Fluch vielleicht oder einen finsteren Befehl, dem man sogleich gehorchen mußte, weil es jetzt keinen Widerspruch gab — da ließ er den Wanderstecken los, griff mit beiden Händen in die Luft und fiel, so lang er war, ins Gras. Die Ziege tat entsetzt ein paar Sprünge. Olympia aber schrie und lief davon.

Die Mutter, die gerade dabei war, den zersprungenen Herd ihrer Hütte mit Lehm zu verkitten, wobei ihr Isabella, die älteste Tochter, das Schwerste der Arbeit abzunehmen trachtete, wischte sich die Hände an einem Grasbüschel ab, und nun eilte man zu dritt zu der Stelle hin, wo der Fremde noch liegen mußte, falls ihn nicht der Teufel inzwischen fortgeholt hatte. Olympia lief voran, sie hatte nun Mut und des verstorbenen Vaters Knotenstock, und zwei Nachbarinnen liefen auch mit. So langte die weibliche Prozession bald an der Stätte des Geheimnisses an. Der Fremde lag noch da, in einer dunkeln Blutlache, und rührte sich nicht. Isabella hatte am Sterbebett des Vaters lange Pflegedienste verrichtet und besaß eine kundige Hand, sie strich ihm das Haar aus dem schmalen Gesicht und öffnete seinen Kragen. Da sahen sie, daß sein Hemd inwendig voller Blut war, und als sie weiter nachforschten, hatte er eine große Wunde in der Nähe des Herzens. Da wurde nicht lange gefackelt, die rüstigen Weiber packten zu, hoben den schweren Gesellen und trugen ihn in das Dorf, wo Isabella seiner warten sollte.

Nicht nur der Reichtum vermag zu schenken, sondern auch die bittere Armut, und diese vielleicht manchmal am besten, weil sie die größere Erfahrung mit der Not hat. So geschah es, daß der Fremdling unter den Frauen des männerarmen Dorfes trefflich gedieh und bald aus dem gröbsten war. Er war von einem Geheimnis umgeben, denn er verriet nichts von seiner Herkunft und Vergangenheit, und die einfachen Menschen wußten aus dem Klange seines gebrochenen Italienisch auch nicht zu deuten, wo er herstammen mochte. Seine Blicke waren bald feurig, wenn er aus dem Gefängnis seiner Schwäche die unerreichbare Bergwelt musterte, bald melancholisch, wenn er sich der Schwäche bewußt wurde, bald war er mit seinen doch schon zunehmenden Kräften fröhlich, bald schwieg er verlegen oder senkte seine Blicke zu Boden, wenn man ihm mit dem Wunsche, etwas von ihm zu erfahren, begegnete.

All dies machte ihn merkwürdig genug, und in den Abendstunden entstanden allerlei Legenden um ihn. Er war der heimliche Stolz des Dorfes, er hieß „unser Fremder“, und wenn auch Isabella die meiste Arbeit mit ihm hatte, so blieb doch kein Haus, das nicht redlich beigesteuert hätte zu seiner Pflege und Nahrung, von dem nicht ein Töpflein Milch, ein Stück Ziegenkäse, Fleisch oder ein Körbchen süßer Beeren gekommen wäre. Während die Frauen auf ihre Männer warteten, die sich den Sommer über in den Städten der Ebene verdingten, um mit den Herbststürmen zurückzukehren und etwas Geld mitzubringen, hatten sie diesen einen Genesenden bei sich wie ein Ausnahmestück und wie als Erinnerung an eine Zeit, da es sich noch besser leben ließ, da die Männer noch nicht als Taglöhner in die Fremde gehen mußten, um das nötigste zu erwerben. So war es, daß seine Anwesenheit wie ein Geschenk und wie ein Lohn war für die Freundlichkeit, mit der man ihn aufgenommen hatte.

Eines Tages aber war das heimelige Gefühl des Wohltuns und des dankbaren Empfangens plötzlich zerbrochen. Es war gleichzeitig mit dem Einbruch kälterer Tage nach einem heißen Sommer, es war, als wehte der Hauch einer Erstarrung nicht nur durch die Natur, sondern auch durch die Gemüter. Der Traum einer kurzen Verklärung der Verhältnisse der Menschen untereinander, der Eingang in die bescheidenen Seelen gefunden hatte wie die Erinnerung an ein Paradies, eine Zeit, da alle Menschen und Dinge gut waren, war zerstoben, die

Frauen senkten die Köpfe tief herab wie ehedem, banden die Kopftücher fester im Wind, der aus den Schrunden herabfegte, gedachten, wie sie mit dem Winter fertig werden würden und spürten die Not so stark und unbändig wie nur jemals in ihrem armseligen Leben.

