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Der rechte Vertrag

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Dem neuen Jahr weht aus den Staatskanzleien des Westens Unruhe entgegen. Ein Wort des amerikanischen Außenministers, eine Warnung an Frankreich in der ungebundenen Sprache einer neuen Demokratie, hat in Paris tief verletzt. Die französischen Einwände gegen die verlangte Europa- Armee wurden eher verstärkt als beseitigt. Die beiden angelsächsischen Mächte bilden mit ihrem Verlangen nach vertraglicher Verpflichtung zur gemeinsamen Verteidigung des Westens eine geschlossene Front. Zuviel sehen sie für den gesamten Westen auf dem Spiel: ohne eine planmäßige Zueinanderordnung der politischen und militärischen Interessen gibt es nach ihrer Ueberzeugung keinen wirklichen und standfesten Zusammenschluß Europas. Und wo die Organisation der gemeinsamen Verteidigung fehlen würde, dort hätte man auch auf die einzige Lehrstätte verzichtet, in der die kategorischen Lebenserfordernisse einer übernationalen und überstaatlichen neuen politischen Formung erlernt werden könnten. So werde das neue Europa zur idealistischen Theorie. Der Konflikt reicht tief und erfaßt die ganze sogenannte „Integration“ Europas.

Nun steht die viel umhöffte Berliner Konferenz der großen Vier bevor. Das Arbeitsprogramm umfaßt die internationalen Schlüsselpositionen. Werden die Vier einander näherkommen? Wechselt Moskau seine Methoden und nächsten Zielstellungen, die Unfruchtbarkeit der bisherigen Praxis einschätzend, und werden Mut und Weisheit diesmal stärker sein als das bisher jeden guten Keim ertötende Mißtrauen? Für Oesterreich ist die Behandlung des Staatsvertrages in Aussicht gestellt. Seit sieben Jahren wandert der Traktat ruhelos wie ein legendenhafter Geist durch Konferenzen von Sonderbeauftragten und Ministerberatungen, zuweilen, wie es im Herbst 1949 geschah, mit Posaunenstößen zu seiner angeblichen Vollendung begrüßt, um dann wieder in irgendeiner dunklen Grube zu verschwinden. Nach so vielen Enttäuschungen, die uns Oesterreichern dieser zum Gespenst gewordene Staatsvertrag gebracht, wäre es unvorsichtig oder kühn, für sein Schicksal im neuen Jahr erwartungsfreudige Prognosen stellen zu wollen. Man möchte glauben, wenn die Mächtigen dieser Welt jetzt einmal nur in einer einzigen guten Stunde diesen Vertragsentwurf nochmals lesen wärden — diesen noch aus dem Haßgeist des Versailler Vertrages und dem gesetzlosen Plünderungstrieb der Kriegszeit geborenen und schon wunderlich gewordenen Text —, sie müßten sich dann entschließen, diesen Akt als museales Kuriosum in die Lade zu sperren und an seine Stelle ein Dokument zu setzen, das der Menschlichkeit und ihrer eigenen Würde entspräche.

