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Der reichste König

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Der Bürgermeister von New York hat sich bekanntlich geweigert, den saudi-arabischen König zu empfangen. Tatsächlich ist Saudi-Arabien ein Land, wo es noch immer hart und sehr grausam zugehen kann, selbst die Kompromisse zwischen alten Sitten und amerikanischer Humanität nehmen sich manchmal etwas seltsam aus. Das Enthaupten beispielsweise konnte auch unter dem Einfluß der USA nicht abgeschafft werden, aber die Säbel der Scharfrichter werden nun vor Gebrauch desinfiziert und ein Arzt erhält die Erlaubnis, den Stumpf des Justifizierten mit Mercurochrom zu pinseln; man darf also die Hoffnung nicht sinken lassen. Freilich ist die Verweigerung einer Begrüßung ein bloß negativer Akt, und Wagner hätte schon einen Schritt weitergehen und aufzeigen müssen, was für Maßnahmen in einem Land wie Saudi-Arabien möglich sind und wie sie durchgeführt werden können. Das ist nämlich der Kern des Problems. Wer sich zu diesem Thema Gedanken machen will, dem muß die große Studie anempfohlen werden, die Benoist-Mechin über Ibn Saud geschrieben hat; sie reiht sich würdig an die frühere Arbeit des Verfassers über den türkischen Diktator Mustafa Kemal. Das Buch wird da und dort als Biographie Ibn Sauds angepriesen, ist aber, im Grunde genommen, mehr, wird hier doch die gesamte Geschichte Arabiens zusammengefaßt, so daß man Ibn Saud nicht als einzelne Figur sieht, sondern als eine der vielen, in den bunten Teppich der Geschichte eingewobenen. Es geht einem hier also umgekehrt wie bei soviel anderen Büchern yber orientalische Geschichte. Unser ursprüngliches Interesse wird durch die endlosen Episoden zwischen Oase und Wüste, die sich nach einer Weile so ähnlich werden, nicht erschöpft; je weiter wir Vordringen, desto mehr erreichen wir bekannte Geschehenskulissen, in denen man sich zurechtfinden kann. Die Biographie Ibn Sauds, die sozusagen das Kernstück der Arbeit bildet, überspannt nur einige Jahrzehnte. Diese Jahrzehnte haben aber in Wirklichkeit die Epoche der Kreuzzüge mit denen des Atomzeitalters verknüpft, ein Umstand, den sich alle die vor Augen halten müßten, die erstaunt sind, daß nicht einmal der unendliche Reichtum der Oel- revenuen — 42 Prozent aller bekannten Oelvor- kommen liegen unter saudi-arabischem Boden — aus Saudi-Arabien die Schweiz des Orients gemacht hat.

Die Schilderung der wirtschaftlichen und politischen Kämpfe in diesem Teil der Welt ist zwangsläufig auch die Schilderung des langsamen Zurückdrängens britischen Einflusses und des schnellen Aufstieges amerikanischer Weltgeltung. Benoist-Mechin schildert mit großer Genauigkeit und im allgemeinen nicht unfair die langsame Demontage britischer Ueberlegenheit im Nahen Osten, aber er tut es mit einer Art hämischer Zufriedenheit, die einem nach einer Weile auf die Nerven geht. Unwillkürlich erinnert man sich dabei an die Geschichte der kleinen protestantischen Gemeinde, die die Predigten des Pastors nicht länger aushalten konnte und sich einem anderen Mann verschrieb. Ein Fremder, der den Neuen predigen hörte, vermerkte: „Aber er sagt doch dasselbe wie der frühere, daß ihr nämlich in die Hölle kommen werdet.” — „Das ist wahr”, gaben die Einwohner zu, „aber der erste hatte soviel Freude daran!” Benoist-Mechin wäre mit etwas weniger Freude ebenfalls besser gefahren. Seine Uebersetzerin bat die lästige Gewohnheit, von dem „Gebiet des Mittel-Ost” zu sprechen, wo es „Das Gebiet des Mittleren Ostens” heißen sollte.

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