Es war so gekommen, daß der Fremde mit der zunehmenden Heilung seiner Wunde Ubermut und Kraft gezeigt hatte, wie sie eben einem jungen Manne zukommen. Er hatte begonnen, bei verschiedenen Arbeiten im Dorfe mit Hand anzulegen und ging wohl auch einmal ums andere Mal mit, wennn das würzige Bergheu von den steilen Flecken an den Seiten des Berges eingebracht wurde. Ernten ist allemal lustig, wenn es auch nur um einige geringe Bündelchen Ziegenheu für den Winter geht, und mancher Blick blieb in diesen Stunden an seiner wohlgewachsenen Gestalt haften oder streifte sein erhitztes, braungewordenes Gesicht. Da entflog seine Verlegenheit, die ihn so wohl gekleidet hatte, er gab die Blicke keck zurück und gewann dadurch einen neuen, stärkeren Zauber. Harmlos im Denken und unerfahren mit dem Leben, wie es außerhalb des Dörfchens seine Räder drehen mochte, waren die schwitzenden und lachenden Frauen und Mädchen nicht viel anders als eine kleine Herde munterer Schäfchen.

Der Fremde brauchte nicht weit zu gehen, um zu finden, wonach es ihn zu gelüsten begann. Im Hause, in dem er lebte und aß, hatte sich ihm Isabella zugeneigt, und er wußte seinen Vorteil zu nützen. Da es keine Geheimnisse gab im Dorfe Perduto, die lange unentdeckt bleiben konnten, wurde auch dieses entdeckt. Eines Morgens erwiderte niemand mehr seinen Gruß, der ihm alsbald im Halse steckenblieb, die Frauen gingen an ihm vorüber, als wäre er das Stück einer steinernen Hauswand, an die man keinen Blick zu verwenden pflegt. Er begriff und wendete seine Schritte zu einem nachdenklichen Spaziergang in ein mageres Wäldchen, das bergwärts ein wenig Schutz vor Wassern, Steinen und den kommenden Schneestürmen des Winters bot. Am Abend kehrte er zurück, setzte sich an den Tisch, aß, trank und scherzte wie immer und wollte das Zittern nicht spüren, das in Isabellas großen dunklen Augen war, die unentwegt in Furcht und Hoffnung an ihm hingen. In der Nacht zwang er die Widerstrebende, Weinende zu sich, die sich mühte, -wieder liebreich zu ihm zu sein und es doch, von Furcht gepackt, nicht mehr konnte. Ehe der Tag graute, entfloh sie dem Lager und warf sich in die Arbeit, die sie ohnehin immer nur für ein paar Stunden der kärglichen Nachtruhe freigab, seitdem sie als ein kräftiges Kind zeitig in ihren unauflöslichen Bann gekommen war. Sie weinte nicht, war nur in einem Gefühl erstarrt, schrecklicher noch, als es das kleine Herz Olympias umklammert gehalten hatte in der Stunde, da der Schatten des Fremden wie eine unabwendbare Drohung auf sie gefallen war. So ging es eine Weile fort. Tödliches Schweigen war in das Häuslein eingekehrt. Der Fremde aß und trank von der immer weniger werdenden Nahrung, denn die freundlichen Gaben aus der Nachbarschaft blieben gleichzeitig aus. Er schlief tagsüber in des verstorbenen Mannes Bett und regte keine Hand mehr zu einer der Hilfeleistungen, wie sie so hübsch zur Gewohnheit geworden waren. Eines Morgens aber war er verschwunden. Olympia kam gelaufen und sagte, sie habe ihn in den Berg hineingehen gesehen, im Regen, in den Kleidern, die das Dorf ihm geschenkt hatte, und barhaupt. So war er dahin zurückgekehrt, mit kraftvollen, sehnigen Schritten, wie ein Raubtier, woher ihn die Wellen des beendeten Krieges gebracht hatten.

Isabella aber, die sich seiner erbarmt, als er ihr einmal berichtet hatte, daß er einer der Verfemten dieses Krieges sei, grollte ihn zutiefst. Hatte sie ihn vorher ob seiner kriegerischen Tapferkeit bewundert, die aus seinen Bewegungen ebenso sprach wie aus seinem entschlossenen Gesicht, so verachtete sie ihn jetzt um seiner Flucht willen. War sie bislang die demütige schlichte Dienerin gewesen vor dem herrischen Manne, so fühlte sie sich nun wachsen zu leidvoller Größe über ihn, wenn sie an das Martyrium dachte, daß ihr bevorstand, sobald es ruchbar wurde, daß der Fremde sie nicht nur verführt, sondern auch zur Mutter gemacht hatte. Sie wählte nicht den Tod, den sie in den Felswänden leicht suchen konnte, sie wählte auch nicht die Flucht in die Stadt, wo sie unter den Namenlösen untertauchen konnte, sie wählte das Bitterste und Schwerste: sie blieb. Sie nahm ein schwarzes Kopftuch aus der Lade der Mutter und band es sich um, wie es die älteren Weiber trugen. Als sie so und mit bleichem Antlitz an diesem Tage an den Dorfbrunnen trat, der aus seiner steinernen Einfassung in ein reinliches Becken sprudelte, machten ihr die anderen Frauen schweigend Platz, schweigend, aber nicht ohne stumme Anerkennung.

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