Durch harte Erfahrungen belehrt, wagt man auf diese gute Stunde, da solches geschähe, noch nicht zu rechnen. Doch es gibt Bessetes zu tun, als in den Vorzimmern der Konferenzsäle als Rechtsuchende zu warten, die zwar zu den wenigen gehören, die keine Kriegsschuld belastet, aber ein härteres Schicksal zugewiesen erhielten, als irgendein schuldbar gewordenes besiegtes Land. Vielleicht ist der beste Staatsvertrag der, den wir mit uns selbst schließen und dessen erster und letzter Artikel lauten würde: „Einsatz aller unserer physischen undmoralischen Kraft für unser Volk, seine leibliche und sittliche Wohlfahrt, für die Freiheit und Ehre Oesterreichs und mehr christliche Demokratie!“ Mit jedem mutigen Schritt, den wir vorwärts tun, beweisen wir die Lebensrechte unseres Landes, jede große Leistung österreichischer Kultur appelliert an die geistigen Mächte der Welt, jede neue echte Bewährung der Demokratie befestigt nach innen und außen unseren staatlichen Bestand. Nadi einer Periode, da uns nicht selten Mißgunst, Verkennung und tendenziöses Uebelwollen aus der internationalen öffentlichen Meinung entgegenschlugen, ist es heute keine vereinzelte Erscheinung mehr, daß in dem vielzitierten Aufsatz des Londoner „Observer“ (Nr. 8479) „Between the Cold-War fronts“, „Zwisdren den Fronten des Kalten Krieges“, von Oesterreich gesagt wird, man könne nur staunen über die Leistung eines Landes, eines „der kleinsten und exponiertesten Europas, das von 1938 bis 1945 überhaupt von der Landkarte verschwunden und seitdem unter dem ständigen Druck aller vier Großmächte gehalten worden war, trotz einer so starken Einengung sich so viel Freiheit erringen und es fertig bringen konnte, seine volle Unversehrtheit, Eigenständigkeit zu erhalten“. Zu ähnlichem Schlüsse kommt der englische Historiker Prof. Hiscocks in seinem jüngst in dem Oxford University-Verlag erschienenen Buda, in dem er seine Betrachtung der Geschichte der österreichischen Republik in der Aussage des Buchtitels gipfeln läßt „The Rebirth of Austria“, „Die Wiedergeburt Oesterreichs“.

Zuweilen wird darauf vergessen, daß das in unserem Lande Erreichte, ią, dem sich die politische mit der wirtschaftlichen Konsolidierung vereinigen mußte, auf einem von dem österreichischen Volke sanktionierten System beruht, das wenige Beispiele hat in dem öffentlichen Leben anderer Länder. Es stellt seiner Natur nach eine sehr gesunde Form der Demokratie dar: Nicht die stärkere Partei regiert, wie etwa in dem Zweiparteiensystem des englischen Parlamentarismus, sondern die beiden größten haben sich zu gemeinsamer Führung zusammengetan, jede darauf verzichtend, den anderen durch irgendwelche sonstige Bündnisse zu überrunden. Die beiden Partner stehen weltanschaulich auf völlig verschiedener Ebene, ohne vermittelnde Kraft. Die Grenzen sind ganz klar gezogen. Die Zusammenarbeit ist dadurch schwierig. Gesetzgeberische Akte bedürfen in diesem System eines 80%igen Votums. Von den Teilnehmern des Arbeitsbündnisses ist Verzicht auf jene Tradition der Demokratie verlangt, die durch die Kraft eines bloßen Mehrheitsvotums einen mechanischen Ausdruck findet. Wohl verstanden erzieht eine solche Methode zur Gemeinschaft, ohne daß die Trennungslinien verwischt würden. Solche Koalition ist kein Kinderspiel. Sie empfängt ihre Existenz nicht durch einen bequemen Opportunismus, der das schwierige Experiment solchen Zusammenspiels trotz aller Gefährdungen wagen würde. Sie kann nur unternommen werden mit dem ernsten Willen, dem Ganzen zu dienen bei steter Hinordnung auf das große Ziel, die Freiheit und den sicheren Grund unter den Füßen zu gewinnen, so mächtig die Bedränger, so übergroß die Erfordernisse an Geduld und zähem Willen sein mögen. Wenn aber die parlamentarische Koalition von solchem Ethos getragen ist, bestätigt durch den Willen der großen Volksmassen, dann wird ihre Wirklichkeit zu einem staatspolitischen Ereignis.

Haben wir schon alles getan, das dem gewonnenen V ert entspräche? Wir sind unserer Demokratie noch einiges schuldig geblieben.

Ihre Erfolge sind sichtbar und sie ermutigen, das noch Fehlende zu ersetzen. Wir sollten uns mehr bemühen, die Lücken in dem Vertrag mit uns selbst zu schließen. Die noch ausständige Verchristlichung unserer Demokratie in ihren Lebensformen und Auseinandersetzungen ist das Anliegen an die Berufenen.

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